EU-Renaturierung bringt Koalition ins Wanken

Die türkis-grüne Koalition steht nach der Zustimmung der Grünen zum Renaturierungsgesetz auf EU-Ebene auf Messers Schneide. In der ÖVP ist man höchst verärgert über den Grünen Alleingang und kündigte rechtliche Schritte gegen den Koalitionspartner an. Ob man die Koalition so kurz vor der Nationalratswahl Ende September jetzt aufkündigt, ist vor allem eine wahlkampftaktische Frage. Kanzler Karl Nehammer (ÖVP) wird sich heute, Montag, um 17.00 Uhr äußern.

Der Koalitionszank um das EU-Renaturierungsgesetz schwelt schon länger – seit Wochen war man sich uneinig, inwiefern die Grüne Klimaschutzministerin Leonore Gewessler Einvernehmen mit den Bundesländern und dem Landwirtschaftsministerium herstellen müsste. Spätestens seit die Wiener Landesregierung vergangene Woche ihren Meinungsumschwung und damit die Zustimmung zum Renaturierungsgesetz formell bekräftigt hat, hat sich eigentlich abgezeichnet, dass Gewessler ernst machen wird. Am Sonntag kündigte Gewessler schließlich in einer kurzfristig einberufenen Pressekonferenz an, am Montag beim Treffen der EU-Umweltministerinnen und -minister in Luxemburg für das EU-Renaturierungsgesetz zu stimmen – was sie dann auch tat.

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Die ÖVP wirkte Sonntagnachmittag in der Kommunikation trotz der sich seit Tagen abzeichnenden Situation dennoch einigermaßen überrumpelt. Verfassungsministerin Karoline Edtstadler (ÖVP) warf Gewessler „Verfassungs- und Gesetzesbruch“ vor und kündigte „rechtliche Konsequenzen“ an – welche das sein sollen, konnte man in der Volkspartei am Sonntag allerdings nicht beantworten. Am Montag tat man dann schließlich kund, eine Nichtigkeitsklage beim EuGH und eine Anzeige gegen Umweltministerin Leonore Gewessler (Grüne) wegen Amtsmissbrauchs einzubringen – eine neue Eskalationsstufe.

Von einem „Koalitionsbruch“ wegen des grünen Alleingangs wollte man in ÖVP-Regierungskreisen bisher noch nicht sprechen. Nur Vorarlbergs Landeshauptmann Markus Wallner (ÖVP) platzte offenbar Sonntagabend der Kragen, er warf den Grünen öffentlich einen „klaren Koalitionsbruch auf Bundesebene“ vor. Verfassungsministerin Edtstadler sprach am Montag zwar von einer „veritablen Regierungskrise“. Ob die türkis-grüne Koalition damit am Ende sei, wollte sie aber nicht sagen: „Das wird man sich anschauen müssen.“ Mehr Klarheit sollte am späten Montagnachmittag herrschen: Um 17.00 Uhr wird Kanzler Nehammer eine Stellungnahme bei der Ständigen Vertretung Österreichs bei der EU in Brüssel abgeben. Andere Pressetermine mit ÖVP-Regierungsmitgliedern am Montag und Dienstag wurden unterdessen kurzfristig wieder abgesagt.

Dass bisher kein namhafter ÖVP-Bundespolitiker das Wort „Koalitionsbruch“ öffentlich in den Mund nahm, heißt aber nicht, dass nicht intern sehr wohl über einen Ausstieg aus der ungeliebten Koalition nachgedacht wird. Etliche in der Partei seien derart verärgert, dass sie aufs Schlussmachen drängen, war am Montag hinter vorgehaltener Hand zu hören. Dem gegenüber steht allerdings, dass es ohnehin nur mehr dreieinhalb Monate bis zur Nationalratswahl sind. In der verbleibenden Zeit steht eigentlich noch so manches an, was die ÖVP in trockene Tücher bringen will – mehrere Vorhaben liegen beschlussreif im Nationalrat, zudem möchte man noch die Besetzung des EU-Kommissars fixieren.

Im Grunde dreht sich die Frage darum, wie sich Kanzler und ÖVP-Chef Karl Nehammer im Wahlkampf positionieren will, war aus der Partei zu hören. Ein Austritt aus der Koalition so kurz vor der Wahl, obwohl man eigentlich immer versichert hat, die volle Legislaturperiode durchzudienen, könnte Nehammer im Wahlkampf von der Konkurrenz als Chaos ausgelegt werden. Und im ausgerufenen Kanzlerduell gegen den in allen Umfragen führenden FPÖ-Chef Herbert Kickl stünden gemeinsame Beschlüsse mit den Blauen in einem Spiel der freien Kräfte im Nationalrat wohl Nehammers Wahlkampferzählung entgegen, hieß es aus Parteikreisen.

Dementsprechend entspannt geben sich die Grünen seit Sonntag. Gewesslers klares Ja zum EU-Renaturierungsgesetz gegen alle Widerstände aus der ÖVP ist Teil der Grünen Wahlkampfstrategie, die sich aufs Thema Klimaschutz fokussiert. Gegenüber der eigenen Wählerschaft wäre es schwer zu rechtfertigen gewesen, wenn die Grünen gegen Renaturierung stimmen, und die politische Konkurrenz hätte dies im Wahlkampf wohl genüsslich ausgebreitet, hieß es aus Grünen Parteikreisen. Nunmehr dürfte Gewessler, egal wie die ÖVP reagiere, von der eigenen Anhängerschaft Applaus erwarten – beispielsweise am Grünen Bundeskongress, der kommenden Samstag stattfindet.

Dort werden die Kandidatenlisten für die Nationalratswahl gewählt. Es geht dabei auch um die Bestätigung des derzeitigen Grünen Führungsteams: Spitzenkandidat wird Vizekanzler Werner Kogler, dahinter folgen Gewessler, Justizministerin Alma Zadic, Klubchefin Sigrid Maurer und Generalsekretärin Olga Voglauer. Die Koalition mit der ÖVP war wegen damit einhergehender Kompromisse in den vergangenen Jahren nicht bei allen Grünen beliebt, und auch über den EU-Wahlkampf – Stichwort Causa Schilling – gab es da und dort Gemurre. Gewesslers Einsatz für die Natur und gegen die ÖVP kommt den Organisatoren des Bundeskongresses also gerade recht.

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