Finanzminister Magnus Brunner (ÖVP) wird in der neuen EU-Kommission für Migration und Inneres zuständig sein. Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen präsentierte am Dienstag in Straßburg ihre Liste mit den Namen ihres neuen Teams und den zugeteilten Portfolios. Sechs Exekutiv-Vizepräsidentinnen und -präsidenten für die besonders relevanten Themen sind vorgesehen, davon sind vier Frauen und zwei Männer. Von der Leyen betonte, dass ihrem Team 40 Prozent Frauen angehörten.
Von der Leyen sagte in ihrer Pressekonferenz, sie sei überzeugt, dass Brunner das ihm zugewiesene Dossier Migration „exzellent beherrschen“ werde. Für alle Kandidierenden gelte, dass sie Kommissarinnen und Kommissare sein würden, die politische Verantwortung tragen und keinen technischen Hintergrund haben müssten: „Brunner hat einen juristischen Hintergrund und einen ausgezeichneten Hintergrund als Minister.“
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Brunner selbst sagte laut Aussendung: „Es ist mir eine Ehre, von Präsidentin Ursula Von der Leyen das Portfolio für innere Sicherheit und Migration in der EU-Kommission übertragen bekommen zu haben. Dieser Bereich ist zentral für die Zukunft und das Funktionieren der Europäischen Union.“ Österreich habe sich in Europa klar zur inneren Sicherheit positioniert und bekämpfe erfolgreich die illegale Migration. „Vor uns liegen große Herausforderungen, aber auch Chancen, Europas Werte und Sicherheit zu stärken.“
Brunner will das Vertrauen in die europäische Asyl- und Migrationspolitik stärken. „Das wird nicht einfach, da man natürlich die Interessen von 27 Mitgliedstaaten unter einen Hut bringen muss“, sagte der Finanzminister am Dienstagabend in Wien. „Aber es gibt mittlerweile in ganz Europa einen Konsens, dass es eine Art Zeitenwende in der Asylpolitik auch braucht.“ Zu seinem künftigen Aufgabengebiet sagte er: „Ich war überrascht, ich war positiv überrascht, weil es doch eine der wichtigsten und zentralsten Aufgaben in den nächsten Jahren sein wird.“
Als Vizepräsident für Kohäsion, Regionalpolitik und Reformen wurde der umstrittene Italiener Raffaele Fitto der Rechtsaußenpartei Fratelli d’Italia von Regierungschefin Giorgia Meloni gesetzt. Die Spanierin Teresa Ribero erhält das Ressort Wettbewerb und soll für grünen und digitalen Wandel zuständig sein. Die Finnin Henna Virkunen wird Vizepräsidentin für Souveränität und Sicherheit. Der französische Außenminister Stéphane Séjourné erhält das gewichtige Ressort für Industrie, Binnenmarkt und kleinere und mittlere Betriebe. Die rumänische EU-Abgeordnete Roxana Minatzu erhält die Bereiche Bildung und Skills. Die letzte im Bunde ist die EU-Chefdiplomatin Kaja Kallas.
Der derzeitige slowakische Vizepräsident Maroš Šefčovič erhält das neue Portfolio für Handel und wirtschaftliche Sicherheit. Auch das bisherige Kommissionsschwergewicht Valdis Dombrovskis erhält mit Produktivität und Wirtschaft erneut ein Schlüsselressort. Der bisherige Erweiterungskommissar Olivér Várhely ist in Zukunft für Gesundheit und Tierwohl zuständig. Der Niederländer Wopke Hoekstra bleibt Kommissar für Klima und sauberes Wachstum. Mit Litauens Ex-Premierminister Andrius Kubilius erhält die EU-Kommission erstmals ein Ressort für Verteidigung.
Die Slowenin Marta Kos, die von Seiten Sloweniens noch nicht formell bestätigt ist, soll Erweiterungskommissarin werden. Portugals Ex-Finanzministerin Maria Luís Albuquerque erhält das Ressort für Finanzmarkt und Investitionsunion, für das auch Brunner im Gespräch war. Rechtsstaatlichkeit und Justiz erhält der Ire Michael McGrath, Landwirtschaft der Luxemburger Christophe Hansen. Der polnische EU-Botschafter Piotr Serafin wird das Haushaltsressort von Johannes Hahn (ÖVP) übernehmen.
Von der Leyen besprach Dienstagfrüh zuerst mit den Fraktionsvorsitzenden der EU-Parlamentsparteien ihre Liste. Die Präsentation der neuen EU-Kommission war bis zuletzt unsicher: Nach dem plötzlichen Rückzug des französischen EU-Kommissars Thierry Breton und der Nachnominierung von Außenminister Stéphane Séjourné am Montag fehlte weiterhin die formelle Nominierung der slowenischen Kandidatin Kos. Nach der Präsentation der Liste ist das EU-Parlament am Zug: Die Anhörungen der Kommissionsanwärter in den zuständigen Fachausschüssen könnten Mitte Oktober starten. Die gesamte Kommission muss final vom Parlament abgesegnet werden, bevor sie planmäßig mit 1. Dezember starten kann.
Bundeskanzler Karl Nehammer (ÖVP) zeigte sich hoch erfreut über die Entscheidung, Brunner zum Migrationskommissar zu machen. Brunner werde „mit einem der wichtigsten und einflussreichsten Dossiers betraut“, sagte Nehammer am Dienstag vor Journalisten. Zu Fragen nach Brunners inhaltlicher Kompetenz betonte er, dass dieser „hoch qualifiziert für diese Funktion“ sei, weil er ein „Verbinder“ sei. Innenminister Gerhard Karner (ÖVP) sagte, die Betrauung von Brunner als Innen- und Migrationskommissar zeige, „dass Österreich in diesem Bereich viel zugetraut wird, weil wir die ersten waren, die Probleme angesprochen und Lösungen vorangetrieben haben“. Auch Europaministerin Karoline Edtstadler (ÖVP) sieht in der Ernennung ein „wichtiges Zeichen“, nachdem „wir das Thema wieder auf die europäische Agenda gebracht haben“.
„Dieser Bereich ist eine der zentralen Herausforderungen für die Zukunft und Sicherheit der Europäischen Union“, schrieb der amtierende österreichische EU-Kommissar, Johannes Hahn (ÖVP), zum Portfolio für Brunner. Reinhold Lopatka, ÖVP-Delegationsleiter im Europaparlament, sieht eine Schlüsselaufgabe für Brunner, der „mit langjähriger politischer Erfahrung“ ein „Gewinn für die EU-Kommission“ sei. „Das brachte ihm das wichtige Ressort ‚Innere Angelegenheiten und Migration‘ ein, dem mit der Umsetzung des Asyl- und Migrationspakts eine Schlüsselaufgabe zukommt“, so Lopatka.
FPÖ-Chef Herbert Kickl postete auf Facebook: „In Wahrheit bräuchte es einen Kommissar für REMIGRATION anstatt für Migration. Damit es endlich eine ‚Festung Europa‘ gibt – so wie es Australien schon macht. Aber dafür hat die ÖVP eben kein Personal.“ Als „Kabinett des politischen Grauens“ bezeichnete FPÖ-Delegationsleiter Harald Vilimsky die neue EU-Kommission in einer Aussendung: „Mit einer handverlesenen Wahl brüsselhöriger EU-Zentralisten sowie Eurokraten droht der gesamte Kontinent noch stärker eine negative Entwicklung zu nehmen.“ „Mit der Nominierung von Brunner sei “die Gefahr hoch, dass der gesamte Migrationsirrsinn mit Asyl- und Sozialbetrug munter weitergeht“. Vilimsky hofft, dass mit den Nationalratswahlen auch eine Änderung für Österreich in der EU-Kommission möglich werden könnte, statt eines Zuwanderungskommissars Brunner ein „Remigrationskommissar“. Als „Remigration“ bezeichnen Rechtsextreme die massenhafte Deportation von Menschen mit Migrationshintergrund.
Für SPÖ-Europasprecher Jörg Leichtfried ist die Entscheidung der EU-Kommissionspräsidentin zu Brunner „durchaus überraschend“: „Offenbar wollte die Kommissionspräsidentin dem österreichischen ÖVP-Finanzminister nicht näher liegende Themen wie Wirtschaft oder Finanzen anvertrauen. Vielleicht nicht ganz unverständlich angesichts der Bilanz Brunners.“ Was es dringend brauche, „sind eine solidarische und faire europäische Verteilung und Zusammenarbeit sowie das Einhalten des europäischen Rechts“. SPÖ-Delegationsleiter Andreas Schieder kommentierte: „Mit dieser Aufgabe steht Brunner vor einer großen Herausforderung, bei der er unter Beweis stellen muss, dass er mehr kann als destruktive Migrationspolitik betreiben, wie die ÖVP es in den letzten Jahren getan hat.“
Der NEOS-Delegationsleiter im EU-Parlament, Helmut Brandstätter, sieht das Portfolio für Brunner als Signal und europäischen Auftrag an eine künftige Bundesregierung. Die ÖVP sei in den vergangenen Jahren immer wieder als Blockierer aufgefallen. „Vor allem das Schengen-Veto der ÖVP in Bezug auf die Länder Rumänien und Bulgarien hat dazu geführt, dass wir immer noch keine lückenlose und einheitliche Außengrenze haben.“
Der grüne Delegationsleiter, Thomas Waitz, gratuliere Brunner zu seiner neuen Aufgabe, „die groß und herausfordernd ist“. Waitz: „Ich erwarte mir, dass er die Europäischen Menschenrechtskonvention und das Genfer Flüchtlingsabkommen hochhält und ein gemeinsames Vorgehen der Mitgliedsstaaten forciert.“
Der Präsident der Europäischen Bewegung Österreich (EBÖ), Christoph Leitl, sagte: „Das ist eine Chance für Österreich, nämlich aus Kritik Mitwirkung zu machen!“ Die Migrationsforscherin Judith Kohlenberger schrieb auf X: „Man darf gespannt sein, wie sich der neue EU-Kommissar für Inneres und Migration zum (auf dem Landweg weiter aufrechten) Schengen-Veto Österreichs gegen Rumänien und Bulgarien positionieren wird.“
Der Migrationsexperte Gerald Knaus sagte den „Vorarlberger Nachrichten“ (Online-Ausgabe vom Dienstag), Brunner sei „sozusagen die letzte Chance der EU“. Knaus: „Wenn es dieser Kommission nicht gelingt, Schengen und Asyl zu regeln, dann ist Schengen Geschichte.“ Die EU habe im Bereich Migration zehn Jahre lang Pläne verfolgt, die sehr wenig bewirkt hätten. Es sei daher „nicht schlecht, wenn jemand von außen kommt, der nicht schon lange am Thema arbeitet. Er kann sich ansehen, was objektiv gut funktioniert hat und weshalb wir mit so vielen Plänen, die gut klingen, gescheitert sind.“