„Schöne Spiegelung, die uns berührt und nahe ist“

Harald Krassnitzer nach 50 „Tatort“-Folgen über Kollegen, das Älterwerden & eine „kongeniale Partnerschaft“

Harald Krassnitzer
Harald Krassnitzer © Thomas Ramstorfer

1999 hat Harald Krassnitzer im VOLKSBLATT-Gespräch gemeint, er würde mit dem „Tatort“ ganz bestimmt nicht wie Horst Tappert mit „Derrick“ in Pension gehen.

Kürzlich ist er 60 geworden und nun legt er mit „Die Amme“ (14. März 2021, 20.15 Uhr, ORF 2) den 50. Fall vor, den er als Moritz Eisner löst.

VOLKSBLATT: Auf so viele Einsätze kam noch kein österreichischer „Tatort“- Kommissar. Ihr Erfolgsrezept als Fernseh-Kieberer?

HARALD KRASSNITZER: Ich habe meine Einsätze nicht gezählt und kann mit dieser Zahl auch wenig anfangen, sondern viel mehr damit, dass es uns gelungen ist, ein Team zu schaffen oder eine Atmosphäre, wo wir an jeden „Tatort“ neu rangehen und eine neue Geschichte erzählen. Und dann zählt nicht, ob der Krassnitzer jetzt seinen 50. Tatort hat oder nicht. Der einzige Sinn und die einzige Aufgabe, die Fernsehen hat – im fiktionalen Programm zumindest – ist es, zu berühren.

Liegt es auch am eingespielten Team, das Sie mit Adele Neuhauser bilden?

So eine kongeniale Partnerschaft ist letztlich das Kernzentrum eines Erfolges. Das kann man nicht auf meinen Schultern allein ruhen lassen. Hier wirken viele Sachen mit. Die Adele und ich haben die Möglichkeit, uns einzubringen. Das Erstaunliche ist, dass wir oft entdecken, dass Figuren dort, wo sie scheinbar plump und einfach, keine Helden und brüchig sind, ihre größten, berührendsten Momente haben.

Haben Sie einen Lieblings-„Tatort“?

Ehrlich gesagt, nein. Es geht vielmehr darum, sich nicht immer auf dem auszuruhen, was man irgendwann gemacht hat. Das, was gerade ansteht, das zu bewältigen, ist so eine überdimensionale Arbeit und Beschäftigung, dass man immer froh ist, wenn man es gut macht.

Und schauen Sie auf „Tatort“-Rankings?

Das sind immer nur punktuelle Beleuchtungen, das ist sehr subjektiv und ein eindimensionales Instrumentarium. Ich schaue mir andere „Tatorte“ an und freue mich, wenn es denen gelingt, eine gute Geschichte zu erzählen. Ich kann einen Tag lang über einen Münchner „Tatort“ schwärmen … Wir sind ja alle in dieser „Tatort“-Familie, insoferne habe ich zu allen ein gewisses Naheverhältnis. Hier permanent mit Daumen hoch oder Daumen runter zu agieren, wird der Sache nicht gerecht, weil man gerade oft von Teams, die nicht so gehypt werden, Dinge sieht, die einen nicht mehr loslassen.

Ihr Ende als „Bergdoktor“ haben sie damals recht cool genommen. Wie würde es Ihnen gehen, wenn man Moritz Eisner in Pension schicken würde?

Das würde ich genauso cool nehmen. Ich bin mir der Vergänglichkeit bewusst und habe auch zu meinem Sechziger nicht irgendwelche sentimentalen Jammereien über das Älterwerden anklingen lassen. Ich nehme das an, wie es ist, habe meine Freude damit und weiß, dass das irgendwann so sein wird. Jetzt reden wir gerade über die nächsten beiden „Tatort“- Jahre, das allein befeuert unglaublich und macht Spaß, weil ich weiß, da sind wieder faszinierende Ideen dabei.

Welche Ihrer Projekte zwischen den „Tatort“-Drehs haben Sie als Glücksfall empfunden?

Im Prinzip alle, weil auch, wenn etwas manchmal nicht so gut war, war es für mich eine Bereicherung, weil ich daraus gelernt habe. Man lernt vor allem Bodenhaftung und das ist in einem Genre, das mit Fiktion, Eitelkeit, einer permanenten Selbstreflektion und manchmal auch Selbstüberschätzung verbunden ist, etwas sehr Gesundes, Heilendes, wenn man sich das bewahren kann. Ich glaube, dass mir das über weite Strecken geglückt ist.

Wie schwierig ist es, nach dieser langen Zeit, dem Moritz Eisner noch neue Facetten abzugewinnen?

Gar nicht, weil wir immer zuerst mit dem neuen Thema hantieren und innerhalb dessen wird geklärt, wie die Verhältnisse der beiden Kommissare zu diesem Thema sind. Wir gehen nicht mit einem Archetypus, mit einem Katalog ran und sagen, Eisner darf nur so reden und Bibi nur so und dann muss da der Gag stattfinden und da das, sondern zäumen das Pferd von hinten auf. Dadurch, dass wir die Situation verdichten, kommen wir viel schneller und viel genauer auf die Temperatur, die es ausmacht, dass wir diese beiden Figuren als schöne Spiegelung sehen, als schöne Freundschaft, als etwas, das uns berührt und uns nahe ist.

Was ist der Jubiläumsfall für einer?

Der aktuelle Tatort „Die Amme“ ist ein Film geworden, den ich persönlich sehr gerne mag. Dem Christopher Schier ist hier wirklich ein Meisterwerk gelungen. Das ist ein junger Regisseur, der den Figuren die Möglichkeit gibt, bei sich zu bleiben und bei all ihren Brüchigkeiten. Gleichzeitig schafft er ein Täterbild, das uns auf der einen Seite abschreckt, erschreckt und verachtenswürdig erscheint und trotzdem wissen wir in bestimmten Momenten nicht, ob wir nicht auch Mitleid mit ihm haben sollen.

Mit Bibi Fellner hat Eisner ja schon einiges erlebt. In der aktuellen Folge verhält er sich wegen ihr so emotional wie noch nie?

Ja, man darf nicht vergessen, was da mit ihm passiert. Zum einen gibt es da eine Bindung zu dieser Partnerin und zum anderen ist ein Fall gelöst, wo noch viel schiefgehen hätte können. Das kennen wir doch alle: Wenn man nach der größtmöglichen Anspannung merkt, jetzt kommt eine Form der Katharsis, etwas könnte gut ausgehen, löst sich etwas und es kommt zu einer erleichterten Reaktion, die die Dimension einer Beziehung zeigt oder auch die menschlichen Qualitäten der beiden. Das finde ich schön und spannend zugleich. Das sind manchmal harte Hunde, die einen harten Ton anschlagen können, aber darunter finden wir etwas, das weich ist, verletzlich und berührend, fast wie ein Kind.

Sie agieren oft wie ein altes Ehepaar. Viele warten darauf, dass sich die beiden auch einmal wirklich näherkommen…

Nein! Das würde alles kaputt machen, weil, was tun wir denn dann? Miteinander Gulasch kochen, Tennis spielen, und dann war´s das? Also, das wäre sehr eindimensional. Es braucht dieses Spannungsbiotop aus einer tiefen Freundschaft, aber auch einer Vereinzelung und an manchen Punkten brauchen die auch ihre Schmerzkörper. Das ist das, was uns immer wieder wach hält.

Serien wie der „Bergdoktor“ verzeichnen gerade Höchstwerte bei den Zuseherzahlen. Liegt das an der schwierigen Zeit, dass die Menschen so ein Bedürfnis nach heiler Welt haben?

Ich glaube schon, dass es ein Bedürfnis gibt nach etwas, das ein wenig von dem ablenkt, was uns gerade belastet. Jetzt spricht da einer aus einer aristokratischen Stellung heraus: Ich kann gut stinken mit vollen Hosen. Ich hab ein Haus, eine wunderbare Frau. Wir haben uns tagtäglich, können uns stützen, uns umarmen, haben diese Nähe. Aber wir wissen, dass ein Großteil der Menschen in anderen Verhältnissen lebt. Da wird es existenziell und mit Angst behaftet. Ich kann das schon sehr nachvollziehen, dass man dann etwas sehen will, das ablenkt — es hilft uns nur nicht. Wir werden uns in den nächsten Jahren mit dem Einbruch der Wirklichkeit auseinandersetzen müssen und schauen, wie wir das in Zukunft bewältigen. Ich will da auch gar nicht die Schuldfrage stellen. Niemand weiß, wie er es besser gemacht hätte, als die, die es derzeit machen. Wir haben Schwachstellen und diese werden wir in Zukunft diskutieren müssen. Wenn man das Ganze als Art Generalprobe sieht, kann man viel draus lernen, denn dann stehen in puncto Klimawandel Fragen vor der Tür, die wieder existenziell sein werden.

Mit HARALD KRASSNITZER sprach Melanie Wagenhofer

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