Kreutner-Bericht macht justizielle Schwachstellen deutlich

Kreutner-Kommission warf kritischen Blick auf innerjustizielle Abläufe © APA/MAX SLOVENCIK

Losgelöst von der Person des verstorbenen Ex-Sektionschefs Christian Pilnacek zeigt der 234 Seiten starke Bericht der von Justizministerin Alma Zadić (Grüne) eingesetzten Untersuchungskommission unter Vorsitz von Martin Kreutner grundsätzliche innerjustizielle Schwachstellen auf. Bei den Staatsanwaltschaften werden „Führungsdefizite“ geortet, der von der Justiz betriebenen Medienarbeit wird „Verbesserungsbedarf“ bescheinigt.

„Insbesondere bei medialen Angriffen gegen Verfahrensweisen oder Entscheidungen der Justiz fehlt oft eine schnelle, erklärende oder richtigstellende Reaktion von Seiten der Justiz, sodass sich die kritische Sichtweise im Bewusstsein der Öffentlichkeit verfestigen kann“, bemängelt der Bericht. Und weiter: „Es sollte bspw. nicht sein, dass bei nahezu kampagnenartigen einseitigen Angriffen gegen eine Staatsanwaltschaft ohne offizielle klarstellende Information von Seiten der Justiz (…) es anderen Medien überlassen bleibt, die Fakten zurechtzurücken.“ Nach Ansicht der Untersuchungskommission bietet der Medienerlass des Justizministeriums eine Grundlage dafür, dass die Justizbehörden solchen Angriffen entgegenwirken. Die Vermittlung entsprechender Informationen komme aber zu kurz bzw. falle „oft uneinheitlich und inkonsistent“ aus.

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Die Kommission billigt dem Justizministerium zu, jüngst Medienstellen bei den Oberstaatsanwaltschaften (OStA) und der Wirtschafts- und Korruptionsstaatsanwaltschaft (WKStA) etabliert und damit Ansprechpersonen zur Verfügung gestellt zu haben, die den Informationsfluss bündeln: „Allerdings scheint der Kommission die Schlagkraft der Öffentlichkeitsarbeit der Justiz nach wie vor dadurch geschwächt, dass im Ressort zwei Einheiten mit Aufgaben der Medienarbeit betraut sind: die Pressestelle der Ressortleitung einerseits und die Stabstelle für Kommunikation und Öffentlichkeitsarbeit andererseits.“ Erstere sei auf den Außenauftritt der Ressortleitung fokussiert, die andere arbeite einzelfallbezogen und verantworte die Öffentlichkeitsarbeit für die Justiz in ihrer Gesamtheit. „Diese Doppelstrategie führt unweigerlich zu Zielkonflikten“, stellt die Kommission fest.

Dieses Defizit habe dazu geführt, dass der verstorbene Sektionschef Pilnacek dieses „Vakuum“ ausfüllen konnte. Pilnacek habe eine „besondere und ambivalente Affinität zu den Medien“ gehabt, wie angemerkt wird: „Offensichtlich hat man sich dann in der Justiz auf diese Person verlassen, weil sie ‚zu allem immer etwas gewusst hat‘.“

Bei den Staatsanwaltschaften ortet der Bericht „Führungsdefizite“ und „Intransparenz“. Für die Kommission habe sich „der Eindruck erhärtet, dass Führungsverantwortung oft nicht bzw. nicht im erforderlichen Ausmaß wahrgenommen wird“. Es gebe einen „Verantwortungsnebel“, der dazu führe, „dass niemand mehr bereit ist, persönlich Verantwortung für eine Causa zu übernehmen“, ist dem Bericht der Kreutner-Kommission zu entnehmen. Oft sei für die erste Instanz nicht mehr nachverfolgbar und nachvollziehbar, wo sich ein Akt innerhalb der staatsanwaltschaftlichen Weisungskette befindet und wer letztlich für die Weisung verantwortlich zeichnet.

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Äußerst kritisch sieht die Kommission die bis zur Trennung der Strafsektionen und mit dem Wechsel der Führung in der für Einzelstrafsachen zuständigen Sektion im September 2020 gängige Praxis, im Bereich der Staatsanwaltschaften keine Weisungen zu erteilen, sondern in großen förmlichen Dienstbesprechungen auf ein „einvernehmliches Ergebnis“ abzuzielen. Dieses Vorgehen – mittlerweile ein No-Go – bezeichnet der Bericht als „mangelnde Verantwortungsübernahme“, denn für Führungskräfte bestehe „nachgerade eine Verpflichtung, (auch) klare Anweisungen zu geben und Vorgehensweisen vorzuschreiben“.

Weisungen seien bei Staatsanwältinnen und Staatsanwälten keineswegs verpönt, betont die Kommission, wobei sie auf „viele Gespräche“ mit öffentlichen Anklägerinnen und Anklägern über Dienstbesprechungen verweist. Vor allem bezogen auf die Ära Pilnacek heißt es: „Der Umstand, dass oft der ‚Unterste‘ (=fallführender Staatsanwalt) dem ‚Obersten‘ (Sektionschef im BMJ) gegenübersitzt und weder Gruppenleitung noch Leitung der StA (Staatsanwaltschaft, Anm.) noch Referent der OStA (Oberstaatsanwaltschaft, Anm.) oder der Leitende OStA im Konfliktfall in die Besprechung eingreifen, zeugt von einer Unternehmenskultur, in der Führungsverantwortung kein angemessener Stellenwert eingeräumt wird.„

Dass in staatsanwaltschaftlichen Ermittlungsverfahren der Inhalt von Gesprächen und Telefonaten, mündliche Vereinbarungen und Informationsflüsse nicht immer verschriftlicht werden und damit nicht Aktenbestandteil werden, sieht die Kommission als “ganz erhebliche Gefahrenquelle für das Vertrauen der Öffentlichkeit in die Objektivität staatsanwaltschaftlichen Handelns“. Informelle Gespräche und Vermerke auf Post-Its würden faktisch in Ermittlungsverfahren berücksichtigt, seien aber „nicht nachvollziehbar und damit auch jeder Kontrolle entzogen“. Das entspreche nicht den Verfahrensgrundsätzen der Schriftlichkeit und Vollständigkeit des Aktes und der Transparenz. „Intransparenz fördert Korruption, für die Öffentlichkeit nicht einsehbare Prozesse sind ein Anreiz für deren Missbrauch“, warnt der Kreutner-Bericht.

Generell empfiehlt die Untersuchungskommission der Justiz, konstruktiv mit Fehlern umzugehen und bereit zu sein, aus diesen zu lernen. Eine „positive Fehlerkultur“ sei „Teil eines erfolgreichen Qualitätsmanagements“. Entsprechende Schulungen von Führungskräften und ein offener Umfragen mit Fehlern, „begleitet von unterstützenden statt sanktionierenden Maßnahmen“ werden daher angeraten.

Der gesamte Bericht ist unter ➡️ Weitere Informationen abrufbar

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