Ansichten eines bekennenden Europäers

Am Freitag feiert der Unternehmer, LH-Stv. a. D. und Ex-WKO-Präsident Christoph Leitl seinen 75. Geburtstag

PK STERREICHISCHER WIRTSCHAFTSBUND (WB)

VOLKSBLATT: Sie vollenden am Freitag ihr 75. Lebensjahr. Worauf sind Sie in ihrer langen Laufbahn als Politiker und Sozialpartner besonders stolz und was würden Sie aus heutiger Sicht nicht mehr oder anders machen?

LEITL: Rückblickend ist man immer klüger und würde vielleicht das Eine oder Andere anders machen. Aber ich bin stolz darauf, das ich in all meinen Funktionen immer das Miteinander gesucht habe und vielen kleinen und mittleren Betrieben Mut machen konnte.

Kürzlich ist Ihr neues Buch „Europa und Ich“ erschienen, in dem Sie sich mit der EU, einem ihrer Lieblingsthemen, beschäftigen. Sehen Sie der Europa-Wahl im Juni angesichts des Erstarkens EU-kritischer Parteien mit Sorge entgegen?

In Österreich gibt es zu viel EU-Kritik, wir übersehen das Positive, denn Österreich ist Gewinner des Beitritts und der Erweiterung. Mir macht Sorgen, dass Parteien des Zentrums versuchen, den Flügeln nachzueifern anstatt eine Zentrums-Europapolitik zu machen. Das heißt, österreichische Ideen einzubringen, dafür Verbündete zu suchen und es über die europäische Ebene umzusetzen.

In Österreich ist eine mögliche Aufnahme weiterer Staaten in die EU wie Bosnien, Albanien oder vielleicht auch die Ukraine unpopulär. Sollte man den Weg der Erweiterung trotzdem weitergehen?

Es gibt für den Beitritt zur EU ganz klare Beringungen, und wenn diese erfüllt werden, dann sind solche Länder eine Bereicherung. Wenn Sie die Bedingungen nicht erfüllen, steht ein Beitritt nicht zur Diskussion.

Skeptiker meinen, eine neuerliche Erweiterung der EU – speziell der Beitritt der Ukraine – wird finanziell schwer zu stemmen sein? Inwieweit gilt es zwischen politischen und wirtschaftlichen Überlegungen abzuwägen?

Die Ukraine muss die Bedingungen ebenso erfüllen wie die anderen Beitrittskandidaten.

Trotz Sanktionen der EU und Waffenlieferungen aus Europa und den USA sitzt Russlands Präsident Putin weiter fest im Sattel. Gibt es eine Alternative zur derzeitigen Strategie und besteht eine Chance auf Entspannung?

Auf der einen Seite muss man die Ukraine voll und ganz unterstützen, sonst gewinnt Putin das Match. Auf der anderen Seite muss auch die Diplomatie, die bis jetzt keine rühmliche Rolle gespielt hat, Gesprächskanäle ermöglichen, die zu einem Dialog führen. Denn jeder Konflikt muss ja einmal ein Ende haben. Daher ist mein Vorschlag, den ich auch im neuen Buch gemacht habe, Jean-Claude Juncker als eine Art europäischen Henri Kissinger einzusetzen. Er sollte ausloten, wie eine Friedenslösung aussehen könnte, die dort anknüpft, wo wir schon einmal waren.

Ist Ursula von der Leyen die richtige Spitzenkandidatin der Europäischen Volkspartei oder bräuchte es Persönlichkeiten wie ihren Vorgänger Juncker?

Wäre ich an ihrer Stelle, würde ich Herrn Jucker beauftragen, zu sondieren.

Mit Donald Trump könnte in November ein weiterer Politiker neuerlich an die Macht kommen, der wenig EU-freundlich ist. Wie sollte Brüssel darauf reagieren?

Indem es selbstständiger wird. Wir sind derzeit ein Anhängsel der USA. Wir haben die Sicherheit an die USA delegiert und sind dafür politisch willfährig. Das kann sehr gefährlich werden, wenn die USA unter einem Donald Trump ernst machen und es zu einer Eskalation des Konflikts mit China kommt. Europa würde dann die Rechnung zahlen.

Glauben Sie, dass die KPÖ trotz der deutlichen Niederlage ihres Spitzenkandidaten bei der Stichwahl in Salzburg auch in anderen Städten bzw. auf Ebene der Länder und des Bundes zulegen wird?

Der KPÖ-Politiker hat in Salzburg immerhin ein gutes Drittel der Stimmen bekommen, aber nicht weil er Kommunist ist, sondern weil er sich um eine reale Lebenssituation der Menschen angenommen hat. So hat man im KPÖ-regierten Graz die Energiepreise nur geringfügig erhöht, während andere Energieversorger anderswo die Preise massiv erhöht haben und dann Gewinnexplosionen bekannt gegeben haben. Das frustriert die Menschen.

Ihr Nachfolger an der WK-Spitze hat sich gemeinsam mit dem Gewerkschaftsvertreter Muchitsch für den Vorschlag eines 100.000 Euro-Zuschuss für Häuslbauer heftige Kritik einstecken müssen. Zurecht?

Ich finde den Vorschlag vernünftig, weil Steuersenkungen wünschenswert sind, um eine wirtschaftliche Belebung zu erreichen und Leistbarkeit zu ermöglichen.

Aber die soziale Treffsicherheit war nicht gegeben.

Dann muss man sie eben herstellen.

Wie sehen Sie als Präsident des Internationalen Kultur- und Wirtschaftsforum Linz (IKW) die Aufregung um den freigestellten Brucknerhaus-Intendanten Kerschbaum?

Ich möchte eine Vorverurteilung vermeiden. Wir müssen viel rascher derartige Vorwürfe klären, weil ansonsten die Menschen beschädigt werden und nötigenfalls auch Konsequenzen ziehen. Das IKW ist nicht betroffen. Ich sehe, das Kerschbaum das Brucknerjahr national und international so positioniert hat, dass es eine großartige Leistung für Linz, Oberösterreich und Österreich darstellt. Das wird aber völlig ignoriert.

Mit Christoph Leitl sprach Heinz Wernitznig

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