Schutzzone für junge Muslimas

Säkulare Muslime befürworten Kopftuchverbot in Schulen für Mädchen und Lehrerinnen

Extremer Widerspruch: Liberale kämpfen Seite an Seite mit Illiberalen Muslimen gegen das Kopftuchverbot.
Extremer Widerspruch: Liberale kämpfen Seite an Seite mit Illiberalen Muslimen gegen das Kopftuchverbot. © AFP/Roessler

Das Kopftuch sollte in der Volksschule „überhaupt kein Thema sein“. So hatte es Carla Amina Baghajati, Leiterin des Schulamtes der Islamischen Glaubensgemeinschaft (IGGÖ), zumindest vor zwei Jahren gesehen. Ihre Begründung: „Hier wird von der Elternseite etwas forciert, was in dieser Phase noch nicht vorgesehen ist.“

Trotzdem legte die IGGÖ nun beim Verfassungsgerichtshof Beschwerde gegen das noch von der türkis-blauen Regierung eingeführte Kopftuchverbot an Volksschulen ein.

Die von Türkis-Grün geplante Ausdehnung bis zum Alter von 14 Jahren wird die Glaubensgemeinschaft umso heftiger bekämpfen. Schließlich gilt das Verbot dann auch für Mädchen, die nach islamischer Lesart mit Erreichen der Geschlechtsreife Kopftuchkandidatinnen sind.

„Kopftuchkränkung“

Und während die IGGÖ der neuen Bundesregierung eine „feindselige Haltung den Musliminnen und Muslimen gegenüber“ unterstellt, denkt Integrationsministerin Susanne Raab (ÖVP) schon über den nächsten Schritt nach: Ein Kopftuchverbot auch für Lehrerinnen.

Was konsequent erscheint, ist für den grünen Vizekanzler Werner Kogler (noch?) „nicht vorstellbar“. Von katholischer Seite wird sekundiert: Paul Zulehner schrieb im Standard-Gastkommentar gegen „Die Kopftuchkränkung und ihre fatalen Folgen“ an. Das Verbot nennt der liberale Theologe und Priester ein „Rechtsdiktat“.

Liberale für Illiberale

Säkulare Muslime können sich über eine solche Sichtweise nur wundern: Die Berliner Imamin Seyran Ates sieht Zulehner in einem „extremen Widerspruch“, weil dessen Liberalismus die Fraktion der illiberalen Muslime stützt. „Genau die, die wie Grüne und Linke für mehr Gleichberechtigung der Geschlechter kämpfen, unterstützen in einer anderen Religion die Orthodoxie“, sagt die Initiatorin Ibn-Rushd-Goethe-Moschee in Berlin, wo sie — wegen vieler Morddrohungen unter permanentem Polizeischutz — einen säkularen Islam predigt.

Mädchen als Sexualobjekt

In Sachen Kopftuch ist ihre Position klar: „Wie können wir als offene Zivilgesellschaft akzeptieren, dass eine Religionsgemeinschaft sagt, sobald unsere weiblichen Mitglieder geschlechtsreif werden, müssen sie sich verhüllen? Das macht die Mädchen zu Sexualobjekten.“ Abgesehen davon sei das Kopftuch „absolut nicht religiös verankert“. Denn der Islam kenne keine Symbolik, lehne Symbole sogar ab.

Die IGGÖ beteuert freilich, das Kopftuch sei freie Entscheidung der Trägerin. Das weist Ates im VOLKSBLATT- Gespräch als „Scheinargument“ zurück, „weil die Heranwachsenden in der Machtsphäre der Eltern und Familienclans sind“. Deshalb sei es „so wichtig, dass diese Mädchen wenigstens einen Raum haben, nämlich die Schule, wo sie ausprobieren können, wie es ist, nicht verhüllt zu sein“.

Diesen Schutzraum hält auch die Schweizer Menschenrechtsaktivistin Saida Keller-Messahli für unerlässlich: „Die öffentliche Schule ist möglicherweise der einzige Ort wo ein muslimisches Mädchen die Erfahrung von Freiheit und Gleichberechtigung machen kann. Diesen Raum gilt es vor religiösen Begehrlichkeiten zu schützen“, so die aus Tunesien stammende Mitunterzeichnerin der „Freiburger Deklaration säkularer Muslime aus Deutschland, Österreich und der Schweiz“ (2016).

Schamloser Übergriff

Auch ein Kopftuchverbot für Lehrerinnen hielte sie wie Ates für richtig. „Eine Lehrperson vermittelt den Kindern ein lebendiges Beispiel dafür, dass Frau und Mann gleichwertig sind, während ein Kopftuch für das Gegenteil steht, nämlich, dass die Frau dem Mann nicht ebenbürtig ist“. Das Vorgehen der IGGÖ gegen das bestehende Verbot offenbart für Keller-Messahli „die Verbissenheit, mit der Repräsentanten des politischen Islams kämpfen, wenn es um Mädchen und Frauen geht“. Die Klage betrachtet sie daher als „schamlosen Übergriff.“

Denn die IGGÖ bestehe mehrheitlich „aus muslimischen Männern die behaupten, für die ganze muslimische Bevölkerung Österreichs zu sprechen“. Es sei aber, so Keller Messahli, „eher so, dass die IGGÖ, zu deren Mitglieder auch islamistische und der Muslimbruderschaft zugewandte Organisationen gehören, eine kleine Minderheit von konservativen Muslimen vertritt“.

Missverstandene Toleranz

Auch der aus Algerien stammende Islamwissenschafter Abdel-Hakim Ourghi findet: „Religiöse Symbole haben in der Schule nichts zu suchen“. Der Leiter des Fachbereich Islamische Theologie/Religionspädagogik an der Pädagogischen Hochschule Freiburg hat ein Buch mit dem unzweideutigen Titel „Ihr müsst kein Kopftuch tragen“ verfasst (erschienen im Claudius-Verlag, ISBN 978-3-532-62821-8). Auch er verweist darauf, dass das Kopftuch „keine religiöse Vorschrift ist, sondern eine kulturelle und gesellschaftliche Vorschrift, die männliche Herrschaft, unterstützt von Vertretern des politischen und konservativen Islam, realisieren will“.

Ourghi zum VOLKSBLATT: „Es ist wirklich traurig: Im Iran und einigen nordafrikanischen Ländern demonstrieren Frauen gegen das Kopftuch als Symbol der Unterwerfung und gegen die Herrschaftsstrukturen der Männerwelt und hier bei uns wird im Namen einer missverstandenen Toleranz die Freiheit mit Unterdrückung verwechselt“.

Von Manfred Maurer

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