Probleme, die eigene Miete zu bezahlen, haben längst nicht mehr nur Armutsgefährdete. Für die kommende Regierung werde die „Wohnkrise“ deshalb eine der wichtigsten Herausforderungen, betonte Volkshilfe-Direktor Erich Fenninger bei einer Pressekonferenz am Mittwoch. Laut Volkshilfe-Barometer ist das Thema leistbares Wohnen für zwei Drittel der Bevölkerung wahlentscheidend. Die Hälfte macht sich Sorgen, sich in Zukunft das Wohnen nicht mehr leisten zu können.
Bei jüngeren Personen zwischen 15 und 29 Jahren sind es sogar 62 Prozent. Für die vom Foresight Institut durchgeführte repräsentative Umfrage wurden 1.029 Personen ab 15 Jahren vom 2. bis zum 29. August mittels face-to-face Interviews befragt (Schwankungsbreite 3,1 Prozent). 84 Prozent finden demnach, der Staat sollte wieder mehr leistbaren, sozialen Wohnraum schaffen, auch Menschen mit einem höheren Haushaltseinkommen ab 3.501 Euro befürworten das zu 70 Prozent. 78 Prozent wollen einen dauerhaften Mietpreisdeckel. Im Wahlkampf sei das Thema dennoch unterrepräsentiert, bemängelte Fenninger.
Lesen Sie auch
Seit 2010 seien die Mieten in privat vermieteten Wohnungen um 80 Prozent gestiegen. „Immer mehr Menschen aus der sogenannten Mittelschicht suchen unsere Beratungsstellen auf, weil sie sich das Wohnen schlichtweg nicht mehr leisten könnten“, sagte Volkshilfe Wien Geschäftsführerin Tanja Wehsely.
Das Überlassen des Versorgungsauftrages an die sogenannten „Marktkräfte“ funktioniere nur für die Wenigsten, kritisierte Fenninger. Als „Wohnungssicherin der Nation“ könne die Volkshilfe zwar rasch helfen, und Sofortmaßnahmen wie der Wohnschirm seien gut und richtig, um Krisen akut zu entschärfen. Es brauche aber Prävention und strukturelle Maßnahmen, um eben jene Krisen gar nicht erst entstehen zu lassen, so Wehsely.
Von der künftigen Bundesregierung wünschen sie sich einen klaren Paradigmenwechsel, „hin zu leistbarem und gutem Wohnen für alle. Wir sprechen dabei nicht von notdürftigen Mietskasernen aus dem Vor-Vorjahrhundert. Wir sprechen von adäquatem, hochwertigem und leistbarem Wohnraum“, fordern Fenninger und Wehsely. Als Sofortmaßnahme müssten die Mieten für zwei Jahre eingefroren werden, darüber hinaus brauche es eine Reform des Mietrechtsgesetzes sowie ein Befristungsverbot. Spekulanten müsse ein Riegel vorgeschoben werden, etwa durch eine Spekulationsgewinnsteuer aus Grundstücksverkäufen.
Die Opposition nahm die Ergebnisse des Volkshilfe-Barometers als Anlass für Kritik an der Regierung, allen voran der Kanzlerpartei. „Alarmierend, aber leider nicht überraschend“ kommen die Zahlen für SPÖ-Wohnbausprecherin Ruth Becher. „Die ÖVP-Regierungen seit 2017 haben die extreme Teuerung beim Wohnen einfach durchrauschen lassen. Sie haben die Wohnungsmieter und Mieterinnen genauso wie die Mieter und Mieterinnen von Geschäftsräumen im Stich gelassen“. Durch die Erhebung der Volkshilfe fühlt sie sich bestätigt, sind ein Mietpreisstopp und Mietendeckel doch schon lange Forderungen der SPÖ.
„Die Wohnkostenexplosion ist nicht gottgewollt, sondern wesentlich durch die schwarz-grüne Regierung verschuldet. Die ÖVP macht Politik für Vermieter sowie Investoren und gegen die Menschen“, sagte FPÖ-Bautensprecher Philipp Schrangl in einer Aussendung. Auch mit dem „Rühren der Eigentumstrommel“ mache die Volkspartei“ den „Bock zum Gärtner“. Er forderte einen Wechsel der politischen Kompetenzverteilung: „Das neoliberal-geführte Wirtschaftsministerium sollte hier nicht länger zuständig sein“.
Laut einer Studie des Instituts für Stadt- und Regionalforschung der Akademie der Wissenschaften (ÖAW) gibt es in Österreich erhebliche Datenlücken zur Anzahl und Situation von Wohnungslosigkeit betroffener Personen. So werde „geschätzt, dass neben jenen 20.000 Menschen, die in Österreich statistisch als obdach- oder wohnungslos erfasst sind, eine erhebliche Dunkelziffer existiert“, heißt es am Mittwoch in einer Aussendung der ÖAW: „Gerade in diesem Graubereich ist der Anteil von Frauen, Kindern und Jugendlichen hoch.“
Laut den Studienautoren, Robert Musil und Philipp Schnell, ist „die Erhebungssituation in Österreich durch große Ungenauigkeiten gekennzeichnet, die ein verzerrtes Bild der Realität erzeugen“. Die Forscher schlagen in ihrer Publikation daher Wege vor, die vielfach aufgrund verschiedener Zugänge in verschiedenen Bundesländern verursachten Diskrepanzen zu vermeiden. Orientieren könne man sich hier an Ländern wie Dänemark und Finnland. Jedenfalls brauche es eine „eine umfassendere nationale Strategie zur Bekämpfung von Armut und Wohnraumgefährdung“, betonen Musil und Schnell.
Informationen zur Studie online: doi.org