
Die linksgerichtete Sinn Fein (SF) liegt nach der irischen Parlamentswahl klar in Führung. Bis Montagfrüh konnte sich die Oppositionspartei 29 der 78 vergebenen Mandate sichern, nur um eines weniger als die beiden bürgerlichen Parteien Fine Gael (FG) und Fianna Fail (FF) zusammen. Damit schien ein Sieg in Reichweite. SF-Chefin Mary Lou McDonald stellte bereits am Samstag den Regierungsanspruch.
Insgesamt hat das irische Parlament (Dail) 160 Sitze. Weil die SF nur 42 Kandidaten aufgestellt hatte, waren Experten davon ausgegangen, dass sie in der Endabrechnung hinter FG und FF zurückfallen würde. Das starke Abschneiden der Partei in den ersten Auszählungsrunden lässt nun aber sogar einen Wahlsieg möglich erscheinen. SF, FG und FF dürften nach Vergabe aller Mandate jeweils rund 40 Sitze im 160-köpfigen Parlament haben.
Bei den Erststimmen hatte die für eine Wiedervereinigung Irlands kämpfende Partei mit 24,5 Prozent die beiden Traditionsparteien (22,2 bzw. 20,9 Prozent) klar hinter sich gelassen, womit erstmals seit der Staatsgründung im Jahr 1920 eine Linkspartei den größten Stimmenanteil erreichte.
Die FF von Oppositionsführer Micheal Martin lag nach dem Zwischenergebnis bei 16 Mandaten, die FG von Ministerpräsident Leo Varadkar nur bei 14 Mandaten. Varadkars Tage als Regierungschef dürften damit gezählt sein. Er hatte darauf gehofft, eine Regierung mit den Grünen bilden zu können. Noch im November hatte er Türkis-Grün gegenüber der APA als “Prototyp” für Europa bezeichnet und gemeint: “Wir beobachten das.”
Die Grünen lagen nach dem Zwischenergebnis bei fünf Mandaten und dürften in der Endabrechnung zweistellig werden. SF-Chefin McDonald sagte am Sonntagnachmittag, dass sie bereits Kontakt mit den Grünen, den Sozialdemokraten und der Linkspartei “Solidarity – People Before Profit” über die Bildung einer Regierung aufgenommen habe. Zugleich kritisierte sie die ablehnende Haltung von FF und FG. Man könne nicht eine Partei, die von einem Viertel der Iren gewählt worden sei, ausschließen, sagte sie.
Während Varadkar sein Nein zu einer Koalition mit der Linkspartei bekräftigte und auf programmatische Differenzen verwies, war bei rechtsliberalen FF ein Aufweichen der ablehnenden Position zu erkennen. Parteichef Martin vermied am Sonntagabend ein klares Nein, während führende FF-Abgeordnete sogar Sympathien für eine Zusammenarbeit mit der Linkspartei äußerten. Der Abgeordnete Eamon O Cuiv sagte, dass in Fragen der öffentlichen Dienstleistungen und der Wirtschaftspolitik “mein Herz Sinn Fein viel näher steht” als Fine Gael.
In der rechtsgerichteten Oppositionspartei gibt es zudem auch strategische Vorbehalte gegen eine Große Koalition mit Varadkars FG. Vor dem Hintergrund der Brexit-Krise hatte die FF die Minderheitsregierung Varadkars in den vergangenen vier Jahren gestützt und damit der Sinn Fein die Oppositionsbühne überlassen. Nach Ansicht von Beobachtern machte dies erst den spektakulären Erfolg der Linkspartei möglich. Entsprechend sagte ein FF-Politiker am Sonntagabend zur Möglichkeit einer Großen Koalition mit der FG: “Dann können wir gleich zusperren.” Stattdessen wurde innerhalb der rechtsliberalen Partei sogar die Möglichkeit ins Spiel gebracht, eine von der SF geführte Linksregierung zu dulden.