Rettung einer verlorenen Tochter

Katrin Gebbes mutiges Drama „Pelikanblut“ über verrückte und beeindruckende Mutterliebe mit Nina Hoss und Murathan Muslu

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Als Wiebke ihrer Tochter Raya das erste Mal in die Augen blickt, ist das so voller Liebe, wie nur irgend möglich. Nichts stört diese Reinheit, Rayas neue Schwester blickt voller Zuneigung auf die Begegnung, eine Familie entsteht. Und es ist dieser Moment, der das Unheil, das hereinbrechen wird, so brutal macht.

Regisseurin Katrin Gebbe hat offenbar eine sehr gute Hand für Besetzung. Ihr Film „Pelikanblut“, der bereits vergangenes Jahr bei den Filmfestspielen in Venedig vorgestellt worden ist, coronabedingt aber erst jetzt in die Kinos kommt, lebt nicht nur von der spannenden und einnehmenden Geschichte des Dramas, sondern auch von den Darstellern, allen voran Nina Hoss.

Hoss spielt die Pferdetrainerin Wiebke. Sie lebt mit der neunjährigen Nikolina (Adelina-Constance Ocleppo), die sie in Bulgarien adoptiert hat. Wiebke ist es gewohnt, zu führen. Das Pferd, das den Reiter auf seinem Rücken nicht annimmt, wird dazu erzogen. Dass die fünfjährige ebenfalls adoptierte Raya (Katerina Lipovska) so traumatisiert ist, dass ein „normales“ Leben mit ihr nicht möglich ist, akzeptiert Wiebke nicht.

Ob Rayas Verhalten normal sei, so der Arzt, hänge davon ab, wie die Gesellschaft dies definiere. Zu ertragen ist es kaum, wenn das Mädchen seiner neuen Familie und schließlich sich selbst das Leben zur Hölle macht. Wiebkes Leiden wird nahezu unerträglich, als ihr vom missbräuchlichen Verhalten ihrer Tochter gegenüber schwächeren Kindern erzählt wird.

Die Mutter trägt alle Konsequenzen

Spannend ist, dass Neurologie, Psychologie und Okkultismus zum selben Schluss kommen, wenn es darum geht, Rayas Leiden zu definieren – Heilung verspricht nur eine Seite. Einig sind sie sich, dass das Mädchen keine Schuld an dem „bösen“ Verhalten trifft. Wiebke macht sich mutig, entschlossen und verrückt daran, alles wieder ins Lot zu bringen, ein Leben für und mit Raya möglich zu machen. Sie trägt dafür alle Konsequenzen, körperliche und emotionale. Sie verlangt damit aber auch den anderen vieles ab: der liebevollen „ersten“ Tochter Nikolina, dem wunderbaren und anfangs so verständnisvollen Benedikt (Murathan Muslu), der gerade in ihr Leben tritt. Wiekbe wird selbst zur Zerstörerin.

Katerina Lipovska ist eine kleine Entdeckung hierzulande und als Raya für viele kalte Schauder verantwortlich. Adelina-Constance Ocleppo verzweifelt als Nikolina schier an ihrer kleinen Schwester und den Reaktionen ihrer Mutter. Auch der von Murathan Muslu dargestellte Benedikt verliert seinen Optimismus zusehends und schwankt glaubhaft zwischen Wut und Resignation angesichts der Veränderung Wiebkes. Doch die lässt nicht ab, will der unerschütterliche Rettungsanker für ihr von allen aufgegebenes Kind sein.

Ob man das Ende nun mag oder nicht, ihm zustimmt oder nicht — es ist eine Wohltat, dass Gebbe eine Entscheidung trifft. Es gelingt der Regisseurin, die auch für das Drehbuch verantwortlich zeichnet, ohne Mühe zwei Stunden lang sehr differenziert auf ihre Figuren zu blicken und auf die unbekannte Thematik des Films. Trotzdem setzt sie den gewagten Schlusspunkt — ohne nicht auch Fragen in den Raum zu stellen, die lange nachwirken.

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