Früherer VfGH-Präsident Adamovich 91-jährig verstorben

Ludwig Adamovich auf einer Aufnahme aus dem Jahr 2002 © APA/HERBERT PFARRHOFER

Der frühere Präsident des Verfassungsgerichtshofes (VfGH), Ludwig Adamovich, ist am Sonntag im Alter von 91 Jahren verstorben. Dies gab das Höchstgericht am Nachmittag bekannt. Adamovich war 19 Jahre lang – von 1984 bis 2002 – Präsident des Verfassungsgerichtshofes. Nach dem Ende seiner Amtszeit war Adamovich ehrenamtlicher Berater in verfassungsrechtlichen Fragen des damaligen Bundespräsidenten Heinz Fischer und des aktuellen Bundespräsidenten Alexander Van der Bellen.

Das Höchstgericht hat damit innerhalb kurzer Zeit neuerlich den Tod eines ehemaligen Präsidenten zu betrauern: Erst Anfang Juni war die frühere Präsidentin des VfGH und erste Bundeskanzlerin Österreichs, Brigitte Bierlein, im Alter von 74 Jahren gestorben. VfGH-Präsident Christoph Grabenwarter würdigte Adamovich am Sonntag als einen unermüdlichen Mahner für den demokratischen Rechtsstaat: „Aus den historischen Erfahrungen Österreichs war ihm die Unabhängigkeit der Verfassungsgerichtsbarkeit ein besonderes Anliegen.“ „Mit Ludwig Adamovich ist ein großer Österreicher von uns gegangen, der unser Land geprägt hat“, erklärte Bundespräsident Van der Bellen auf „X“. „Ein brillanter Jurist, der als Mensch immer bescheiden geblieben ist. Zeit seines Lebens haben ihn Haltung und Anstand ausgezeichnet, auch wenn sich Widerstand regte.“ Adamovich werde eine große Lücke hinterlassen. „Die Republik und ich ganz persönlich, wir verneigen uns in Zuneigung und Wertschätzung.“

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Auch Van der Bellens Amtsvorgänger Heinz Fischer zeigte sich betroffen und würdigte seinen verstorbenen Berater: „Adamovich war ein herausragender Rechtskenner, ein Rechtslehrer und insgesamt eine Stütze des Rechtsstaates“, erklärte der Altbundespräsident gegenüber der APA. „Er war während meiner Amtszeit, also 12 Jahre, als Berater in der Präsidentschaftskanzlei tätig und darüber hinaus ein liebenswürdiger, bescheidener und charakterstarker Mensch, den ich in dauernder und dankbarer Erinnerung behalten werde.“

Auch das Präsidium des Nationalrats zollte dem verstorbenen Juristen in einer gemeinsamen Aussendung höchsten Respekt: „Mit Ludwig Adamovich verliert Österreich einen renommierten Juristen, der die rechtliche Landschaft unseres Landes nachhaltig geprägt hat“, betonte Nationalratspräsident Wolfgang Sobotka (ÖVP). Als Präsident des Verfassungsgerichtshofs habe er durch seine Integrität und seinen unermüdlichen Einsatz für die Grundrechte hohe Maßstäbe gesetzt. Adamovich sei als VfGH-Präsident „eine verfassungsrechtliche Autorität in innenpolitisch stürmischen Zeiten“ gewesen, unterstrich die Zweite Nationalratspräsidentin Doris Bures (SPÖ). „Er ist sich und der Republik auch gegen heftige persönliche Anfeindungen stets treu geblieben.“ „Sein Engagement und sein Beitrag zur juristischen Landschaft unseres Landes werden unvergessen bleiben“, meinte der Dritte Nationalratspräsident Norbert Hofer (FPÖ). Österreich verliere mit Adamovich einen „großen Juristen und aufrechten Verteidiger unserer Verfassung“.

Das Land verliere binnen kurzer Zeit „eine zweite, im Höchstmaß prägende Stimme unserer Verfassung“, meinte Bundeskanzler Karl Nehammer (ÖVP). „Die Weiterentwicklung, Stabilität und Resilienz unseres liberalen Rechtsstaates ist und bleibt sein Vermächtnis.“ Justizministerin Alma Zadic (Grüne) ehrte Adamovich als „einen konsequenten Verfechter unseres demokratischen Rechtsstaats und einen ausgezeichneten Juristen“, der immer wieder klar Position bezogen habe. Adamovich habe „sein Wirken stets in den Dienst des großen Ganzen gestellt“, würdigte die niederösterreichische Landeshauptfrau und derzeitige Vorsitzende der Landeshauptleute Johanna Mikl-Leitner (ÖVP) den Verstorbenen.

Adamovich wurde am 24. August 1932 in Innsbruck geboren, und das Verfassungsrecht wurde ihm in die Wiege gelegt: Sein gleichnamiger Vater war nach dem Zweiten Weltkrieg bis zu seinem Tod 1955 ebenfalls Präsident des VfGH. Auch wenn er sich eigentlich mehr für die Medizin interessierte hätte, trat der Sohn – wegen mangelnder mathematischer Begabung, wie er selbst erklärte – in die Fußstapfen des Vaters und studierte Rechtswissenschaften. Nach der Promotion 1954 war er kurz in der niederösterreichischen Verwaltung tätig, ehe er 1956 in den Verfassungsdienst des Bundeskanzleramtes wechselte. Nach seiner Habilitation 1974 wurde er Universitätsprofessor für Öffentliches Recht an der Universität Graz. 1976 kehrte er in den Verfassungsdienst zurück und leitete diesen als Sektionschef.

In den 1970er-Jahren legte Adamovich das ÖVP-Parteibuch zurück – und hatte, auch weil Bruno Kreisky sein „größter Förderer“ war, fortan ein gespanntes Verhältnis zu seiner früheren Partei. Gegen ihren Willen wurde er dennoch 1984 VfGH-Präsident, der er bis 2002 blieb. Adamovich war nicht nur Autor grundlegender Lehrbücher des Verfassungsrechts, sondern stand nach seinem Ausscheiden aus dem VfGH auch den Bundespräsidenten Fischer und Van der Bellen mit seiner verfassungsrechtlichen Expertise zur Seite. 2013 bis 2017 war Adamovich auch Vorsitzender im Unabhängigen Parteien-Transparenz-Senat.

Medial stand Adamovich auch als Kritiker der Ermittlungen in der Causa Kampusch in der Öffentlichkeit. Denn Adamovich, der ab 2008 die Evaluierungskommission in der Causa Kampusch leitete, trat immer wieder mit kritischen Anmerkungen über die Tätigkeit der Sicherheitsbehörden an die Öffentlichkeit – und zeigte sich auch nach der Einstellung des Verfahrens gegen die fünf Staatsanwälte im November 2011 überzeugt, dass noch viele Fragen ungeklärt seien. Wegen einer umstrittenen Äußerung über die Kindheit des Entführungsopfers Natascha Kampusch – die Zeit ihrer Gefangenschaft sei womöglich „allemal besser“ gewesen „als das, was sie davor erlebt hat“ – wurde der frühere VfGH-Präsident 2009 von Kampuschs Mutter verklagt, aber schließlich 2010 in zweiter Instanz freigesprochen.

Der Causa Kampusch widmete Adamovich auch eines der zwölf Kapitel seiner Memoiren mit dem Titel „Erinnerungen eines Nonkonformisten“, das 2011 erschienen ist. Darin zog er eine „ambivalente“ Bilanz über seine 19 Jahre im VfGH – vor dem Hintergrund vieler Kontroversen, darunter auch mit der FPÖ im Zusammenhang mit den Ortstafel-Erkenntnissen des VfGH. Nach massiven Attacken Jörg Haiders erstattete Adamovich Ende 2001 Selbstanzeige beim VfGH, der entschied, dass ein Amtsenthebungsverfahren nicht angebracht sei. Immer wieder habe er sich, schreibt Adamovich in seinem Buch dazu und zur Causa Kampusch, „das Leben schwerer gemacht als notwendig“. „Wenn man aber eine ganz konkrete Vorstellung von Gerechtigkeit hat, muss man zwangsläufig in Konfrontationen eintreten und auch damit rechnen, verspottet zu werden.“

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