Gegen islamischen Extremismus helfen keine Worthülsen

Österreichs Muslime-Vertretung wird ihrer Verantwortung entgegen allen Beteuerungen nicht wirklich gerecht

Muslimische Verbände als Multiplikatoren des Hamas-Narrativs: Auf Demonstrationen — wie hier in Wien — wird Israel als Mörder dargestellt, während palästinensischer Terror unerwähnt bleibt.
Muslimische Verbände als Multiplikatoren des Hamas-Narrativs: Auf Demonstrationen — wie hier in Wien — wird Israel als Mörder dargestellt, während palästinensischer Terror unerwähnt bleibt. © AFP/Klamar

Dafür erntete „Der Standard“ geharnischten Protest der Islamischen Glaubensgemeinschaft in Österreich (IGGÖ): Nach der Absage der Wiener Taylor-Swift-Konzerte wegen islamistischer Terrorgefahr vor knapp einem Monat hatte das rosa Blatt in einem Kommentar mit dem Titel „Verstörendes Schweigen“ die fehlende Reaktion der IGGÖ auf die Festnahme des mutmaßlichen Möchtegern-Terroristen in Ternitz beklagt.

Dabei hatte die offizielle Muslime-Vertretung sehr wohl reagiert. Gleich am 8. August hatte sie eine Stellungnahme abgegeben, in der die Absage der Konzerte bedauert und klargestellt wurde: „Die IGGÖ lehnt jede Form von Gewalt und Terror im Namen der Religion ab.“

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Genügt ein Nein zur Gewalt nicht?

Das war dem Kommentator entgangen, weshalb er seinen Titel in der Webversion nachträglich auf „Verstörend leise Stimme der IGGÖ“ korrigierte. Er ist also noch immer verstört, obwohl die IGGÖ doch eh gesagt hatte, dass sie gegen Gewalt und Terror ist.

Was bitte, will man mehr? Sollte so ein Bekenntnis nicht reichen? Weil der IGGÖ-Präsident Ümit Vural über jeden Verdacht erhaben sein will, stellte er sich höchstselbst vor eine Kamera und zeichnete eine Videoansprache auf, in der er noch einmal jeglicher Gewalt abschwor. Das sollte nun aber wirklich gereicht haben!?

Weil unsereiner als Journalist aber immer das Haar in der Suppe sucht, kann man in der klarsten Bouillon fündig werden. Sogar in der so unmissverständlich Gewalt verdammenden IGGÖ-Stellungnahme vom 8. August. Da heißt es gleich im zweiten Satz nach der Absage an Gewalt und Terror: „Unser Glaube und unsere Gemeinschaft stehen für Frieden, Toleranz und das respektvolle Miteinander aller Menschen.“

Geht es noch friedlicher? Lassen sich soviel Friede, Freude, Eierkuchen überhaupt toppen?

Die Realität des „Miteinanders“

Ein bisserl mehr Realitätsbezug wäre auch ganz nett. Denn leider entspricht das Bekenntnis zum „respektvollen Miteinander aller Menschen“ weder der globalen Realität des Islam im Allgemeinen noch jener der islamischen Gemeinschaft Österreichs im Besonderen. Solche bei jeder Gelegenheit abgelieferten Worthülsen beeindrucken zwar viele, die sich gern Sand in die Augen streuen lassen, bestehen jedoch nicht den Elchtest eines Realitychecks.

Nur ein Beispiel: Obwohl schon des Öfteren kritisiert bietet die Islamische Gemeinschaft Milli Görüs (IGMG) auf ihrer Webseite unbeirrt und unkommentiert diese Übersetzung der Koransure 5:51 an: „O ihr, die ihr glaubt! Nehmt nicht Juden und Christen zu Freunden.“

Es ließe sich lange debattieren über diese Sure. Ihr diskriminierender, gemäß heutigem Recht in Österreich den Tatbestand der Verhetzung (Paragraf 283 StGB) erfüllende Bedeutungsgehalt ließe sich leicht entschärfen mit einer Erläuterung etwa derart, dass der Koran vor sehr, sehr langer Zeit entstanden und daher heute nicht wortwörtlich zu nehmen sei. Oder man könnte sich für eine weniger problematische, aber ebenso mögliche Übersetzung des arabischen Begriffes „awliya“ entscheiden und schreiben: „…nehmt nicht Juden und Christen zu Beschützern (statt: Freunden, Anm.).“ Das ist zwar auch nicht sehr freundlich, aber weniger kategorisch alle Angehörigen anderer Weltreligionen ausschließend. Doch die IGMG bleibt bei der Nein-zu-Juden-und-Christen-als-Freunde-Version, die übrigens auch die türkische Religionsbehörde Diyanet verbreitet.

Islamistisches Haar in der Worthülsensuppe

Was aber hat das mit der „respektvollen Miteinander aller Menschen“ predigenden IGGÖ zu tun? Die IGMG ist hierzulande unter dem Namen „Islamische Föderation“ vertreten, die wiederum eine Kultusgemeinde der IGGÖ und der Herkunftsverein des Präsidenten Vural ist.

Solange eine maßgebliche Kraft der IGGÖ Teil einer Organisation ist, die nicht einmal eine Entschärfung der Sure 5:51 (und anderer problematische Inhalte) zustande bringt, schwimmt ein islamistisches Haar im von der IGGÖ kredenzten Worthülsensüppchen.

Und man wird bei genauerem Hinsehen immer wieder fündig. Etwa bei einer Analyse der Rezeption des israelisch-palästinensischen Konfliktes im IGGÖ-Imperium. Vereinzelt finden sich zwar durchaus Stellungnahmen, die dem Anspruch der Ablehnung von „Gewalt und Terror im jeder Form“ gerecht werden sollen. Diese Äquidistanz wirkt jedoch mehr wie ein Versuch, Kritikern Wind aus den Segeln zu nehmen, als wie das ehrliche Bemühen um eine neutrale Position. Denn zu oft blitzt die propalästinensische und antiisraelische Haltung verräterisch durch den pseudoneutralen Nebel der offiziellen Statements — ganz abgesehen von der Frage, ob es in einem Krieg zwischen einer Mörderbande und einem demokratischen Staat überhaupt Neutralität geben kann. So meldete sich die Islamische Föderation Wien (IWF) erst am 20. Oktober 2023 erstmals zur Eskalation des Nahostkonfliktes mit einer Ablehnung von „Gewalt und Terror gegen die Zivilbevölkerung, egal ob Israelis oder Palästinenser“ zu Wort. Das ist auch als Nein zum Hamas-Terror zu verstehen.

Unerwähnter Hamas-Terror

Allerdings: Der die Eskalation auslösende Hamas-Überfall auf Israel zwei Wochen davor war der IFW keine Erwähnung wert gewesen. Noch verstörender ist die Reaktion der IWF-Jugendorganisation. Diese postete erstmals am 31. Oktober ein Statement zum Blutbad in Nahost. „Dieses Massaker wird als Schande in die Geschichte der Welt eingehen.“ Gemeint war damit nicht das völlig unkommentiert gebliebene Hamas-Massaker vom 7. Oktober, sondern die israelische Gegenoffensive in Gaza. Dem folgten seither mehrere Aufrufe zum Stopp des „Genozids“ in Gaza. Die IWF-Jugend ist auch „verzweifelt“ wegen der vielen dort getöteten jungen Menschen. Die Entführung, Vergewaltigung und Ermordung junger Israelis durch Hamas-Terroristen bringen die Islam-Föderalisten dagegen nicht zur Verzweiflung. Zumindest posten sie nichts dergleichen.

Ein israelkritischer Religionslehrer

Vielsagend auch der Newsfeed des Vorsitzenden der Austria Linz Islamischen Föderation (Alif), Murat Baser. Auch ihm war der Hamas-Überfall keine Erwähnung wert. Erst zwei Woche später teilte er zwar die Gewalt sowohl gegen Israelis als auch Palästinenser ablehnende IFW-Stellungnahme, darauf folgen jedoch zahllose, ausschließlich israelkritische Beiträge. Größere israelische Angriffe in Gaza sowie internationale Kritik an Israel wird penibel dokumentiert, explizite Kritik an der Hamas sucht man vergebens. Äquidistanz schaut anders aus.

Dabei trägt Baser eine besondere Verantwortung: Als Imam und islamischer Religionslehrer an einer öffentlichen Schule prägt der IGGÖ-Funktionär die Meinung muslimischer Jugendlicher.

Begründeter Verdacht

Diese einseitig israelkritische Haltung überrascht nicht angesichts der türkischen Verwurzelung der IF. Für den türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan ist die Hamas bekanntlich keine Terror-, sondern eine Befreiungsorganisation und Israel der eigentliche und ausschließliche Übeltäter. Überraschend ist die Einseitigkeit der IF jedoch angesichts ihrer Beteuerungen, Antisemitismus anzulehnen. Nein, Kritik an Israel ist per se nicht antisemitisch. Wer aber nur Israelkritisches postet und die Hamas ausblendet, gerät unter einschlägigen Verdacht. Dieser ist im Fall von Milli Görüs umso mehr gerechtfertigt, als im islamistischen Weltbild ihres Gründers Necmettin Erbakan der Antisemitismus eine zentrale Rolle spielt. Wer den 2011 verstorbenen Judenhasser uneingeschränkt als „großen Lehrmeister“ preist, wie es IGMG- bzw. IF-Vereine bis heute tun, wäre gut beraten, Aussagen zum Nahost-Konflikt unter Bedachtnahme auf die Antisemitismus-Neigung in den eigenen Reihen besonders vorsichtig zu formulieren. Ähnlich wie Deutschland und Österreich aus der Nazi-Geschichte gelernt haben, könnten oder besser: müssten muslimische Institutionen aus der von muslimischen Anführern verbrochenen Holocaust-Komplizenschaft eine historische Verantwortung für Israel ableiten.

Ein solches Anliegen ist jedoch nicht erkennbar. Fragen nach der historischen Bewertung etwa des Jerusalemer Großmuftis und SS-Gruppenführers Amin al-Husseini, dem es mit Hitlers Judenvernichtung nicht schnell genug gehen konnte, stellt man IGGÖ-Funktionären vergeblich.

Balkanischer Islamismus…

Al-Husseini war am Balkan als Gründer der muslimischen SS-Division Handschar aktiv. Die bis heute spürbaren Nachwirkungen dieser unaufgearbeiteten Geschichte verdienten besondere Aufmerksamkeit nach dem verhinderten, mutmaßlich von einem mazedonischstämmigen Burschen geplanten Attentat auf ein Wiener Swift-Konzert und nach dem gestern in München beim NS-Dokumentationszentrum vereitelten Anschlag durch einen bosnischstämmigen 18-Jährigen aus Salzburg. Allerdings zeigen auch aus dieser Region kommende IGGÖ-Funktionäre kein Interesse an einer Debatte über Antisemitsmus und Islamismus balkanesischer Provenienz.

Sowohl der aus Bosnien stammende Vorsitzende des IGGÖ-Schurrates, Esad Memic, als auch der in Zenica geborene Fachinspektor für den islamischen Religionsunterricht in Oberösterreich, Senad Podojak, ließen VOLKSBLATT-Anfragen zum Umgang mit diesem Thema unbeantwortet. Konkret ging es etwa um die Frage, ob dem bosnischstämmigen Nachwuchs hierzulande die Holocaust-Beteiligung von Muslimen wie dem Chefimam der Handschar-Division, SS-Sturmbannführer Husein Dozo, bewusst gemacht wird. Nach Dozo ist noch heute in Sarajewo eine Straße benannt, ebenso eine Schule in seinem Geburtsort Gorazde.

… nach Österreich exportiert

Während bosnische Funktionäre dazu schweigen, meldet sich eine türkische Stimme zu Wort. Birol Kilic, Vorsitzender der Türkischen Kulturgemeinde in Österreich (TKG), sieht in Saudi-Arabien den Haupverantwortlichen für die Reaktivierung des islamistischen Kriegserbes. „Eigentlich sind das alles Ergebnisse der Projekte wahhabitisch-salafistischer Bewegungen aus Saudi-Arabien in Bosnien, Mazedonien, Kosovo und anderen Balkanländern“, so Kilic auf die Frage nach der Ursache für die Radikalisierung junger Männer am bzw. vom Balkan. Diese von Suadi-Arabien finanzierten Organisationen hätten in Österreich Moscheevereine gegründet und, so Kilic, „erfolgreich versucht, in Österreich geborene, insbesondere bosnische und mazedonische Muslime, mit einem Hardcore-Islam zu zu salafisieren“.

Obwohl die IGGÖ selbst über einen Salafismus-Verdacht erhaben ist, spielen manche Funktionäre mit antizionistischen Reflexen. Bewusst oder unbewusst schüren sie damit den unter Muslimen ohnehin grassierenden Judenhass. Solange dem nicht Einhalt geboten wird, hat die IGGÖ die antiisraelische respektive antisemitische Schlagseite des Nahost-Diskurses in Österreich mitzuverantworten.

Kampf gegen Islamverbot, das niemand fordert

Nicht nur bei diesem Thema lässt die offizielle Muslimevertretung Deeskalationspotenziale unausgeschöpft. Auch in der seit der Absage der Taylor-Swift-Konzerte neu aufgeflammten Debatte über den politischen Islam erweist sich Ümit Vurals Islamische Föderation nicht als der Partner, als den Naive bzw. Opportunisten in Politik, Kirchen und sogar jüdischen Institutionen sie betrachten. So macht Österreichs zweitgrößter Moscheeverband gerade mobil gegen die „Forderung des Islamverbotes“. Ein solches hat jedoch nicht einmal FPÖ-Chef Herbert Kickl verlangt. ÖVP, FPÖ und mittlerweile sogar Teile der mit Milli Görüs am engsten verbandelten SPÖ debattieren ein Verbot des politischen Islams und seiner Organisationen, jedoch nicht des Islams als Religion.

Gefährlicher Opferkult

Hat die IF da etwas missverstanden? Wohl kaum. Die überflüssige Kampagne gegen ein von niemandem gefordertes Islamverbot dient der Pflege des Opfermythos. Die falsche Botschaft an die Muslime: Sie sind gegen euch alle, wollen euch euren Glauben verbieten!

Wie gefährlich dieser Opferkult ist, zeigen die Biografien vieler Attentäter. Das von islamischen Verbänden seit langem geschürte und von Salafisten instrumentalisierte Gefühl, irgendwie Opfer einer feindlich gesinnten Umwelt zu sein, kann bei jungen Menschen mit sozialen, psychischen und /oder ökonomischen Problemen eine radikalisierende Kraft entfalten.

Für Organisationen wie Milli Görüs wäre eine Beteiligung am Kampf gegen den politischen Islam allerdings eine geradezu unbewältigbare Herausforderung, sind sie doch selbst Teil dieser Bewegung, die den Islam nicht bloß als Privatsache, sondern als normativ für alle Lebensbereiche betrachtet. Der Islamismus-Experte Heiko Heinisch ordnet die IGMG wie die Muslimbruderschaft dem „legalistischen Islamismus“ zu. „Das utopische Ziel sämtlicher islamistischer Bewegungen ist eine islamische Weltgemeinschaft unter einem Kalifat. Das wird zwar nicht von allen so offen ausgesprochen, aber es wird deutlich, wenn man sich näher mit ihnen befasst“, so der Wiener Historiker in einem Interview mit dem deutschen Online-Magazin „Corrigenda“.

Stellt sich IGGÖ der Debatte über islamische Irrwege?

Die Selbstdarstellung der IGMG als religiöse Serviceorganisation, deren politische Aktivität sich auf die Vertretung von Mitgliederinteressen beschränkt, wird durch das — noch dazu vom Hamas-Narrativ geleitete — nahostpolitische Engagement ihrer Gliederungen und Funktionäre ad absurdum geführt. Mit ein paar friedlich und neutral klingenden Worthülsen lässt sich dieses Problem, das auch eines des Dachverbandes IGGÖ insgesamt ist, nicht aus der Welt schaffen. Derartige Schalmeienklänge wirken wie ein Versuch, die Öffentlichkeit hinters Licht zu führen und sich vor der dringendst nötigen Debatte über islamische Irrwege zu drücken. Die IGGÖ darf sich nicht wundern, wenn das als verstörend empfunden wird.

Analyse von Manfred Maurer