„Die Geschichte lehrt, dass man nichts daraus lernt“

Nationalratspräsident Wolfgang Sobotka hält nichts vom „moralischen Drohen mit der historischen Keule“

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VOLKSBLATT: Der Mai ist auch der Monat der Gedenktage. Welcher ist für Sie der wichtigste?

SOBOTKA: Es gibt kein Ranking von Gedenktagen, hinter jedem steht eine eigene, ganz besondere Bedeutung. Der Gedenkmonat beginnt mit dem 1. Mai, welcher bewusst machen soll, wie sinnstiftend Arbeit ist. Am 3. Mai begehen wir den Tag der Pressefreiheit. Der 5. Mai erinnert an die Befreiung des Konzentrationslagers Mauthausen, der 8. Mai an das Ende des Zweiten Weltkrieges auf unserem Kontinent, der 9. Mai ist Europatag. Am 15. Mai wurde unser Staatsvertrag unterzeichnet … also da kann man beim besten Willen kein Ranking vornehmen.

Was kann und soll man aus der Geschichte lernen?

Die Geschichte lehrt, dass man nichts daraus lernt. Dennoch wiederholt sich Geschichte nie. Man muss sich mit der Geschichte auseinandersetzen, vor allem mit der eigenen, um die Konsequenzen zu verstehen. Es geht darum zu analysieren, wo man in der Vergangenheit falsch abgebogen ist, wo die Wege hinführen und in welche Richtung wir heute gehen. Das bloße moralische Drohen mit der historischen Keule halte ich für falsch. Ich lehne auch Vergleiche mit dem Nationalsozialismus grundsätzlich ab.

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Sie touren auch als Botschafter der Demokratie durch Österreich. Wenn man bei einer Sitzung im Nationalrat zuhört, ist das aber oft keine Werbung. Kann man das ändern?

Natürlich gibt es immer Luft nach oben. Im Vergleich mit den anderen Parlamenten in Europa sehe ich Österreich jedoch bei Sitzungsstruktur, Öffentlichkeit oder Debattenkultur im oberen Drittel angesiedelt. Auch historisch gesehen sind wir gut unterwegs: Im 19. Jahrhundert wurden hierzulande Sitzungen durch das Klappern auf den Bänken so gestört, dass sie unterbrochen werden mussten. Manche Abgeordnete nahmen sogar Instrumente mit, um Debatten zu boykottieren. Im Vergleich dazu finden Sitzung heute deutlich respektvoller statt. Man sieht im Fernsehen ja nur die Spitze des Eisbergs: In den Ausschüssen wird mitunter kontrovers, aber durchwegs sachlich diskutiert. Sobald Kameras anwesend sind, wollen manche Politiker anscheinend eine Schlagzeile produzieren. Das geht eben mit einer pointierten Aussage einfacher, der schrillste Sager schafft es auf die Titelseite.

Würden Sie gerne, wie im Deutschen Bundestag üblich, den Ordnungsruf mit einer Strafe versehen?

In Deutschland hat sich dieses System bewährt, bei uns halte ich es nicht für notwendig.

Keine echte Werbung war der U-Ausschuss …

Da gebe ich Ihnen bis zu einem gewissen Grad recht. Ein Untersuchungsausschuss ist das schärfste Schwert der Opposition. Geklärt werden sollen die politischen Verantwortlichkeiten. Bei uns geht es im U-Ausschuss meist darum, jemanden festzumachen, um ihn dann mit einer Falschaussage vor Gericht bringen zu können. Leider war das Bild in der Öffentlichkeit nicht immer ein Optimales.

Welche Änderungen wären notwendig ?

Es braucht Reformschritte, das ist klar. Es scheppert nie eine Münze allein. Wenn sich alle darauf verständigen, auch im U-Ausschuss Reformen der Geschäftsordnung vorzunehmen, wäre sicher vielen geholfen. Der Präsident sorgt nur für die Einhaltung dieser Geschäftsordnung, er ist aber sicher nicht der Oberschiedsrichter. Ich muss dafür sorgen, dass die Gespräche zwischen den Fraktionen gefördert werden, darum bemühe ich mich auch sehr intensiv.

Die Opposition hat Sie auch immer wieder persönlich attackiert. Wie geht man damit um? Perlt das ab?

Wie mit jeder Kritik: Man überlegt, ob ist sie berechtigt ist und setzt entsprechende weitere Schritte. Auch ich reflektiere selbstkritisch und nehme mir vor, aus meinen Fehlern zu lernen.

Durchaus positiv wird das renovierte Parlament aufgenommen. Es wird regelrecht von Besuchern gestürmt. Wie stolz sind Sie auf die Sanierung?

Stolz ist das falsche Wort, aber wir sind sehr zufrieden, dass die Sanierung trotz der Pandemie in einem vernünftigen zeitlichen und finanziellen Rahmen abgeschlossen wurde. Außerdem hat sich das Bewusstsein verändert: Das Parlament ist nicht nur das Haus der 183 Abgeordneten, es ist das Haus aller Österreicher. Demokratie lebt von Beteiligung, deswegen laden wir alle Bürger ein, in das Besucherzentrum zu kommen oder Sitzungen beizuwohnen und mitzudiskutieren. Unsere Türen stehen von Montag bis Samstag ab 9 Uhr und donnerstags sogar bis 21 Uhr offen. Wir freuen uns, dass dieses Angebot von den Menschen auch so rege angenommen wird.

Sie sind nicht nur im Parlament Dirigent …

Im Parlament dirigiert man nicht und führt auch nicht Regie. Es ist im Wesentlichen alles durch die Geschäftsordnung vorgegeben. Der Spielraum für einen Präsidenten ist sehr klar definiert. Der Vergleich mit dem Dirigenten trifft also nicht zu …

… aber zumindest in Waidhofen schwingen Sie den Taktstock.

Jeden Freitag. Da bereiten wir gerade Antonin Dvoraks 9. Symphonie „Aus der neuen Welt“ und Schuhmanns Cello-Konzert vor. Im Herbst steht das Brahmsrequiem mit einem Bariton aus dem Linzer Musiktheater, Michael Wagner, am Programm. Im November feiern wir 50 Jahre Orchesterverein und dann kommt schon das Neujahrskonzert.

Sie sind auch begeisterter Camper: Wohin geht es heuer?

In den Süden, genauer gesagt nach Italien, auf einen Campingplatz, den wir schon kennen. Nach den touristischen Reisen durch Frankreich und Dänemark nutzen wir heuer die zwei Wochen, um wirklich zu entspannen.

Mit Nationalratspräsident WOLFGANG SOBOTKA sprach Herbert Schicho

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