Zweierlei Maß im Geschichtsgericht

Bei der SPÖ-Ikone, die sich Hitler angebiedert hatte, endet der Linzer Straßenumbenennungseifer

Wohnanlage „Rennnerhof“ im Linzer Franckviertel.
Wohnanlage „Rennnerhof“ im Linzer Franckviertel. © Maurer

Der Linzer Stadtsenat saß diese Woche zu Gericht über vier historisch belastete Straßennamensgeber. Die Urteile: Viermal ewige Verbannung von den Straßenschildern.

Franz Resl ist nicht mehr würdig, einem Weg im Frankviertel seinen Namen zu geben, weil der 1954 verstorbene Volksschriftsteller und Humorist auch Nazi und Antisemit war.

Der deutsche Komponist Hans Pfitzner verschwindet vom Straßenschild am Froschberg, weil auch er viel Antisemitisches von sich gegeben hatte.

Wegen Ferdinand Porsches NS-Verstrickungen trägt ein Weg in der Neuen Heimat nicht länger den Namen des Autobauers.

Antisemitischer Nazigegner

Auch die nach dem 1941 verstorbenen Diözesanbischof Johannes Maria Gföllner benannte Straße wird umgetauft. Gegen den Bann hatte die Diözese nichts einzuwenden, weil auch sie Gföllners Agieren in der „ersten Republik kirchlich und politisch schädlich“ einstuft.

Der 1915 von Kaiser Franz Joseph ernannte Bischof hatte als überzeugter Monarchist Kriegspropaganda betrieben, nach dem Untergang des Habsburgerreiches Engelbert Dollfuß verehrt und den katholischen Antisemitismus seiner Zeit gepredigt. Zugleich war er aber überzeugter Anti-Nazi.

Im Jänner 1933, wenige Wochen vor Adolf Hitlers Machtübernahme in Berlin, attackierte er den Nationalsozialismus in einem Hirtenbrief derart scharf, dass ihn die anderen Bischöfe in ihren Diözesen nicht verlesen lassen wollten. Ein guter Katholik könne kein Nationalsozialist sein, befand Gföllner, der Hitler im April 1938 nach dem „Anschluss“ Österreichs bei dessen Besuch im Linzer Mariendom nicht empfangen wollte.

Diese mildernden Umstände bremsten nicht den Umbenennungseifer der Stadt Linz. Unbestritten finden sich in jeder der vier Biografien hinreichende Begründungen für den Entzug der Namensgeberwürde — insbesondere dann, wenn man das jeweilige Lebenswerk keiner Gesamtwürdigung unterzieht, sondern die Schattenseiten in den Fokus rückt.

Roter Heim-ins-Reich-Jubler

Das kann man so machen. Muss man aber nicht. Wie zum Beispiel im Fall jenes Säulenheiligen der Republik, nach dem in Linz nicht nur eine Straße, sondern auch eine Schule und eine Wohnanlage benannt sind. Obwohl dieser prominente Sozialdemokrat antisemitische Töne angeschlagen und sich bei den Nazis angebiedert hatte, ertönte kein Ruf nach Umbenennung.

Sein Antisemitismus war kein religiöser oder rassistischer, sondern ein antikapitalistisch verschwörungstheoretischer: In der Ersten Republik warf er den Christlichsozialen vor, „in der Gefolgschaft des jüdischen Großkapitals, ganz offen gesagt, der jüdischen Banken“ zu stehen. Den damaligen Bundeskanzler, Prälat Ignaz Seipel, schimpfte er „Judenliberalen in der Soutane“.

Und nach Hitlers Überfall wurde er zum roten Heim-ins-Reich-Propagandisten: „Ich müßte meine ganze Vergangenheit als theoretischer Vorkämpfer des Selbstbestimmungsrechtes der Nationen wie als deutschösterreichischer Staatsmann verleugnen, wenn ich die große geschichtliche Tat des Wiederzusammenschlusses der deutschen Nation nicht freudigen Herzens begrüßte“ — so warb diese SPÖ-Ikone am 2. April 1938 im „Neuen Wiener Tagblatt“ für ein Ja der Österreicher beim Referendum über den „Anschluss“ an Nazi-Deutschland.

Nach dem Krieg biederte er sich beim „ruhmbedeckten Obersten Befehlshaber“ Josef Stalin an, was aber als Teil der Nachkriegserfolgsgeschichte, in der es um die Wiedererlangung der Unabhängigkeit Österreichs ging, nur positiv gewertet wird. Buckeln vorm Kremldikator war das vom Zweck geheiligte Mittel.

Auch den Antisemitismus legte die Straßennamenkommission in diesem Fall nicht auf die Goldwaage. Im Bericht schreibt sie von „aus dem Zusammenhang gerissenen“ Zitaten. Erwähnt wird etwa dieses Zitat: „Sicherlich würden wir es nicht zulassen, dass eine neue jüdische Gemeinde aus Osteuropa hierher käme und sich hier etablierte, während unsere eigenen Leute Arbeit brauchen.“ Es entstammt einer Rede im Februar 1946 — gehalten von Bundeskanzler Karl Renner, einem Gründervater der Zweiten Republik.

Trotzdem werden Rennerhof, Rennerschule und Rennerstraße nicht umbenannt. Weil das Lebenswerk und nicht nur dunkle Kapitel zählen. Dieses milde Prinzip galt freilich nicht für alle Angeklagten im Linzer Geschichtsgericht.

Eine Analyse von Manfred Maurer

Das könnte Sie auch interessieren