Racheengel in bunten Socken

Ein Lockruf: Handkes Erzählung „Das zweite Schwert“

Handke und sein Buch „Das zweite Schwert“ (Suhrkamp, 160 S., €20,60)
Handke und sein Buch „Das zweite Schwert“ (Suhrkamp, 160 S., €20,60) © AFP/Jocard, Suhrkammp

Worüber, wie schreibt Peter Handke? Er legt ja alle Karten offen. Kein Beobachten, das er als etwas „Ungehöriges, ja Verbotenes“ empfindet.

In „Das zweite Schwert“ notiert der Dichter: „Meine Sache, wenn es die überhaupt gibt: Etwas, ohne ein Zutun, gewahr zu werden, (…) und mit dem Bild allsogleich und auf der Stelle wegzudriften in einen Wachtraum so wach, wie ich von nichts Wacherem sonst weiß.“

Der Sprache ihre Unschuld

Handkes Schreiben will den Dingen, der Sprache ihre Unschuld wiedergeben. Als ob sie zum ersten Mal gesehen, beschrieben werden würden. Am Anfang von Handkes „Maigeschichte“ in den Spiegel gesprochen?, geschrien?, gedacht?: „Das ist also das Gesicht eines Rächers!“ Macht sich der Ich-Erzähler über sich selbst lustig? Zum „Rachefeldzug“ entschlossen, nimmt er erstmals seit einem Jahrzehnt, „der ich mich all die Zeit höchstens geduscht hatte, ein Morgenbad“.

Motiv und Umstände der Rache sind dem Erzähler (er wohnt wie Handke südwestlich von Paris, redet wie Handke, er wird doch nicht selbst Handke …?) erst einmal wurscht. Er berichtet Vorkommnisse in der Nachbarschaft, über verlängerte Ferien und ausbleibenden Lärm, trinkt Wein mit „windschiefen Gestalten“. In der Feierabendbar erklärt er sich, „angetan hat die Person etwas, und mehr als nur Unrecht, meiner seligen, meiner heiligen Mutter!“

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Ein Rotkehlchen im Garten der „Rachetrainer“ des Dichters. Er denkt nach über Gewalt und Rache, eigene Gewaltfantasien, führt Selbstgespräche („,Trottel!’ — ,Selber Idiot!’“). Als „Gipfel der Gewalt“ die Sprache „der Zeitungen“, hier die Behauptung, seine damals 17-jährige Mutter sei Teil einer „heil-oder-sonstwas schreiende(n) Menschenmasse auf dem Heldenplatz oder sonstwo“ gewesen.

Es macht auch Spaß, dem Erzähler dabei zu folgen, wie er sich auf seinem Feldzug verzettelt. Im Bus, zu Fuß, mit dem Taxi sucht der „Rächer mit den verschiedenfarbigen Socken“ den Tatort „der an meiner Mutter verübten Wortschurkerei“ auf. Schönheit und Verspieltheit von Handkes Sprache, präzise und haltlos zugleich, fragend. In den zärtlichen Momenten schließt „Das zweite Schwert“ an den Handke-Klassiker „Wunschloses Unglück“ an, eine Traum-hafte Sequenz kehrt das Rachemotiv gegen den Erzählenden: „Rache zu nehmen war an mir, einzig und allein an mir.“ — Niemand sollte vor dem Nobelpreisträger erstarren. Dieses Buch ein Lockruf, es entwickelt eine stille Kraft (mit ruppigen Einschüben), die so manchen zum Handke-Fan umkrempeln könnte.

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