„So ein bissl Schmäh ist immer dabei“

Seine Erläuterungen zu Corona haben ORF-Wissenschaftschef Günther Mayr populär gemacht

Erklärt der Nation im TV das Virus: ORF-Wissenschaftsexperte Günther Mayr.
Erklärt der Nation im TV das Virus: ORF-Wissenschaftsexperte Günther Mayr. © ORF/Majnaric

In den letzten Monaten hat er uns erklärt, wie das Virus, das uns bedroht, funktioniert und wie der Forschungsstand dazu aussieht.

Günther Mayr (53), Leiter der ORF-Wissenschaftsredaktion, über Metaphern, die Rückkehr zum normalen Leben und warum er das Internet für den „größten Informationsschrottplatz“ hält.

VOLKSBLATT: Wie sind Sie zum Wissenschaftsjournalismus gekommen?

GÜNTHER MAYR: Über den ORF. Und zwar über die Sendung „Modern Times“ mit Josef Broukal, die 1996/97 erfunden wurde. Da bin ich eingestiegen. 2007 habe ich dann die aktuelle Wissenschaft übernommen.

Wann ist Ihnen das Coronavirus erstmals begegnet?

Coronaviren begleiten uns seit Jahren, aber zuerst hat man immer gesagt, die sind eh harmlos, die können einen Schnupfen auslösen. Bei der ersten Sars-Epidemie 2002 war dann klar, dass diese Virenart auch böse sein kann. Und als man zu Jahresbeginn gehört hat, dass ein Sars-ähnliches Coronavirus im Spiel ist, war klar, dass das eine ungute Richtung nehmen kann. Wiewohl wir nicht angenommen hätten, dass es so dick daherkommt.

Wie gehen Sie selbst mit der Situation um?

Ich mache das, was alle machen, die die Sache ernst nehmen. Ich trage Maske, halte Abstand, meide Innenräume und große Veranstaltungen. Ich bin keiner von der Bussi-Bussi-Fraktion, aber es fehlt mir, dass man nicht zum Fußball gehen und keine Feste feiern kann.

Sie treten im TV sehr ruhig und kompetent auf. Was macht Sie nervös?

Ich habe viel Live-Erfahrung und bin vom Wesen her eher ruhig. Und ich schaue mir die Sachen genauer an und glaube, je mehr man über die Dinge weiß, umso ruhiger wird man, weil man sieht, es ist eine schwierige Situation, aber wir haben Mittel und Wege, sie zu meistern. Es ist niemandem geholfen, wenn man Panik verbreitet. Wir beschönigen nichts und laufen nichts nach, nur weil grad’ in irgendwelchen Boulevardmedien oder sonstwo Horrorszenarien gemalt werden. Wir versuchen, uns bestmöglich zu informieren, und das dann, so gut wir können, ans Publikum weiterzugeben.

Wie groß ist Ihr Team?

Mein Team besteht mit mir aus sieben Leuten, wobei nicht alle zu 100 Prozent angestellt sind. Wir beliefern sämtliche Sendungen von den Frühsendungen weg über die Mittagsschiene bis zur ZiB um Mitternacht. Das ist gerade jetzt eine ziemliche Herausforderung.

Wie gehen Sie mit Informationen um?

Ich bin permanent mit Wissenschaftern in Kontakt, sowohl national als auch international, wir tauschen uns immer wieder aus. Die Berliner Charité, Oxford, das Robert-Koch-Institut und natürlich die Virologie bei uns, das sind unglaublich tolle Wissenschafter. Hut ab, was die leisten. Was wir nicht machen, ist nur im Netz herumzusuchen und dann irgendwelchen Blödsinnigkeiten nachzugehen. Wir sollten ein Korrektiv sein zum Wildwuchs im Internet, wo sich keiner mehr auskennt und die Menschen unglaublich verunsichert werden. Das Internet ist der größte Informationsschrottplatz der Geschichte.

Wann rechnen Sie damit, dass es einen Impfstoff gegen Corona geben wird?

Früher hätte man 15 bis 20 Jahre für die Entwicklung gebraucht, jetzt haben wir zehn Impfstoffe in Phase 3, quasi auf der Zielgeraden. Einen oder auch mehrere, würde ich sagen, wird es Anfang nächsten Jahres geben. Man hört von den bisherigen Abläufen der Massentests, dass das nicht so schlecht läuft. Das meiste sehr vielversprechend. Dann wird es darum gehen, schnell zu produzieren. Wenn Anfang 2021 begonnen werden kann, zum Beispiel Risikogruppen zu impfen und medizinisches Personal, dann sollten wir im Sommer schon eine ganz gute Situation haben und bis Jahresende wieder einigermaßen normal leben können.

Ihre Analysen im ORF enthalten häufig überaus originelle Metaphern, sind sehr anschaulich …

Das mit den Metaphern war zuerst einmal ein Versuch. Ich komme vom Texten, ich liebe das. Aber es ist auch so, dass Wissenschaft ein komplexes Gebiet ist, wo man Vergleiche braucht, weil sie sonst schwer zu vermitteln ist. Die Reaktionen waren eigentlich überwältigend, das waren Begeisterungsstürme, viele haben mir geschrieben: „Danke, jetzt verstehe ich das!“ Das Ganze ist immer mit einem Augenzwinkern am Schluss, das nimmt ein bissl die Dramatik und gibt den Menschen ein besseres Gefühl. Und so ist auch Österreich: Ein bissl Schmäh ist immer dabei.

Sie sind durch Ihren vermehrten TV-Einsatz populär geworden. Werden Sie von den Menschen erkannt und auch um Rat gefragt?

Das passiert sehr oft. Das gehört zu unserem Job und mich freut das auch. Die Verantwortung endet nicht vor der Kamera oder außerhalb des Fernsehhauses.

Österreich galt in der ersten Corona-Phase als Musterschüler. Jetzt hat man den Eindruck, dass viele Menschen die Situation nicht mehr ernst genug nehmen. Was läuft falsch?

Ich glaube, wir haben im Sommer ein bissl unseren Vorsprung verspielt. Das hat auch mit den politischen Strukturen, dem Zusammenspiel von Bund und Ländern zu tun, da ist einiges suboptimal gelaufen. Da hat man zu wenig auf Vorrat und voraus gedacht. Und das hat dazu geführt, dass die Ressourcen nicht entsprechend vorbereitet waren, zum Beispiel das Contact Tracing. Auf der anderen Seite haben die Leute im Sommer geglaubt, dass eh schon alles überstanden ist. Da war sicherlich Sorglosigkeit dabei.

Sollten die Maßnahmen wieder strenger werden?

Sie sollten auf jeden Fall einheitlicher werden. Durch die Aufsplitterung in verschiedene Entscheidungsträger passiert es, dass dort und da ein Cluster übersehen wird. In der EU will man jetzt auch eine Ampel, aber es wollen nicht alle mitmachen. Andererseits ist es die erste große Pandemie in der neueren Zeit. Da sieht man dann, wo unsere Schwachstellen sind.

Warum gibt es Ihrer Meinung nach in Bezug auf Corona so viele Verschwörungstheoretiker?

Das Internet ist da ein riesiger Beschleunigungsfaktor. Und wir wissen zum Teil noch nicht alles und das erzeugt ein gewisses Vakuum. Wenn da dann jemand kommt und sagt, er wüsste es besser und man kann ihm nicht das Gegenteil beweisen, dann kriegt das eine Dynamik, vor allem über das Internet, die nur mehr schwer einzudämmen ist. Einer schreibt vom anderen ab und am Schluss gibt’s riesige Communities.

Themen wie das Klima sind bei all dem ins Hintertreffen geraten …

Das Klimathema ist schlussendlich wesentlich wichtiger. Das wird noch Generationen beschäftigen. Die Klimaveränderungen haben natürlich auch Auswirkungen auf die Entwicklung neuer Erreger.

Wobei finden Sie einen Ausgleich zum Beruf?

Ich gehe gern Laufen und Fliegenfischen, spiele Schach, treffe Freunde, lese viel, trinke ein Bier, schaue Blau-Weiß-Fußball. Hansi Bürger und ich sind Fans vom FC Blau-Weiß Linz.

Mit ORF-Wissenschaftschef GÜNTHER MAYR sprach Melanie Wagenhofer

Günther Mayr, 1966 in Bregenz geboren, hat in Wien Publizistik/Kommunikations- und Politikwissenschaft studiert. Er war unter anderem bei der Kleinen Zeitung und beim Profil tätig. Beim ORF, wo er seit 1992 in verschiedenen Funktionen im Einsatz ist, leitet er seit 2007 das Ressort Aktuelle Wissenschaft ORF-Fernsehen.

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