Analyse: Selbstmordhelfer in den Startlöchern

Nach Legalisierung der Suizid-Beihilfe expandiert Schweizer Sterbehilfeverein nach Österreich

Selbstmord-Assistenten verhelfen ihren Klienten zu einem „Schlaf der absolut schmerzlos und ruhig in den Tod übergeht“.
Selbstmord-Assistenten verhelfen ihren Klienten zu einem „Schlaf der absolut schmerzlos und ruhig in den Tod übergeht“. © felipecaparros - stock.adobe.com

Die Aufhebung des Verbotes der „Beihilfe zum Selbstmord“ durch den Verfassungsgerichtshof am vergangenen Freitag stößt auf Ablehnung bei Kirchen und Ärztekammer, erfreut aber den Schweizer Sterbehilfeverein „Dignitas“, der die Klage für drei Betroffene und einen Arzt beim Höchstgericht initiiert hatte.

Die seit 22 Jahren von Zürich aus weltweit tätigen Selbstmordhelfer haben schon mehr als 3000 Menschen in den Freitod begleitet. Österreicher, die sich diese für umgerechnet 185 Euro Einschreibgebühr, 75 Euro Jahresmitgliedsbeitrag und volle Kostenübernahme angebotene Dienstleistung sichern wollen, müssen bislang in die Schweiz reisen.

Heuer haben das bereits vier getan. Seit 1998 leistete „Dignitas“ insgesamt 68 Österreichern Suizidbeihilfe, bei der dem Todeskandidaten nach ärztlicher Beratung eine tödliche Dosis Natriumpentobarbital verschrieben wird. „Nach dessen Einnahme schläft der Patient oder die Patientin innerhalb weniger Minuten ein, wonach der Schlaf absolut schmerzlos und ruhig in den Tod übergeht“, beschreibt „Dignitas“ die letzte Reise.

Keine vorletzte Reise mehr

Dafür soll bald keine vorletzte Reise mehr erforderlich sein. Denn die eidgenössischen Suizid-Organisatoren wollen direkt in Österreich aktiv werden: Aufgrund des bisher geltenden Verbots gebe es in Österreich keine Struktur und keine Erfahrung mit professioneller Suizidhilfe, so „Dignitas“ zum VOLKSBLATT und verweist darauf, nach 22 Jahren internationaler Tätigkeit „über entsprechende Kompetenz“ zu verfügen. Zusammen mit der „Österreichischen Gesellschaft für ein Humanes Lebensende“ (ÖGHL) werde man „sein Know-how jenen Fachpersonen im Gesundheitswesen zur Verfügung stellen, die im Rahmen des Rechts mit Respekt und Mitmenschlichkeit Menschen helfen, die ihr Leiden und Leben mit professioneller Hilfe selbstbestimmt beenden möchten“.

Suizidhilfe für Depressive

Der österreichische Gesetzgeber ist gut beraten, sich das Wirken des Vereins genau anschauen. Denn das Höchstgericht hat der Politik auch Maßnahmen zur Verhinderung von Missbrauch aufgetragen. Im Gegensatz zum Verein „Exit“, der auf VOLKSBLATT-Anfrage betont, Freitodbegleitung ausschließlich Schweizer Staatsbürgern anzubieten, ist „Dignitas“-Gründer Ludwig A. Minelli von geradezu missionarischem Eifer beseelt.

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Und er legt das Recht auf Selbstmord sehr weit aus, wobei er sich auf Artikel 8 der Europäischen Menschenrechtskonvention beruft. Dort steht zwar nichts zur Sterbehilfe, aber er garantiert das „Recht auf Achtung des Privat- und Familienlebens“. Da lässt sich viel hineininterpretieren. In seiner Heimat hat Minelli bereits erfolgreich erstritten, auch psychisch Kranken zum Eintritt ins Jenseits verhelfen zu dürfen. Bis vor einigen Jahren drohte eidgenössischen Medizinern, die psychisch kranken Suizidwilligen eine tödliche Schlafmitteldosis verschreiben wollten, der Entzug der Approbation. Das ist schon lange nicht mehr der Fall.

Davon „profitierte“ auch Rüdiger Struck. Der körperlich gesunde, aber depressive Kärntner beging am 25. März 2013 mit Hilfe von „Dignitas“ in Lachen am Zürichsee Suizid. Seine Mutter versteht das bis heute nicht. Sie sei von dem Verein nicht einmal über die Absicht ihres 34-jährigen Sohnes informiert worden, sagt Struck zum VOLKSBLATT.

Ein umstrittenes Testament

Die Kärntnerin ist überzeugt, dass ihr Sohn von außen beeinflusst war, „sonst hätte er niemals Selbstmord begangen“. Er habe sogar kurz vor seinem Tod in der Schweiz ein Autohaus gegründet. In dem Fall ging es auch um Geld, sehr viel Geld. Rüdiger, dem sein verstorbenen Vater in Millionenerbe hinterlassen hatte, setzte ein Jahr vor seinem Freitod testamentarisch zwei Vereine mit Nähe zu „Dignitas“-Chef Minelli als Haupterben ein. Der Erbschaftsstreit nach Rüdigers Tod wurde durch einen Vergleich beigelegt, Birgit Struck macht keine Ansprüche mehr geltend gegen Minelli, der selbst vom Testament seines Klienten nichts gewusst haben will. 2018 wurde der 87-Jährige Vereinschef in drei anderen Fällen, in denen ihm Bereicherung an Klienten vorgeworfen war, freigesprochen. Das von seinem Verein erhaltene Honorar von jährlich 112.000 Euro, fand das Schweizer Gericht angemessen.

Eine entsetzte Mutter

Birgit Struck befürchtet dennoch Probleme, „wenn solche Vereine bei der Beihilfe zum Selbstmord die Finger im Spiel haben“. Die Aussicht, dass „Dignitas“ aufgrund einer neuen gesetzlichen Basis direkt in Österreich aktiv werden will, erfüllt sie mit Entsetzen: „Mein Gott, oh nein, da läuft es mir ganz kalt über den Rücken!“

Eine Analyse von Manfred Maurer

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