VOLKSBLATT-Sommergespräch: Michael Lindner (SPÖ)

Für den SPÖ-Landeschef ist eine Senkung der Strafmündigkeit keine Option

Herr Landesrat, nicht nur die Menschen, auch die Gemeinden leiden unter der Teuerung. Viele Kommunen fürchten, ihren Aufgaben nicht mehr in der Art und Weise nachkommen zu können, wie sie es gerne möchten. Ist der Anforderungskatalog an die Gemeinden zu groß, oder die finanziellen Polster zu klein?

Die Aufgaben für die Gemeinden werden immer komplexer und herausfordernder. Ich sehe den Schlüssel dahin, dass wir Städte und Gemeinden von Landestransfers entlasten müssen. Da haben wir im Bundesländervergleich, gemeinsam mit Kärnten, die höchsten Belastungen haben. Vor allem bei Zahlungen, die die Gemeinden nicht selbst beeinflussen können, oder mitentscheiden können.

Stichwort: Landesumlage und Krankenanstaltenbeitrag. Da sehe ich in Oberösterreich den größten Hebel. Klar ist: Es braucht mehr finanziellen Handlungsspielraum, weil die Zukunftsaufgaben größer werden. Investitionen in Kinderbildung, Pflege, Vereine, Energiewende sind lauter Aufgaben, die intensiver werden.

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Es sind auch immer mehr Aufgabe zu den Gemeinden gewandert, die weder vom Land noch vom Bund abgegolten wurden. Da ist der Bundesfinanzausgleich unzureichend und aus meiner Sicht schlecht verhandelt. Es war zwar eine Lösung für die Gemeinden, aber nicht für Städte und Gemeinden und für die kämpfe ich.

Sowohl der Bund als auch das Land haben viel Geld locker gemacht, um den gebeutelten Gemeinden unter die Arme zu greifen. Reicht das? Oder müssen tiefergreifende Reformen angegangen werden? Wenn ja, welche?

Das Hilfspaket des Landes haben wir mit Bedarfszuweisungsmittel finanziert. Das ist das Geld der Gemeinden. Das heißt, sie zahlen sich das Paket selbst. Die Investitionspakete des Landes sind ad hoc Lösungen, die zwar akut Linderung verschaffen, aber sie sind keine dauerhafte Therapie. Wir brauchen in OÖ eine Entflechtung der Aufgaben und Finanzierungsströme.

Das ist alles furchtbar komplex und benachteiligt Gemeinden und Städte. Ich bin sehr froh, dass Landeshauptmann Thomas Stelzer zu Transfergesprächen bereit ist, bzw. diese weiterzuführen. Da setzen wir nach der Sommerpause fort. Mein Ziel für 2025 ist: Eine spürbare Entlastung für viele oberösterreichische Gemeinden zustande zu bringen.

Sie schreiben auf ihrer Homepage auch, sie möchten die regionale Ungleichheit von Gemeinden bekämpfen. Was kann man sich darunter vorstellen?

Mir geht es darum, dass wir in allen Regionen des Landes gleich gute Lebensbedingungen haben. Das wir etwa im ländlichen Raum die gleiche gute Infrastruktur, wie in der Stadt haben. Also: Flächendeckend gute Kinderbetreuung, gute Verkehrsanbindungen – vor allem bei den Öffis – sowie eine Stärkung der sozialen Nahversorgung. Hier vor allem Geschäfte, aber auch Bankomaten in allen Orten und ausreichend Pflegeangebote.

Diese Infrastruktur ist leider in den vergangenen Jahrzehnten ausgehöhlt worden. Ich komme selbst aus dem ländlichen Raum, aus dem Mühlviertel und kenne deswegen die Situation gut. Da braucht es bundesweite Investitionsprogramme.

Sie sprechen das Mühlviertel an. Sie selbst sind auch Unterstützer der neuen überparteilichen Initiative Pro Summerauerbahn…

Es ist leider ein großes Versäumnis des Bundes, dass man das Versprechen die Summerauerbahn parallel zum Ausbau der S10 Schnellstraße – zumindest teilweise – zweigleisig auszubauen, nicht eingehalten hat. Das fordere ich ganz konkret von einer nächsten Bundesregierung und den ÖBB. Diese Nord-Süd-Verbindung ist eine entscheidende.

Nicht nur für das Mühlviertel, sondern für ganz Oberösterreich. Die Bahn ist notwendig, um einen Teil des Güterverkehrs auf die Schiene zu bringen. Sonst haben wir die Lkw künftig alle im Bindermicheltunnel auf der Stadtautobahn in Linz haben werden. Und dann droht uns in ein paar Jahren der nächste Verkehrsinfarkt. Deswegen habe ich der überparteilichen Initiative auch meine Unterstützung zugesagt und werde mich da im Herbst auch in Richtung Bund engagieren.

Die Volksanwaltschaft lobt die oö. Kinder- und Jugendhilfe. Was macht Oberösterreich besser als andere Bundesländer?

Aus meiner Sicht gehören wir zu den innovativsten Bundesländern im Bereich der Prävention, Vorsorge und Früherkennung. Wir entlasten Familiensituationen bevor sie eskalieren. Kinder aus Familien herausnehmen zu müssen, muss das letzte Mittel bleiben. Wir wollen daher alles Mögliche vorher unternehmen, dass es dazu gar nicht kommt. Derzeit betrifft das rund 1.500 Kinder und Jugendliche, die in Einrichtungen oder bei Pflegeeltern untergebracht sind. Diese Zahl soll aber weiter sinken.

Sie haben dazu auch einen 5-Punkte-Plan präsentiert, um Jugendliche Täterkarrieren frühzeitig zu stoppen…

Uns beschäftigen von diesen 1.500 fremd untergebrachten Kindern manche Einzelfälle sehr stark. Dort merken wir, dass die Probleme oft noch vielschichtiger und komplexer werden. Deshalb entwickeln wir in den nächsten Jahren den Bereich der Prävention massiv weiter. Wir werden mobile Familiencoaching landesweit ausrollen.

Es wird einen Leitfaden für Gesundheitsberufe geben, um schwierige Situationen leichter und früher zu erkennen. Damit Kinderärzte, Hebammen, Kindergartenpädagoginnen ihren Blick auf Familien schärfen können.

Trotzdem gibt es Härtefälle. Wie geht man mit denen um?

Wir entwickeln auch die Betreuungsstrukturen in Wohngemeinschaften für gefährdete und gefährdende Kinder mit neuen Konzepten weiter. Für diese sehr schwierigen Einzelfälle, da sprechen wir von ganz wenigen, zirka 25 Kinder von insgesamt 277.000 Kindern in ganz OÖ, brauchen wir eine neue Form der Sozialpsychiatrischen Wohngruppe.

Dort sollen Psychiatrie, Sozialarbeit, Gesundheit und Justiz diese Kinder noch besser unterstützen. Dort braucht es aber auch mehr Anhaltemöglichkeiten, wie Ausgangsbeschränkungen, um einen sicheren Rahmen zu bieten.

Diskutiert wurde unter anderem auch über eine Senkung der Strafmündigkeit. Für Sie keine Option?

Ich wehre mich entschieden gegen diese populistische Scheinlösung, weil ich der Meinung bin, dass Gefängnisse sicher nicht die richtigen Orte für Kinder sind. Damit sich die Frage gar nicht stellt, braucht es mehr Ressourcen.

Mehr Mittel für Kinder- und Jugendpsychiatrie, Sozialarbeit und Studienplätze. Wir haben in Oberösterreich viel mehr Anmeldungen als Plätze, dass muss sich ändern. Jeder Euro den wir in Prävention stecken, zahlt sich langfristig mehr als doppelt aus. In Extremfällen braucht es aber Anhaltemöglichkeiten. Denn wir akzeptieren natürlich keine kriminellen Handlungen.

Auch das Programm „Mentors4Youth“ soll dabei helfen…

Wir wollen jugendliche Täterkarrieren frühzeitig stoppen. Wenn es aber zu schwerwiegenden oder gar kriminellen Verhalten kommt, wollen wir mit diesem Projekt Peer-Arbeit machen. Dabei werden Jugendliche mit krimineller Vergangenheit zu Peers und Mentoren ausgebildet, die dann mit diesen gefährdenden Kindern und Jugendlichen arbeiten, um ihnen aufzuzeigen welchen negativen Konsequenzen kriminelles Verhalten für sie hat. Das Projekt läuft in Deutschland bereits sehr erfolgreich und wir haben es jetzt auch nach Oberösterreich geholt.

Sie haben kürzlich den Tätigkeitsbericht 2023 der Tierschutzombudsstelle OÖ präsentiert, geht es den Tieren in Oberösterreich gut?

Ich bin einerseits froh über das breite Netzwerk, dass uns beim Tierschutz unterstützt. Tierheime, Tierrettungen, Vereine und freiwilligen Helfer, die dazu beitragen, dass Tiere gut untergebracht sind. Aber ich sehe schon Entwicklungen, die mich nachdenklich machen. Tiere verkommen immer mehr zu Konsumgegenständen, werden unüberlegt gekauft oder verschenkt. Viele Menschen überlegen sich viel zu wenig, ob sie überhaupt in der Lage sind ein Tier zu halten. Dazu kommen absurde Trends, wie Online-Bestellungen und Importe.

Immer mehr Tierheimen sind deswegen überfüllt. Welche Strategien hat man hier, um für Entlastung zu sorgen?

Genau deswegen habe ich das Projekt „Tierschutzland 2030“ ins Leben gerufen. Dort werden wir mit unseren Tierschutzpartnern im kommenden halben Jahr planen, wie wir mit den Kapazitäten in unseren Tierheimen haushalten und auch ausbauen können.

Wie sieht es mit der finanziellen Unterstützung aus?

Wir haben das Tierschutzbudget in den vergangenen Jahren deutlich erhöht. Wir haben mit Leistungsvereinbarungen eine gute Basis, wo wir Personal, Gebäude, etc. mitfinanzieren. Darüber hinaus helfen viele Menschen mit Spenden oder freiwilligen Einsatz. „Tierschutzland 2030“ soll die Planungsgrundlage werden, um langfristig noch mehr Mittel für den Tierschutz aufzustellen.

Zuletzt wurde das Hundehaltegesetzt verschärft. Anlass war der tragische Tod einer Joggerin. Kann man mit Gesetzen solche Fälle überhaupt verhindern?

Dieses Gesetz ist in erster Linie ein Sicherheitsgesetz, um dem Schutzbedürfnis der Oberösterreicherinnen und Oberösterreicher zu entsprechen. Nach so einem tragischen Vorfall war uns klar, dass wir unser Hundehaltegesetz auf Herz und Nieren prüfen müssen. Wir haben jetzt, dass aus meiner Sicht, modernste Hundehaltegesetz, mit dem wir vor allem bei der Verantwortung der Hundebesitzer ansetzen.

Damit haben wir eine gute Grundlage geschaffen. Gesetze allein, werden solche Fälle aber nicht restlos verhindern können. Wir starten aber im Herbst mit einer breiten Informations- und Bewusstseinskampagne, um unüberlegte Kaufentscheidungen zu verhindern.

Die Nationalratswahl nähert sich mit Riesenschritten. Ist die SPÖ nach den turbulenten Zeiten fit für die Arbeit in der Bundespolitik?

Die EU-Wahl hat gezeigt, dass das Feld zusammengerückt ist. Es gibt einen Dreikampf um die Spitze im Land. Derzeit trennen die Parteien nur wenige zehntausend Stimmen. Und es gibt auch viele Nichtwähler. Das alles motiviert für den Kampf um die Kanzlerschaft. Es geht uns um eine Politik, die die sozialen Bedürfnisse der Menschen erkennt.

Leistbares leben, Wohnen, sichere Pensionen oder ein Gesundheitssystem abseits der Zwei- oder Drei-Klassen-Medizin. Wir wollen das Vertrauen in den Sozial- und Wohlfahrtsstaat wieder herstellen. Dazu sind wir in Oberösterreich sehr gut aufgestellt. Mit der jüngsten Kandidatin in der Geschichte der SPÖ OÖ, Eva-Maria Holzleitner.

Sie sind selbst stellvertretender Parteivorsitzender. Sehen wir Sie bald vielleicht in noch einer Funktion auf Bundesebene, oder sitzen sie auch nach der Wahl noch in der Landesregierung?

Mein Platz ist in Oberösterreich, ganz klar.

Eine Koalition mit der FPÖ schließt die SPÖ komplett aus. Dann bliebe (nach jetzigem Stand) nur noch die ÖVP. Möglicherweise bräuchte es noch eine dritte Kraft. Wie realistisch ist eine Dreierkoalition?

Eine stabile Zweierkoalition wäre natürlich einfacher und leichter regierbar. Aber es geht vielmehr um die Inhalte. Am Ende kommt die Version für uns in Frage, mit der wir das meiste unserer Punkte umsetzen können. Das wäre grundsätzlich mit allen möglich, nur nicht mit der FPÖ. Aber klar ist auch, wir haben als Sozialdemokratie den Führungsanspruch und dafür kämpfen wir bis zum 29. September.

Das Interview führte Dominik Hennerbichler