Sozialhilfe: Einschränkung auf Sachleistungen aufgehoben

Der VfGH hebt Einschränkungen bei der Sozialhilfe auf © APA/THEMENBILD/HERBERT NEUBAUER

Der Verfassungsgerichtshof (VfGH) hat in seinen jüngsten Beratungen mehrere Bestimmungen der Sozialhilfe aufgehoben. Verfassungswidrig ist es demnach, dass die Länder für die Deckung eines erhöhten Wohnbedarfs (oder um besondere Härtefälle zu vermeiden) ausschließlich Sachleistungen gewähren dürfen (wie im Sozialhilfe-Grundsatzgesetz (SH-GG) aus dem Jahr 2019 festgelegt). Auch eine Bestimmung aus dem Wiener Mindestsicherungsgesetz (WMG) ist demnach verfassungswidrig.

Sozialminister Johannes Rauch (Grüne) begrüßte das VfGH-Erkenntnis und lud den Koalitionspartner ÖVP ein, die türkis-blaue Reform insgesamt zu überdenken. „Dazu wird es jedenfalls weitere Gespräche brauchen“, so Rauch in einer Stellungnahme gegenüber der APA. „Ich habe nie einen Hehl daraus gemacht, dass die türkis-blaue Reform der Sozialhilfe eine offene Wunde im österreichischen Sozialsystem ist“, so Rauch.

Das Sozialhilfe-Grundsatzgesetz bestimmt, dass der Wohnbedarf (also der Aufwand für Miete und Betriebskosten) durch die allgemeinen Sozialhilfeleistungen abzudecken ist. Darüber hinaus kann ein höherer Wohnbedarf nur als Sachleistung (wie direkte Zahlungen des Sozialhilfeträgers an den Vermieter) gewährt werden (Wohnkostenpauschale). Laut VfGH-Aussendung vom Dienstag ist es sachlich „nicht gerechtfertigt und widerspricht daher dem Gleichheitsgrundsatz, dass diese Zusatzleistungen ausnahmslos als Sachleistungen gewährt werden dürfen“. Zwar sei einerseits das Ziel des Sachleistungsgebots legitim – nämlich die Verwendung von Leistungen für jenen Zweck sicherzustellen, für den sie gewährt werden. Höheren Leistungen – etwa für Mietkosten – steht andererseits aber ein höherer Bedarf gegenüber, den Hilfsbedürftige nicht beeinflussen können, z.B. besonders hohe Mieten. „Es kann also sachliche Gründe dafür geben, auch Zusatzleistungen durch Geld abzudecken“, so der VfGH.

Aufgehoben wurde vom VfGH auch eine Bestimmung des Wiener Mindestsicherungsgesetzes. Die Höhe von Sozialhilfe-Leistungen bemisst sich nach dem Richtsatz für die Zuerkennung einer Ausgleichszulage zu einer Pensionsleistung nach dem ASVG. Mit dem SH-GG aus dem Jahr 2019 hat der Bund Höchstgrenzen für Sozialhilfeleistungen festgelegt. Die monatlichen Geldleistungen für Personen, die in einer Haushaltsgemeinschaft leben, dürfen maximal 70 Prozent dieses Ausgleichszulagenrichtsatzes (netto, verringert um den Krankenversicherungsbeitrag) betragen. Das WMG sieht hingegen vor, dass der Höchstsatz 75 Prozent des Ausgleichszulagenrichtsatzes beträgt. „Dies verstößt gegen die im SH-GG festgelegten Höchstsätze und ist daher verfassungswidrig.“

Allerdings hat der VfGH anerkannt, dass die Mietbeihilfe – wie im Wiener Mindestsicherungsgesetz vorgesehen – sehr wohl als Geldleistung ausgezahlt werden darf: „Da der Zwang zur Sachleistung im SH-GG verfassungswidrig ist, darf die Mietbeihilfe als Geldleistung ausgezahlt werden.“

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Caritas-Präsident Michael Landau begrüßte die Entscheidung: „Besonders in Zeiten von Rekordinflation und steigenden Mieten hat das bisherige Vorgehen die Situation von Menschen, die Sozialhilfe beziehen, zusätzlich verschärft“, sagte er in einer Aussendung. Landau betont jedoch die weiterhin aufrechte Forderung der Caritas nach einer Reform des Sozialhilfegrundgesetzes: „Für eine Sozialhilfe, die ein Leben ohne Armut erlaubt, braucht es weit mehr. Weg von Maximalbeträgen, wieder hin zu bundesweit geltenden Mindeststandards.“ Außerdem brauche es einheitliche Kinderrichtsätze. Und gerade beim Wohnen müsse die Wohnbedarfsregelung überarbeitet werden. Der Wohnkostenanteil müsse sich am tatsächlichen Wohnbedarf orientieren.

SPÖ-Sozialsprecher Josef Muchitsch kritisierte anlässlich des VfGH-Entscheids das Gesetz als solches insgesamt: „Ein Gesetz, das Armut organisiert statt Armut zu verhindern, ist insgesamt ein Problem. Seit Bestehen dieses Gesetzes hebt der VfGH eine Bestimmung nach der anderen auf. Es wird Zeit, dass wir dieses Gesetz in dieser Form endgültig kübeln.“ Die Stadt Wien nahm das Erkenntnis „mit Freude zur Kenntnis“. „Dass der Verfassungsgerichtshof den Zwang zur Sachleistung des Bundesgesetzgebers aufgehoben und das Wiener Mindestsicherungsgesetz in diesem wesentlichen Punkt bestätigt hat, bestärkt uns in unserer bisherigen Vorgehensweise“, meinte Sozialstadtrat Peter Hacker (SPÖ).

Die FPÖ wiederum bemängelte, dass die Einschätzung des VfGH an der Lebensrealität vorbeigehe, so die freiheitliche Sozialsprecherin Dagmar Belakowitsch. Immer wieder gebe es Fälle, in denen Mieter nicht in der Lage seien, die vorhandenen finanziellen Mittel so einzuteilen, um den Wohnbedarf decken zu können. In derartigen Fällen könne durch Sachleistungen garantiert werden, dass diese Menschen trotzdem weiterhin ein Dach über dem Kopf haben.

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