Wenn am Wahlsonntag um 17 Uhr die letzten Wahllokale geschlossen haben, dauert es nicht lange, bis die ersten Hochrechnungen erstellt sind. Das Institut FORESIGHT, das die Hochrechnungen für den ORF und die APA erstellt, geht davon aus, dass kurz nach Wahlschluss erste Prognosen veröffentlicht werden können. Die Berechnungen dürften sich aber dieses Mal schwieriger gestalten als in den Jahren davor, so FORESIGHT-Leiter Christoph Hofinger. Grund ist eine Wahlrechtsänderung.
Denn mit der 2023 beschlossenen und im Jänner in Kraft getretenen Reform wird ein Großteil der Briefwahlstimmen bereits am Wahlsonntag selbst mitausgezählt. Erstmals der Fall war das bei der EU-Wahl vom 9. Juni. Erfahrungswerte können die Hochrechner daraus aber kaum ziehen. Denn anders als bei der Nationalratswahl wurden bei der Europawahl die Ergebnisse erst um 23 Uhr bekannt gegeben (wegen des EU-weiten späteren Wahlschlusses). Damit waren zum Zeitpunkt der Veröffentlichung bereits alle Sonntags-Stimmen ausgezählt, die Hochrechner konnten somit auf viele Daten zurückgreifen und mussten quasi nur mehr die restlichen Briefwahlstimmen hochschätzen und dem Ergebnis zurechnen.
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Am Nationalratswahlsonntag ist das anders: Nach 17 Uhr liegen wie üblich nur Ergebnisse der zu diesem Zeitpunkt schon ausgezählten Gemeinden vor – deren Zahl dürfte aber noch kleiner sein als bei den vorangegangenen Wahlen. Denn der Auszählungsvorgang wird aufgrund der nun schon am Sonntag mitauszuzählenden zahlreichen Briefwahlstimmen spürbar länger dauern.
Hofinger rechnet damit, dass mit der Wahlrechtsänderung ca. 80 Prozent der ausgestellten Wahlkarten bereits am Sonntag in den Heimatsprengeln der Wähler mitausgezählt werden. Damit dürften 800.000 oder sogar 900.000 Stimmzettel mehr auszuzählen sein als beim Urnengang 2019. Der FORESIGHT-Leiter geht davon aus, dass um bzw. knapp nach 17 Uhr die Hochrechnungen auf den Resultaten von nur einem Drittel der Stimmen basieren werden.
Die restlichen (Brief-)Wahlkartenstimmen – rund 15 Prozent der ausgestellten Karten – werden dann am Montag und Donnerstag gezählt. Weitere rund fünf Prozent der Karten werden den Erfahrungen nach nicht verwendet. Von den in der Woche nach der Wahl noch auszuzählenden Stimmen dürften in etwa vier Fünftel am Montag ausgezählt werden, auf den Donnerstag werden rund ein Fünftel entfallen. Die Hochrechnungen werden wie gewohnt auch diese noch ausständigen Briefwahlstimmen mitberücksichtigen, FORESIGHT lässt wieder eine Briefwahlprognose miteinfließen.
Hofinger und sein Team rechnen in den ersten Hochrechnungen nach 17 Uhr mit einer Schwankungsbreite von ca. zwei Prozentpunkten, genau werde man das erst am Wahltag wissen. Einzelne Fragen könnten zu diesem Zeitpunkt unter Umständen noch offen bleiben: Sollte es knapp hergehen, könnten etwa die Platzierungen der Parteien noch unsicher sein. Offen könnte auch die Frage sein, ob die Bierpartei die Vier-Prozent-Hürde für den Nationalratseinzug schafft oder nicht.
Aber auch nach Auszählung aller Sonntags-Stimmen bleibt noch eine – geringe – Restunsicherheit. Inklusive der Wahlkartenprognose haben die Hochrechnungen dann voraussichtlich noch eine Schwankungsbreite von rund 0,3 Prozentpunkten. Vor der Reform lag diese höher – nämlich bei etwa 0,7 Prozentpunkten.
Damit wird der Wahlausgang am Sonntag besser einzuschätzen sein als bisher. „Es kann aber natürlich trotzdem eine extrem knappe Geschichte sein“, erinnerte Hofinger an Szenarien früherer Wahlen, bei denen nur wenige Stimmen entscheidend waren: Etwa bei der Nationalratswahl 1999, als die FPÖ nur um 415 Stimmen mehr erhielt als die ÖVP und damit hauchdünn Platz zwei vor der Volkspartei erzielen konnte. Noch deutlich knapper ging es etwa bei der Landtagswahl im Burgenland zu, als die Liste Burgenland mit exakt 4,00 Prozent in den Landtag einzog – eine einzige Stimme weniger hätte gereicht, um diesen zu verpassen.
Nach Vorliegen des Urnenergebnisses am Sonntagabend ist die Platzierung der Parteien dann wohl fix, sofern inklusive der Briefwahlprognose ein Abstand von mindestens 0,6 Prozentpunkten vorliegt. Bei der Frage des Einzugs könnten sich Parteien am Abend des 29. September dann ganz sicher sein, wenn das Urnenergebnis plus Briefwahlstimmenschätzung ein Ergebnis von 4,3 Prozent oder höher prognostiziert, so Hofinger. Theoretisch ist es laut dem Experten auch möglich, dass erst nach der zweiten Runde der Wahlkarten-Auszählung am Donnerstag endgültige Klarheit herrscht.
Insgesamt werden die am Montag und Donnerstag auszuzählenden Wahlkartenstimmen nur einen Anteil von drei bis vier Prozent der insgesamt gültigen Stimmen ausmachen und damit deutlich weniger als davor (bisher etwa 20 Prozent).
Konkret werden am Sonntag all jene Wahlkarten gleich mitausgezählt, die bis etwa um die Mittagszeit am Freitag vor der Wahl bei den zuständigen Bezirkswahlbehörden eintreffen. Auch jene, die unmittelbar bei der Abholung bei den Gemeinden zur Stimmabgabe mittels Briefwahl verwendet und gleich wieder abgegeben wurden, sind bereits in der Sonntagsrunde dabei – das ist neu und die wesentliche Änderung der Reform.
Am Montag folgen dann jene Wahlkarten, die zwischen Freitagnachmittag und Sonntag (17 Uhr) an die Bezirkswahlbehörde übermittelt werden. Ebenso betroffen sind davon jene zur Briefwahl verwendeten Wahlkarten, die am Wahltag selbst in einem Wahllokal abgegeben werden – allerdings nur dann, sofern diese Wahlkarten aus dem eigenen Regionalwahlkreis stammen.
Am Donnerstag folgt dann die Auszählung der restlichen Wahlkarten: Jene, die nicht dem eigenen Regionalwahlkreis zugehören, werden der zuständigen Landeswahlbehörde zugeleitet, die die Stimmen dann auswertet. In die „Donnerstagsrunde“ kommen außerdem all jene Stimmen, die von Präsenzwählern mit Wahlkarte in einem anderen Wahllokal als dem „eigenen“ abgegeben werden.
Eine weitere Schwierigkeit der Hochrechnung besteht laut Hofinger darin, dass der Großteil der kurz nach 17 Uhr veröffentlichten Stimmen – mehr als die Hälfte – aus ländlichen Regionen stammen wird, weniger Resultate aus den Städten. Hofinger verwies diesbezüglich auch auf steigende Differenzen des Wählerverhaltens in städtischen und ländlichen Regionen. „Insofern wird die Hochrechnung schwieriger.“
Im Gegensatz zu der in den Jahrzehnten vor der Wiederholung der Bundespräsidentschaftswahl 2017 geübten Praxis des Innenministeriums, am Wahltag Teilergebnisse schon vor 17.00 Uhr an Medien und Forschungsinstitute weiterzugeben, wird dies am Sonntag erneut nicht möglich sein. Der Verfassungsgerichtshof hatte diese Vorgangsweise ja mit seinem Entscheid zur Stichwahl-Aufhebung für unzulässig erklärt.
Damit wurde die Arbeit der Hochrechner stressiger, denn damit können die Experten ihre Modelle nicht (wie früher) über einen längeren Zeitraum auf Plausibilität überprüfen. Stattdessen werden alle bis dahin vorliegenden Ergebnisse (ca. 30 bis 40 Prozent der Stimmen sind um diese Zeit ausgezählt) auf einen Schlag in die Computerprogramme eingespielt.