Russisches Abhören deutscher Militärs wegen Anwendungsfehler

Pistorius: Keins System-, lediglich Anwendungsfehler © APA/AFP/TOBIAS SCHWARZ

Nach ersten Untersuchungen ist ein „individueller Anwendungsfehler“ verantwortlich dafür, dass das Gespräch hochrangiger Offiziere der deutschen Armee über das Taurus-Waffensystem von Russland abgehört werden konnte. Das sagte der deutsche Verteidigungsminister Boris Pistorius am Dienstag in Berlin. Der Fehler gehe auf einen Teilnehmer zurück, der von Singapur aus an dem Gespräch teilnahm. Er habe sich über eine „nicht sichere Datenleitung“ eingewählt, Mobilfunk oder WLAN.

Dass ein russischer Spion an dem Gespräch teilgenommen hat, ohne bemerkt worden zu sein, schloss Pistorius aus. Der Verteidigungsminister sagte, dass disziplinarische Vorermittlungen gegen alle vier Teilnehmer des Gesprächs eingeleitet worden seien. Er betonte aber auch: „Persönliche Konsequenzen stehen derzeit nicht auf der Agenda.“ Er werde „niemanden meiner besten Offiziere Putins Spielen opfern“, betonte Pistorius.

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Laut Pistorius hat das Gespräch der vier Offiziere vorschriftsgemäß über die Internetplattform Webex stattgefunden, die von der Bundeswehr in unterschiedlich geschützten Versionen für solche Gespräche genutzt werde. Dass es trotzdem abgehört werden konnte, gehe darauf zurück, dass sich der Teilnehmer in Singapur nicht an das sichere Einwahlverfahren gehalten habe.

In dem südostasiatischen Stadtstaat fand zur Zeit des Gesprächs die Singapur Air Show statt, an der viele hochrangige europäische Militärs teilnahmen. „Für russische Geheimdienste nachvollziehbar ein gefundenes Fressen so eine Veranstaltung in diesem Umfeld“, sagte Pistorius. In den genutzten Hotels hätten flächendeckend Abhöraktionen stattgefunden. Der Zugriff auf die Webex-Konferenz der Bundeswehr-Offiziere sei ein „Zufallstreffer, im Rahmen einer breit angelegten, gestreuten Vorgehensweise“ gewesen.

Am Freitag hatte Russland eine mitgeschnittene Onlinekonferenz von vier hohen Offizieren, darunter Luftwaffen-Chef Ingo Gerhartz, veröffentlicht. Darin erörterten diese Einsatzszenarien für den deutschen Marschflugkörper Taurus, falls dieser doch noch an die Ukraine geliefert werden sollte. Kanzler Olaf Scholz (SPD) hat das zum jetzigen Zeitpunkt ausgeschlossen und sein Nein damit begründet, dass Deutschland dann in den Krieg hineingezogen werden könnte. Am Montag bekräftigte er seine Position und sagte: „Ich bin der Kanzler, und deshalb gilt das.“ Taurus hat eine Reichweite von 500 Kilometern und kann damit von der Ukraine aus auch Ziele in Moskau treffen.

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Pistorius sieht nach Gesprächen mit Verbündeten wegen der Abhöraffäre keine Beschädigung des Vertrauens in den NATO-Partner Deutschland. Er habe in Gesprächen am Montag keine Verärgerung wahrgenommen, sagte der SPD-Politiker am Dienstag in Berlin. Dass Russland einen Mitschnitt des Gesprächs deutscher Offiziere über einen Einsatz des Taurus-Marschflugkörper durch die Ukraine anfertigen konnte, sei zwar ein schwerer Fehler. Dieser sei aber eben laut dem Zwischenergebnis nicht durch vermeintlich unsichere Kommunikationssysteme der Bundeswehr, betonte der Verteidigungsminister. „Unsere Kommunikationssysteme wurden nicht kompromittiert.

Pistorius betonte auch, dass die Kommunikationssysteme der Bundeswehr weiterhin laufend überprüft und verbessert werden müssten. “Wir müssen unsere Systeme weiter härten”, sagte er. Dies sei ein laufender Prozess. Die „Breite der Angriffe“ auf die Kommunikationssysteme nehme massiv zu. Kenntnis von einem weiteren Abhörfall habe er nicht. „Das schließt aber nicht aus, dass es einen weiteren gibt.“

Die Unionsfraktion im Deutschen Bundestag hat laut ihrem Parlamentarischen Geschäftsführer Thorsten Frei eine Sondersitzung des Verteidigungsausschusses wegen der russischen Abhöraktion gegen Offiziere der deutschen Luftwaffe noch für diese Woche beantragt. Das sagte der CDU-Politiker am Dienstag in der Früh im Radiosender WDR5. Nach der russischen Abhöraktion diskutieren Regierung und Opposition in Deutschland weiter über notwendige Konsequenzen.

Er hielte es für unverantwortlich, nach der Veröffentlichung der Mitschnitte noch über eine Woche zu warten, bis entscheidende Fragen gegenüber dem Parlament geklärt werden, sagte Frei hinsichtlich der Ausschusssitzung. Mahnungen, man dürfe sich von Russland nicht spalten lassen, entgegnete er, die CDU/CSU agiere „ohne Schaum vor dem Mund“. „Es gibt ein legitimes Aufklärungsinteresse, darum geht es uns“, betonte der CDU-Politiker.

Die Vorsitzende des Verteidigungsausschusses, Marie-Agnes Strack-Zimmermann (FDP), hatte eine Sondersitzung für kommenden Montag in Aussicht gestellt. „Bis dahin haben wir auch mehr Informationen“, sagte die Ausschussvorsitzende der „Rheinischen Post“ (online Montag/Print Dienstag). „Wir werden darüber beraten, inwieweit unsere Institutionen auf einen hybriden Angriff vorbereitet sind.“ Sie erwarte auch von der Opposition, mit Ernsthaftigkeit, aber auch Souveränität mit der Lage umzugehen. „Putin möchte nämlich nur eines, dass wir jetzt übereinander herfallen.“

Innenministerin Nancy Faeser unterstrich unterdessen die Abwehrbereitschaft deutscher Geheimdienste. „Wir haben unsere Schutzmaßnahmen gegen Spionage und Desinformation weiter hochgefahren und reagieren laufend auf aktuelle Entwicklungen“, sagte die SPD-Politikerin den Zeitungen der Funke Mediengruppe (Dienstag). „Putins Propaganda-Apparat will unseren Staat diskreditieren, die Meinungsbildung manipulieren und unsere Gesellschaft spalten. All das wird Putin nicht gelingen“, betonte sie. Die Spionageabwehr beim Bundesamt für Verfassungsschutz sei personell und technisch deutlich verstärkt worden. Es bleibe ein wesentlicher Schwerpunkt der Spionageabwehr, die Aktivitäten der russischen Nachrichtendienste zu bekämpfen.

Die US-Regierung warf Russland vor, durch die Veröffentlichung des Mitschnitts Misstrauen schüren zu wollen. Es handle sich um einen „dreisten und durchschaubaren Versuch der Russen, Zwietracht zu säen“ und es so aussehen zu lassen, als sei der Westen nicht geeint und als gebe es auch innerhalb der Regierung in Deutschland keine Einigkeit darüber, was sie tue, sagte der Kommunikationsdirektor des Nationalen Sicherheitsrats der USA, John Kirby, am Montag. Man werde sich dem aber nicht beugen, denn das sei es, was Russland wolle.

Die CDU/CSU bekräftigte als größte Oppositionskraft indes auch eine frühere Forderung nach der Schaffung eines Nationalen Sicherheitsrates in Deutschland. „In solchen Krisenfällen kann er die politische Steuerung übernehmen“, sagte der stellvertretende Vorsitzende des Verteidigungsausschusses, Henning Otte (CDU), der Zeitung „Rheinischen Post“ (Dienstag) laut Vorausbericht.

Anders als der Kanzler befürworten FDP und Grüne eine Taurus-Lieferung, die Union auch. Strack-Zimmermann hatte im Februar als einziges Mitglied ihrer Fraktion einem Unionsantrag zugestimmt, der diese Forderung enthielt. Bundestagsvizepräsident Wolfgang Kubicki (FDP) rechnet im Parlament mit mehr FDP-Stimmen, sollte es im Bundestag dazu eine neue Abstimmung geben. „Ich bin sicher, die Union wird nächste Woche wieder einen Antrag stellen und ich bin mir auch sicher, dass diesmal mehr Abgeordnete dafür stimmen werden, Taurus in die Ukraine zu liefern“, sagte FDP-Vize Kubicki dem „Münchner Merkur“ (Dienstag). „Schon beim letzten Mal hätten mindestens ein Dutzend weitere Kolleginnen und Kollegen, die ich kenne, liebend gern dem Unionsantrag zugestimmt, haben sich aber der Koalitionsdisziplin gefügt. Ich war auch kurz davor. Diesmal wäre für mich der Punkt erreicht, es zu tun“, sagte Kubicki.

SPD-Außenpolitiker Nils Schmid schließt indes nicht aus, dass Scholz von seinem Nein zur Taurus-Lieferung noch abrücken wird. „Die technischen, verfassungsrechtlichen und auch die strategischen Hürden sind höher als bei anderen Waffensystemen. Aber das schließt nicht aus, dass die Regierung in der Zukunft zu einer anderen Abwägung kommt und sich doch zu einer Lieferung entscheidet“, sagte Schmid den Zeitungen der Mediengruppe Bayern (Dienstag). Die einzige rote Linie für Scholz sei: „Keine direkte Kriegsbeteiligung Deutschlands und der NATO“ Bei Waffenlieferungen habe der Kanzler dagegen „immer auf Abwägung gesetzt und seine Entscheidungen an die Entwicklung in der Ukraine angepasst, sodass eine Lieferung etwa von Kampfpanzern dann möglich wurde“.

Die deutsche Außenministerin Annalena Baerbock sieht den Abhörskandal bei der Bundeswehr als Teil der hybriden Kriegsführung des russischen Präsidenten Wladimir Putin. Die Vorgänge zeigten, „dass der russische Angriffskrieg nicht nur mit Bomben, Raketen, Drohnen und schlimmsten Angriffen auf die Zivilbevölkerung in der Ukraine geführt wird“, sagte die Grünen-Politikerin am Dienstag bei einem Treffen mit dem Außenminister von Bosnien-Herzegowina, Elmedin Konakovic, in der Hauptstadt Sarajevo. Es gehe vielmehr um eine „hybride Kriegsführung, die auch ein Krieg der Narrative ist“. Erneut warnte sie in diesem Zusammenhang von einer „Täter-Opfer-Umkehr“ durch Russland.

Es gehe bei der hybriden Kriegsführung Putins auch um eine „Destabilisierung der anderen europäischen Länder“, warnte Baerbock. „Und deswegen ist es für uns so wichtig, dass wir all diese Facetten dieser hybriden Kriegsführung nicht unterschätzen.“ Jedes Land, auch Deutschland, müsse mit Blick auf seine innere Sicherheit und die Cybersicherheit alles tun, „das wir bestmöglich geschützt sind“. Das Gleiche gelte für die äußere Sicherheit. Bestandteile einer auf Destabilisierung ausgerichteten hybriden Kriegsführung Russlands sind unter anderem gezielte Desinformation, Cyberangriffe und politische Einflussnahme.

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