„Der Kompromiss ist in der Demokratie das Beste“

Landtagspräsident Maximilian Hiegelsberger zieht Bilanz über herausforderndes Politik-Jahr 2022

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Hiegelsberger_Schicho_1.jpg © VB/Korntner

VOLKSBLATT: Ein herausforderndes Jahr geht zu Ende. Wie gut hat sich der Landtag in den Krisen von Pandemie bis zur Teuerung gemacht?

HIEGELSBERGER: Mit Ende des vergangenen Jahres hat man geglaubt, dass man wieder in „normale“ Zeiten kommen. So hat die Abarbeitung der wirtschaftlichen Folgen der Pandemie sehr gut funktioniert, im ersten Quartal ist die Wirtschaft durchgestartet. Dann kam der Krieg und wir sind wiederzurückgeworfen worden. Und auch, wenn manche sagen, man hätte es kommen sehen: Aber die Welt hat sich schon vor Corona geändert, dann durch die Pandemie und der Krieg hat wieder zu Veränderungen geführt. Die alten Rezepte passen nicht mehr. Und darum ist so interessant und natürlich auch schwierig, politische Lösungen zu finden.

Was war 2022 das Highlight im Landtag?

Wir haben heuer geschafft, zwei gemeinsame Erklärungen zu formulieren. Und auch die Rückkehr in das Landhaus war notwendig. Der parlamentarische Alltag, die Debatten und die Abstimmungen waren im U-Hof einfach schwieriger.

Die Krisen haben nicht unbedingt zu einem Schulterschluss geführt, sondern es scheint, als wären die Gräben in der Gesellschaft aber auch in der Politik tiefer geworden. Wie gut ist das politische Klima in Oberösterreich?

Die Wahl brachte Ergebnisse, die sich vermutlich manche Parteien nicht erwartet haben und nach der Wahl wird nun darum gerungen, wie man sich in dieser Periode aufstellen soll. Diese Selbstfindungsphase sollte bei den Parteien aber langsam abgeschlossen sein.

Wie kann die Politik Vertrauen zurückgewinnen?

Es geht erstens darum, nachvollziehbar zu machen, warum welche Entscheidung getroffen wurde. Es muss für die Menschen einen Sinn ergeben. Dass es am Weg dahin im politischen Wettbewerb unterschiedliche Zugänge und Vorschläge gibt, das ist Demokratie. Und am Ende steht in der Demokratie der Kompromiss – der Kompromiss ist in der Demokratie das Beste. Es geht nicht darum, dass sich eine Partei zu 100 Prozent durchsetzt, sondern darum wohin wollen wir und wie kommen wir dorthin.

Seit einem Jahr sind sechs Fraktionen im Landtag vertreten, davon sitzen zwei nicht in der Regierung und zwei Fraktionen halten sich trotz Regierungssitz für Opposition. Ist das Proporzsystem noch zeitgemäß?

Ich bin ein Verfechter des Proporzes, weil es die Zusammenarbeit fördert, wenn ich ab einer gewissen Stärke automatisch Regierungsverantwortung trage.

Hat der Landtag genug Kontrollmöglichkeiten? Braucht der Landtag — wie von der SPÖ gefordert — einen Budgetdienst?

Die Bedeutung von Transparenz und Kontrolle steht außer Streit. Der von der SPÖ Oberösterreich geforderte Budgetdienst existiert bereits in Grundzügen, denn jede Fraktion kann bei der Finanzabteilung Expertise anfordern und sich die Zahlen aufbereiten lassen. Diese Serviceleistung kann man sicher noch aufwerten. Die Anbindung des Budgetdienstes beim Landesrechnungshof ist nicht zielführend, da sonst unterschiedliche Aufgaben vermischt werden.

Zumindest von einer Fraktion wird das „Anfragen-Limit“ bekrittelt. Reichen die derzeitigen Vorgaben?

Darüber kann man sicher reden und es gibt einen eigenen Unterausschuss, der sich mit diesen Fragen beschäftigt. Ein bisschen problematisch ist es aber, die Geschäftsordnung – quasi die Spielregeln —, während der Legislaturperiode zu ändern.

Die Digitalisierung ist auch im Landtag längst eingezogen. Welche Schritte gab es bisher und was wird in näherer Zukunft passieren?

Der digitale Landtag ist ein Meilenstein und macht den Landtag nachvollziehbar und transparent. Und wir sind Pioniere in Zusammenarbeit mit dem Fraunhofer-Institut bei der Textierung. Dieses Pilotprojekt ist für die Inklusion unglaublich wichtig. Auch die Möglichkeit, dass jeder Bürger Petitionen digital einbringen kann, ist in Österreich einzigartig. Und auch die Veröffentlichung der schriftlichen Anfragen wird die Transparenz erhöhen.

Ein weiteres Thema ist es, die Jugend für Demokratie fit zu machen. Kann man die Teenager von heute für die Politik begeistern? Und wie?

Es wäre wichtig, dass man klar macht, dass Demokratie nicht nur in der Politik stattfindet, sondern in allen Lebensbereichen. So kommt es auch in den Familien, in den Vereinen und Organisationen zu Entscheidungsprozessen, wo abgestimmt wird. Und entscheidend ist, dass die, die überstimmt werden, nicht beleidigt sind und sagen, da tue ich nicht mehr mit, sondern den Mehrheitsentscheid zur Kenntnis nehmen.

Hat sich das durch Corona verändert?

Leider. Es wird immer öfter geglaubt, dass, wenn du nicht meiner Meinung bist, bist du automatisch mein Gegner. Das ist nicht Demokratie. Im Sportverein, in der Landjugend oder in anderen Vereinen ist es auch nicht so, dass die Nichtgewählten beleidigt sind. Und natürlich muss man dieses Bewusstsein bei den Jugendlichen fördern, darum gibt es bei uns die Demokratiewerkstatt, die wird im nächsten Jahr auch für die Sekundarstufe angeboten. Auch die Zusammenarbeit mit den Schulen ist sehr positiv, wir waren beim Budgetlandtag ausgebucht. Einen großen Dank an die Lehrkräfte. Ab nächstem Jahr wird es auch mit der Pädagogischen Hochschule der Diözese einen Lehrgang zur Demokratiebildung geben. Denn wir müssen auch den Lehrern ein Werkzeug geben und schauen, dass es keine Hemmschwelle in den Landtag gibt.

Welche Vorsätze haben Sie persönlich für das neue Jahr?

Dass wir zeigen können, dass die Politik weiß, was notwendig ist und die Entscheidungen auch in dieser Form getroffen werden. Demokratie ist kein Wunschkonzert und es geht bei Demokratie auch nicht um Schnelligkeit. Und wir wollen auch wieder als Landtag in die Bezirke rausgehen. Und wir wollen auch den Dialog mit der Wissenschaft forcieren.

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