Journalismus statt Aktionismus: Gabor Steingart im Interview

VOLKSBLATT-Redakteur Dominik Hennerbichler (l.) mit dem Journalisten und Medien-Pionier Gabor Steingart. © Hennerbichler

Gabor Steingart (61), der Berliner Journalist und Autor, kann auf eine bewegte Karriere zurückblicken. Mehr als zwei Jahrzehnte recherchierte und schrieb er für das Nachrichtenmagazin „Der Spiegel“. 2001 übernahm er die Leitung des Hauptstadtbüros in Berlin, ab Juli 2007 leitete er das Büro in Washington. 2010 dann der Wechsel zum „Handelsblatt“, dem er unter anderem als Chefredakteur und Herausgeber vorstand. Sein Credo: „Journalismus beginnt, wenn andere wollen, dass du schweigst.“

Vor rund fünf Jahren, im Herbst 2018, gründete Steingart mit „the pioneer“ schließlich sein eigenes Medienunternehmen. Dort versucht er mit seiner 80-köpfigen Redaktion und hunderten Experten, Journalismus neu zu denken und auch wirtschaftlich auf neue Beine zu stellen. Im Gespräch mit dem VOLKSBLATT gab er, im Vorfeld der Vordenker-Veranstaltung „Land der Möglichkeiten“ von Landeshauptmann Thomas Stelzer, Einblicke in seine Sicht auf die Medienwelt.

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VOLKSBLATT: Herr Steingart, welchem Medium geben Sie am liebsten Interviews?

STEINGART: Ach, da vergebe ich keine Bewertung. Mir sind alle recht, je frecher, desto besser.

Die Frage zielt auch darauf ab, zu erfahren, wie Sie Medium definieren würden. Denn die Begriffe scheinen zu verwässern. Medien, Social Media, Blogs, Podcast, Content, Journalismus, die Grenzen scheinen fließend zu sein.

Mir ist der unabhängige Journalist am liebsten. Tatsächlich der, der sich auch nicht als Aktivist versteht, sondern als jemand, der Nachrichten reportiert, einordnet, analysiert und kommentiert. Der darf also schon eine Meinung haben, aber da muss er sagen: Achtung, jetzt kommt meine Meinung. Es gibt Fakten und es gibt Meinung und die Trennung finde ich äußerst wichtig.

Aber es scheint so, dass der Kampf gegen Fake News und Propaganda immer mehr Raum einnimmt, bleibt der klassische Journalismus hier zunehmend auf der Strecke?

Wir müssen aufpassen, dass Fake News nicht zu den eigentlichen News werden. Das ist zwar verlockend, weil sie natürlich zugespitzter und gröber sind. In einer Zeit, wo gerne Trigger-Points gesetzt werden, sind sie auch verführerisch. Nehmen Sie als Beispiel die Meldung, der Papst würde Trump wählen, nur 24 Stunden vor Schließung der Wahllokale in den USA. Die Meldung hat alle anderen Meldungen an dem Tag übertroffen, war aber erfunden. Weil das Erfundene, wie ein Grimms Märchen schön ist. Es regt auf und regt an. Insofern sind Fake News in Wettbewerb mit uns Journalisten getreten und wir müssen den Mut haben sie zurückzuweisen.

Für den einfachen Bürger ist es aber schwer, die Grenze wahrzunehmen. Wie kann sich hier Journalismus klarer positionieren und erkennbar machen?

Ich glaube schon, hier muss die Marke einer Zeitung, eines TV-Senders, aber auch eines Journalisten sichtbar erkennbar und vor allem glaubwürdig sein. Letztlich investiert man als Journalist und als Medium in seine Glaubwürdigkeit. Jeder muss wissen, dass die dort ein System haben, nachdem sie arbeiten. So wie ich mich bei Coca-Cola drauf verlasse, dass das Wasser nicht vergiftet ist, welches sie zur Herstellung benutzen. Ich verlasse mich einfach drauf, dass das eine vertrauensvolle Marke ist. Und das müssen wir auch sein.

Medienunternehmen geraten zusehends auch wirtschaftlich unter Druck. Sie haben einmal gesagt: „Bei den Klagen handelt es sich immer um die Klagen der Verlierer, die die Schuld an der Niederlage nicht bei sich suchen möchten“. Jammern Medien zu viel?

Das betrifft die Verlierer-Medien, wie ich sie nenne. Die Klagen den ganzen Tag, weil sie das falsche Geschäftsmodell haben. Die Anzeigenfinanzierung ist in Zeiten der direkten Werbung auf Facebook und dergleichen kein Geschäftsmodell in der Zukunft. Und das andere Problem ist: Sie behandeln ihre Leser von oben herab, weil sie der Meinung sind, der Chefredakteur ist die Krone der Schöpfung, das funktioniert so aber nicht in einer demokratischen Gesellschaft. Insofern ist es doppelt schlecht. Aber es gibt, das zeigt unsere eigene Entwicklung auch andere Entfaltungsmöglichkeiten. Es gibt ganz viel Neues, was da entsteht und auch in Österreich entstehen kann.

Das oft zitierte „Aussterben klassischer Medien“ ist also unausweichlich?

Das würde ich nicht sagen. Die Rolling Stones treten mit über 80 Jahren auch noch immer auf und füllen Stadien. Und es werden nach dem Tod der Band noch viel mehr Menschen ihre Musik erleben. Die Stars sterben nicht, weil ihre Lieder nicht sterben. Oder denken wir an Abba und ihre digitalen Konzerte. Auch dieses Business verändert sich. Und so müssen sich auch die Medien Zeit nehmen und sich verändern.

Das heißt Journalismus kann sich selbst finanzieren?

Unbedingt. Das muss er auch, ehrlich gesagt. Wenn er das nicht hinkriegt, dann ist er nicht unabhängig.

Welche Rolle kann und soll der Staat hier einnehmen? Braucht es eine Presseförderung für eine breite, vielfältige Medienlandschaft?

Ganz klar: Nein. Der Staat hat hier nichts zu suchen. Ich finde schon die öffentlich-rechtlichen Sender in der heutigen Zeit nicht mehr richtig. Diese wurden vor allem als Reaktion auf Hitler gegründet. Also von den Alliierten im Zusammenhang mit der Entnazifizierung und einer Umerziehung zur Demokratie. Ich würde sagen, die ist gelungen. Deswegen können wir heute aber nicht mehr ein milliardenschweres System aufrechterhalten, dass sich als Vormund seiner Zuschauer, als Erzieher sieht. Das war damals richtig, ist heute aber falsch.

Also abschaffen?

Ja. Oder im Zweifel eine Übergabe dieser Medien aus den Händen der Politiker in die Hände der Bürger, als eine Art Bürger-Radio bzw. Bürger-Fernsehen. Man muss sie ja nicht alle völlig einstellen. Da arbeiten auch viele prima Journalisten. Aber dass Politiker die Vorgesetzten von Journalisten sind, ist für mich unerträglich.

Wie es gehen kann, versuchen Sie mit ihrem Unternehmen „the pioneer“ zu zeigen. Sie haben es unter der Prämisse gegründet, sich gänzlich ohne Werbeeinnahmen und staatlichen Leistungen zu finanzieren. Wie darf man sich das vorstellen?

Wir verdienen durch unsere Leser, Hörer und Zuseher. Wir verdienen zudem mit Leuten, welche unsere Veranstaltungen auf unserem Medienschiff besuchen. Da bauen wir übrigens gerade ein zweites. Und wir gehen auch auf Deutschland-Tournee, da nehmen wir Eintrittsgelder von 35 bis 50 Euro. Die einzige Unterstützung, die wir annehmen, ist jene der (Anneliese) Brost-Stiftung für unabhängigen Journalismus. Außerdem vermieten wir unser Schiff an Firmen für sogenannte „business to society“-Events. Also nicht für klassische PR-Veranstaltungen, sondern für etwas Sinnvolles. Das prüfen wir vorab. Wichtig ist:  Wir verkaufen keine Berichterstattung mit.

Sie lagern also einen Teil der Finanzierung für ihre journalistische Arbeit auf ein anderes Standbein aus?

Ja einen Teil. Das Schiff-Charter-Geschäft macht zirka 20 Prozent aus.

Inhaltlich setzten Sie unter anderem auf „Citizen Journalism“. Quasi News aus dem Volk, für das Volk, aber unter redaktioneller Aufsicht oder wie kann man sich das vorstellen?

Wir denken, dass es in dieser sehr erwachsenen Gesellschaft viel mehr Experten gibt, die was zu sagen haben, als Journalisten. Nehmen wir nur mal Wasserstoff als Beispiel. Ein wirklich kompliziertes Thema. Da können wir bei uns beide auch einarbeiten – und das machen ja auch Kollegen -, aber wir bleiben immer nur Angelernte. Dabei gibt es bei unzähligen Firmen absolute Wasserstoff-Experten. Warum können die nicht selber schreiben, was sie von einem Wasserstoff-Gesetz halten?

Wir nennen das Konzept: „pioneer-experts“. Fachleute können sich bei uns akkreditieren. Die müssen natürlich sagen, woher sie kommen und sollen auch keine Produkte verkaufen. Wir lesen das dann auch vorher und redigieren, geben ihnen aber die Möglichkeit und das Werkzeug sich selbst hörbar zu machen. Wir machen auch Seminare, wo wir den Leuten das Podcasten, Newsletter schreiben, Adressverwaltung oder Hosten beibringen.

Welche Kriterien müssen externe Experten erfüllen, damit sie in dieses Programm aufgenommen werden?

Da gucken wir uns jeden Einzelnen an. Das müssen wir rausfinden. Momentan sind es so 400-500, das können aber schnell auch 5000 werden. Dafür brauchen wir dann aber viel mehr Leute, die das Revidieren und einen Background Check machen. Wir wollen also keine AfD-Leute zum Beispiel. Sowas muss immer schon gecheckt werden. Wer ist das? Wir lehnen auch tatsächlich viele Leute ab.

Melden sich diese Menschen bei Ihnen, oder suchen Sie die aktiv?

Nein. Das machen wir im Moment nicht. Es sind Leute, die auf uns zukommen und die uns schreiben oder auf unseren Veranstaltungen sind. Wenn es zum Beispiel um China geht, kommen ja lauter China-Experten. Dann ist das Schiff voll mit 100 Experten. Und da sind mindestens 5 oder 6 von irgendwelchen „ThinkTanks“ dabei, die können sicher auch schreiben.

Lassen Sie uns noch kurz über Künstliche Intelligenz sprechen. Für viele ein Segen, aber auch ein Fluch. Ist der Journalismus ausreichend gewappnet für KI?

Zuerst braucht es die Sensibilität. Damit wir wissen, dass und was da vor sich geht. Nun war ich zwar noch nie Boulevard-Journalist, aber die müssen wohl als erstes aufpassen und einmal öfter checken, ob dieses und jenes Bild echt ist. Im politischen Journalismus sehe ich das nicht, dass jemand hier ein Bild unterjubelt.

Aber es muss eben noch genauer geprüft werden, dass haben wir in der „alten Welt“ ja auch so gemacht. Ansonsten verliert man seine Reputation. Ich habe in 20 Jahren beim Spiegel so viele gefälschte Protokolle gesehen. Damit will ich sagen, sowas gab es schon immer. Geschichten mussten immer geprüft werden, und heute noch mehr denn je.

Wird sich journalistische Qualität am Ende immer durchsetzen?

Ich glaube ja. Beim Singen ist das auch so: Man kann heute ganz viel machen mit Technik und Nachbearbeitung und trotzdem müssen die Topsänger singen können. Auch der Pilot hat heute Autopilot und alles Mögliche, aber trotzdem: er muss fliegen können. Ich habe nicht diese panische Angst, dass alle Berufe jetzt untergehen und unser schöner Beruf wird auch nicht untergehen.

Wir werden also von ChatGPT nicht abgelöst?

Nein. ChatGPT wird unser Assistent sein. Wie der Computer, der uns ja auch nicht umgebracht hat.

Mit Gabor Steingart sprach Dominik Hennerbichler

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