„Schaue nicht auf das, was nicht geht, sondern auf das, was möglich ist“

Diözesanbischof Manfred Scheuer erklärt im VOLKSBLATT-Gespräch aber auch, dass er sich gegen Corona impfen lassen wird

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IMG_0191.JPG © Diözese/Kraml

VOLKSBLATT: Weihnachten und Jahreswechsel ist eine Zeit der Wünsche und der Vorsätze: Was wünschen Sie persönlich zu Weihnachten?

BISCHOF SCHEUER: Für mich ist Weihnachten auf der einen Seite eine Zeit der intensiven Arbeit, da bin ich innerlich nicht so frei und da stehen die Wünsche eher im Hintergrund. Ich schaue, dass das, was daherkommt, was an Ansprüchen da ist, was ich an Aufgaben habe, so halbwegs gut erfülle – danach ist mehr Zeit zur Ruhe. Ich wünsche mir im kirchlichen, aber auch im gesellschaftlichen Bereich ein Schauen und Hören aufeinander und ein Lernen voneinander. Manchmal habe ich den Eindruck, dass leider mehr die Konkurrenz und auch der Konflikt zelebriert werden. Auch Selbstinszenierung steht oft im Vordergrund. Das ist in der gegenwärtigen gesellschaftlichen, aber auch kirchlichen Situation nicht nur gesundheitlich, sondern auch wirtschaftlich nicht zielführend.

Und gibt es Vorsätze für 2021 für die Diözese?

Gegenwärtig ist es so, dass wir auf Sicht gehen und die Sicht ist leider nicht die tolle Fernsicht vom Böhmerwald bis zum Dachstein. Ich war einmal am Plöckenstein und konnte hinter dem Nebelmeer den Dachstein sehen, das ist faszinierend. Aber eine solche Fernsicht haben wir zurzeit nicht. Derzeit sind wir nur Schritt für Schritt unterwegs.

Aber trotzdem braucht man die richtige Richtung.

Es ist sicherlich in der Diözese – gemeinsam mit anderen – meine Aufgabe, hier zu navigieren.

Das heurige Jahr war für die katholische Kirche in OÖ sehr fordernd. Welche Bilanz ziehen Sie?

Es ist eine Frage, aus welcher Perspektive ziehe ich Bilanz. Bei einer Weihnachtsfeier im Gefängnis hat einmal der Gefängnisdirektor gesagt, es war ein erfolgreiches Jahr – was ist Erfolg in diesem Kontext? Was heißt also Bilanz im Hinblick auf Kirche?

Da ist zum Beispiel entschieden die Bilanz, die von Jesus gezogen wird, wenn es heißt: Ich war hungrig, durstig, nackt, obdachlos und ihr habt mich gespeist, zu trinken und Obdach gegeben, besucht. Das ist eine entscheidende Bilanz. Und ja: Es hat in diesem Jahr Solidarität gegeben, wir schauen auf einander und es hat in manchen Bereichen eine Vertiefung gegeben.

Sie sind auch stellvertretender Vorsitzender der Bischofskonferenz, wie haben sich denn die Lockdown-Regeln in den Kirchen bewährt?

Es war und ist in dieser Situation ein Ausdruck dessen, dass wir für das Gemeinwohl Mitverantwortung tragen, dass wir ein Teil der Gesellschaft sind und mitdenken und dass wir auf andere schauen und auf uns schauen. Es war der Lockdown auf der einen Seite zu Ostern sicher sehr schmerzlich, weil dieses größte Fest nur unter eingeschränkten Bedingungen gefeiert werden konnte. Aber ich schaue nicht auf das, was nicht geht, sondern auf das, was möglich ist. Und es ist durch Medien und virtuelle Kommunikation durchaus gelungen, relativ viele Menschen hereinzuholen.

Der Patoraltheologe Paul Zulehner zieht den Schluss, dass nach der Pandemie weniger Menschen zur Kirche gehen werden. Wie planen Sie den „Restart“ nach dem „Lockdown“?

Also die Entwicklung der Gottesdienstbesucher ist auch vorher nicht steil nach oben gegangen. Und die Zahlen sind auch nicht das Entscheidende. Ich habe nämlich schon den Eindruck, dass gar nicht wenige Menschen in dieser Phase entdeckt haben, wie kostbar die Liturgie ist und wie wichtig die Gemeinschaftserfahrung ist.

Es gab im Lockdown sehr viele Initiativen von den Pfarren, was kann man mitnehmen?

Es war überraschend, wie schnell das gegangen ist und was alles auf die Beine gestellt wurde. Das hat sich gut entwickelt – aber natürlich stehen dahinter Personen und konkrete örtliche Rahmenbedingungen. Aber in den letzten zehn Monaten haben sich Gestaltungsmöglichkeiten gezeigt, die wir sicher weiterentwickeln werden.

Drohen nach den leeren Kirchen auch leere Kassen und wie kann man reagieren?

Ich habe in den letzten Monaten mitbekommen, wie wichtig auch die Gebäude sind, wie hoch die Identifikation der Menschen mit diesen Kirchengebäuden ist. Das hat sogar zugenommen. Die Pandemie wird natürlich in vielen Bereichen wirtschaftliche Auswirkungen haben. Aber jetzt ist einmal wichtig, die Gesundheitskrise zu überwinden.

Laut Zulehner könne die Zukunft nur gemeistert werden, wenn es der Kirche gelingt, aus der Asche der Strukturreformen wieder in das Feuer des Geheimnisses Gottes zu gelangen. Ist die Strukturreform bereits Asche oder wie steht es um den Zukunftsprozess in OÖ?

Diese Formulierung von Paul Michael Zulehner hört sich ja gut an, sie stimmt in gewisser Hinsicht auch. Und ich nehme mit auf, dass wir viele Kräfte in die Strukturfragen investiert haben und Organisationsfragen sehr viel Energie und Zeit okkupiert haben. Und es lässt es als Prophet, als Professor oder als Journalist auch leicht sagen. Wenn du aber für die Institutionen, für die Arbeitsplätze verantwortlich bist, dann ist es nicht mehr so leicht, solche Bilder zu verwenden.

Wann kann man mit der Entscheidung beim Zukunftsprozess rechnen?

Ich hoffe, dass in den nächsten Monaten grundlegende Weichenstellungen vollzogen werden können und dass es dann im Verlauf des Jahres zu den ersten Umsetzungen kommen kann.

Im Anti-Terror-Paket ist „religiöser Extremismus“ als Straftatbestand festgeschrieben. Verstehen Sie die Intention des Gesetzgebers?

Es ist — sowohl von der Geschichte als auch der Gegenwart her — natürlich zu beklagen, dass Religion und Gewalt nicht immer strikt getrennt sind. Das Potenzial der Gewalt steckt leider in allen Ideologien drinnen. Insofern gibt es rechts, links und auch religiös motivierten Extremismus, den es klar zu begrenzen gilt.

Der Gesetzgeber ist derzeit ebenfalls gefordert, weil er von den Verfassungsrichtern den Auftrag bekam, Gesetze gegen den Missbrauch bei der Sterbehilfe zu verabschieden. Was erwarten Sie sich vom Parlament?

Ich war sehr überrascht und befremdet von der Begründung des Verfassungsgerichtshofes, dass es Ausdruck der Würde des Menschen sein soll, sich selbstbestimmt umzubringen und dabei auch die Beihilfe anderer in Anspruch nehmen zu dürfen. Der Suizid ist aber nicht Ausdruck höchster Selbstbestimmung und menschlicher Würde, sondern meistens ein Hilfeschrei in einer dramatischen Situation. Es geht daher viel mehr darum, die Menschen aufzufangen und zu begleiten. Und da haben sich in den letzten dreißig Jahren gerade im Hinblick auf Hospiz- und Palliativwesen sehr positive Ansätze entwickelt. Unter diesen neuen Bedingungen hoffe ich, dass die Würde des Menschen von Geburt bis zum Ende unantastbar bleibt. Diese Würde gilt gerade auch für Menschen, die beeinträchtigt sind oder sich selber nicht mehr helfen können.

Kommende Woche starten die Impfungen, haben Sie sich schon überlegt, ob Sie sich gegen Corona impfen lassen?

Ja, ich habe mir das überlegt und ich werde mich impfen lassen, ich weiß aber nicht, wann ich da drankomme. Es ist auch als Signal wichtig, denn ich habe die Verantwortung zuerst einmal für die eigene Gesundheit, aber ich kommuniziere und bin verwoben mit anderen. Bei einer ansteckenden Krankheit bin ich auch ein möglicher Gefährder. Und ich hoffe, dass durch die Impfungen auch eine gewisse Normalisierung erfolgt.

Rechnen Sie heuer zu Ostern mit einem gesellschaftlichen Auferstehungsfest?

Das wäre jetzt zu früh. Im Sommer hätte vermutlich niemand damit gerechnet, was heuer zu Weihnachten alles nicht geht. Insofern wage ich jetzt keine Prognose für Ostern, sondern will jetzt Weihnachten unter diesen Bedingungen mit Freude und Zuversicht feiern. Und eines ist sicher: Ostern findet statt, die Auferstehung ist nicht abgesagt.

Mit Diözesanbischof MANFRED SCHEUER sprach Herbert Schicho

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