Die Normalität des Abnormalen

Wenn Männer Miss-Wahlen gewinnen dürfen, muss auch Kopfschütteln darüber erlaubt sein

Findet Nemo sich männlich oder weiblich? Der Clownfisch beantwortet das einmal so, einmal so, was sich die queere Szene auch als menschliche Normalität wünscht.
Findet Nemo sich männlich oder weiblich? Der Clownfisch beantwortet das einmal so, einmal so, was sich die queere Szene auch als menschliche Normalität wünscht. © LFChavier - stock.adobe.com

Vieles, was heute als abnormal gilt, war einmal normal. Insofern lag Werner Kogler mit seinem die katholische Kirche verärgernden Verweis auf die in grauer Vorzeit üblichen Hexenverbrennungen nicht ganz falsch. Der grüne Vizekanzler hätte aber auch ein ihm näher liegendes Beispiel wählen können: In den freizügigen 70ern war Pädophilie für manche Grüne ein Akt der Überwindung gesellschaftlicher Zwänge. In Deutschland forderten sie gar die Legalisierung von einvernehmlichem Sex mit Kindern. Heute würde wohl auch Kogler Derartiges für abnormal erklären.

Es gibt also immer so etwas, wie das Abnormale, auch wenn dessen Definition eine Tochter der Zeit ist. Vor ein paar Jahren waren blanke Busen am Badesee so normal wie davor undenkbar. Inzwischen schlägt das Pendel wieder in die andere Richtung. Neuerdings sieht man sogar in Saunen immer öfter Menschen in Badehose oder Bikini. Vielleicht schon zur Vorbereitung auf das, was da noch kommen mag. Denn manche träumen schon vom nächsten Normalitätssprung: Männer, die sich für Frauen halten, drängen in Damensaunen und ignorieren, dass die es biologische Frauen gibt, die nicht gemeinsam mit offensichtlichen Y-Chromosomisten schwitzen wollen.

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Intolerante Pseudotoleranz

Im Eifer des Kampfes für mehr Toleranz der anderen kann die eigene Toleranz schon einmal unter die Räder geraten. Da gibt es dann halt kein Pardon für auf ihrer XX-Chromosom-Exklusivität bestehende Frauen. Frau soll sein, wer sich dazu erklärt. Wir bewegen uns gerade auf diese neue Normalität zu. Punktuell sind wir schon mitten drin. Vor ein paar Tagen wurde ein vor Kurzem umoperierter Mann zur „Miss Niederlande“ gekürt. Wer subjektiv meinte, die Zweitplatzierte sei viel fescher, ist nur gefangen in einem sexistischem Zwang zur Überbetonung von Äußerlichkeiten. Die bloße Fleischbeschau bei Misswahlen war früher normal, heute geht es auch um die Originalität der von Bewerberinnen vermittelten Botschaft. Und was ist origineller, als eine Bewerberin, die eigentlich ein Bewerber ist?

Der Ordnung halber ist in diesem Fall darauf hinzuweisen, dass die neue „Miss Niederlande“ sich keinesfalls als Kandidat, sondern als Kandidatin betrachtet hatte. Und: Es bestand offenbar breiter Jury-Konsens, das Ergebnis der Geschlechtsumwandlungsoperation für eine vollwertige Frau zu halten.

Nemo wird Nema

Wer nicht begreifen will, dass ein paar Hormone und das operative Umstülpen des Penis den Mann zur Frau machen, oder dass es überhaupt genügt, sich einfach als Frau zu fühlen, wird gern auf die Flexibilität der Natur verwiesen. Tiervergleiche gelten zwar eigentlich als politisch unkorrekt, werden aber toleriert, wenn zum Beispiel der Clownfisch als Vorbild für die Fähigkeit zum sequentiellen Hermaphroditismus herhalten muss. Nemo findet, dass er erst ein Manderl, später ein Weiberl ist. Und Nemo wird dann wirklich Nema. Ginge es nach der queeren Szene, sollte, was im Tierreich recht ist, für die Krone der Schöpfung billig sein.

Wir wissen heute nicht, was morgen oder übermorgen für normal gehalten wird. Vor nicht allzu langer Zeit galt es noch als abnormal, wenn Männer Männer und Frauen Frauen heiraten. Heute ist das völlig normal und wer sich damit schwer tut, hält besser den Mund. Sonst setzt es einen Shitstorm.

Wer auf der Höhe der Zeit sein will, hat sich gefälligst auch darum zu bemühen, in Schrift und Sprache der von manchen für schier unerschöpflich gehaltenen Geschlechtervielfalt gerecht zu werden. Beim Gendern genügt längst nicht die Berücksichtigung des biologischen Normalfalles der geschlechtlichen Binärität.

Nichtsdestotrotz können viele, selbst eigentlich Tolerante, bei diesem rasanten Wandel der Normalitäten oft nicht mehr mit. Wenn Männer Misswahlen gewinnen, Frauenparkplätze besetzen, Damensaunen besuchen, Damentoiletten benützen und bei Damensportbewerben antreten dürfen sollen, indem sie sich einfach zu Frauen erklären, dann muss das Kopfschütteln über solche Entwicklungen erlaubt sein.

Wer ist da faschistoid?

Da wir es hier mit einem gesellschaftspolitischen Diskurs zu tun haben, braucht es auch eine politische Heimat für jene, die von der oktroyierten Normalität (noch) nicht überzeugt sind und vielleicht auch niemals zu überzeugen sein werden. Vor allem darf es nicht zur Normalität werden, jedes Infragestellen woker Normalitätsdiktate für prä- oder sonstwie faschistoid zu erklären. Schließlich sind gerade derartige Denkverbote ein Grundprinzip des Faschismus.

Eine Analyse von Manfred Maurer

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