So entsetzlich, so komisch

Pralles Lesevergnügen: Franzobels Roman „Die Eroberung Amerikas“

Schriftsteller Franzobel © APA/Keystone/Anex

Der „große Eroberer“ (so sieht er sich selbst, so nennt ihn zärtlich der Autor) auf dem Sterbelager: „Ferdinand beichtete und empfing die Sakramente. ,Lang lebe der König!’, rief er.

Nein, tatsächlich schrie er: ,Isabella, du treulose Schlampe! Pest und Krätze sollen dich zerfressen, dein Schoß soll vom Aussatz befallen sein. Und deinen Galan soll man häuten und sein Fleisch als Wagenschmiere nehmen.’“

Großer Liebhaber des Scheiterns

Historie so oder so. Erst schreiben sie die Sieger, reichern sie mit Mythen an, bis Nachkommende die Wahrheitskörner herausdestillieren. Hernán de Soto — „oder, wie wir ihn nennen: Ferdinand Desoto“ — fügt sich schlecht in die süßliche Geschichte von stolzen spanischen Conquistadores. Zu jämmerlich sein Scheitern in der Gegend, die heute Florida heißt. Desoto zuvor noch als Held gefeiert, ertragreiche Eroberungszüge in Lateinamerika aka „Westindien“ (Kolumbus hatte bis zuletzt an seinem Indien-Gespinst festgehalten).

Franzobel, Schriftsteller und großer Liebhaber des Scheiterns, hat sich die Geschichte Desotos im Roman „Die Eroberung Amerikas“ zur Brust genommen. Wie die in einer Matrjoschka gestapelten Puppen nimmt Franzobel Zeiten und Orte auseinander und fügt sie zu einem Panorama von Grausamkeit, Gier und Menschenverachtung. Und ungeheuerlich: Das Entsetzliche liest sich auch noch saukomisch, selbst wenn es einem bei von Hunden zerfleischten oder sonstwie dahingemetzelten Ureinwohnern wiederholt den Magen umdrehen könnte. Christliche Herrenmenschen („Alle Menschen stammen von Noah ab — und der war weiß“) holen sich, was ihnen zusteht.

Im Jahr 1538 brach Desoto mit 700 Männern auf, um sein ganz persönliches Eldorado nördlich von Mexiko zu finden. Gold, das es nicht gab, bloß den Mississippi („ein Strom, so breit, dass drei Doppelkonsonanten in ihm Platz fanden“) sollte er entdecken. Dort, an der „Dreckslacke“, starb Desoto 1542 vermutlich an einer Fieberkrankheit.

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Franzobel, 1967 in Vöcklabruck als Franz Stefan Griebl geboren, ist ein literarischer Conquistador, der sich hemmungslos bei der Popkultur bedient. Karl Lagerfeld, Coca Cola und „Herz der Finsternis“, Asterix, Don Quixote und Indianerbilder à la Hollywood. Tollwütige Inquisition versus herbeifantasierte Befreiungstheologie, als schauriger Hintergrund der boomende Mega-Markt des Sklavenhandels. Derweil Desotos Heerschar in den Sümpfen Floridas, im Infight mit klassischem Pfeil-und-Bogen-Personal, kecken Amazonen oder furchterregenden „Wilden“ („Sie sahen aus wie ,Bert’ aus der Sesamstraße, aber in einem Horrorfilm“).

Der Autor erzählt wie ein Filmregisseur mit Kameraschwenks, Überblendungen und kommentierender Stimme. Eingeflochten von Anfang an ein Gerichtsprozess in der Gegenwart, so aussichtslos, „als würden Pygmäen Amerika beim Basketball herausfordern“. Gefordert die Rückgabe Amerikas an die Ureinwohner, das Schlusskapitel kein Epi-, sondern utopischer „Happylog“.

Unbändiges, pralles Lesevergnügen, fantastischer Abenteuerroman.

Wortwitzige Tollwut des Autors, der fleißig recherchiert hat und der historischen Wahrheit ziemlich nahe gerückt sein dürfte. Heilige Makrele!

Von Christian Pichler

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