„Diese WM wird Anstoß zum Umdenken geben“

Ex-ÖFB-Präsident Leo Windtner im Interview über die umstrittene Endrunde in Katar

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Leo Windtner (72), von 2009 bis 2021 Präsident des Österreichischen Fußball-Bundes (ÖFB), nimmt im Exklusivinterview Stellung zur umstrittenen WM in Katar.

In wenigen Tagen wird die Fußball-WM 2022 angepfiffen. Welche Emotionen weckt diese Winter-WM bei Ihnen?

LEO WINDTNER: Es geht mir, wie wahrscheinlich allen Fußball-Fans und Beteiligten. Es ist eine WM der gemischten Gefühle. Natürlich freuen sich alle auf das Großereignis, aber wir alle wissen auch um das Zustandekommen, um die Vorgeschichte, die Katar zum Ausrichterland mit monströser Infrastruktur gemacht hat, und um die Begleitumstände, die vor Ort herrschen.

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Rückblickend, wie ist es überhaupt zu einer WM in Katar gekommen?

Es war wirklich überraschend, dass im letzten Wahlgang Europa auch für Katar gestimmt hat, weil alle darauf eingestellt waren, dass Europa das Votum für die USA abgibt. Tatsache ist, dass wir als Nationalverbände darauf keinen Einfluss hatten, sondern durch das Exekutivkomitee der FIFA (in dem Europa damals acht Vertreter stellte, Katar gewann mit 14:8-Stimmen/Anm. d. Red.) vor vollendete Tatsachen gestellt wurden. Wir Verbände mussten diese Entscheidung danach aber mitrechtfertigen und den Kopf hinhalten, obwohl wir sie nicht getroffen hatten.

Der ÖFB hätte sich für die USA ausgesprochen?

Ja und ich glaube, dass die meisten europäischen Länder für Amerika votiert hätten, wenn sie direkt Einfluss nehmen hätten können.

Ist bei der Abstimmung alles mit rechten Dingen zugegangen?

Das müsste man den Michel Platini (damals Vizepräsident/Anm.) fragen, aber es ist historisch bedingt, dass solche Vergabe-Abstimmungen nie sehr transparent abgelaufen sind und das war auch 2010 der Fall. Hier muss man in Zukunft wirklich Transparenz reinbringen, weil sonst der Sport nachhaltig Schaden erleidet.

Die WM ist ja aus mehreren Gründen höchst umstritten. Vergabeprozess, Austragungsland, Arbeitsbedingungen, Menschenrechte, Winter-Termin. Gibt es Konsequenzen?

Ich glaube, es wird diese Weltmeisterschaft einen wirklichen Anstoß zum Umdenken geben, dass man sich künftig nicht mehr über humanitäre Dinge, Menschenrechte etc. hinwegsetzen kann, sondern dass das bei der Vergabe eine Rolle spielen muss. Falls nicht, wird es sportliche Großereignisse nämlich nur mehr in autoritären oder totalitären Staaten geben.

Bei aller berechtigten Kritik an Katar, hat die Vergabe auch Positives im Land bewirkt?

Das ist eines der wenigen Pro-Argumente, weil Katar damit ins Scheinwerferlicht, nicht nur der internationalen Sportfamilie, sondern auch weltpolitisch, gerückt ist und dadurch zumindest gewisse Verbesserungen und Maßnahmen Platz gegriffen haben, die ansonsten sicher nicht stattgefunden hätten. Wenn auch nicht in dem Ausmaß, wie erhofft. Wir, die europäischen Nationalverbände, haben nach der Vergabe versucht, zum Beispiel über die europäische Gewerkschafts-Union, Licht ins Dunkel der Arbeitsverhältnisse auf den WM-Baustellen in Katar zu bringen.

Wie passen da diverse Aussagen einiger Offiziellen (zum Beispiel „Schwulsein ist ein geistiger Schaden“) ins Bild?

Es ist in der Tat sehr verstörend, dass an überkommenen Grundhaltungen, zum Beispiel was Toleranz etc. betrifft, festgehalten wird. Damit verstößt man klar gegen Dogmen von FIFA und UEFA und das ist ein Kurs, der in der heutigen Sportwelt nichts zu suchen hat.

Hätte man Katar die WM wegnehmen müssen?

Mit der Entscheidung für Katar war der Weg eigentlich vorgezeichnet, es gab kein Zurück mehr, eine Aberkennung wäre nur unmittelbar danach möglich gewesen, etwas später war es jedoch illusorisch.

Österreich ist nicht dabei – trotz aller Umstände ein Wermutstropfen?

Es ist ein großer Wermutstropfen, dass wir jetzt schon 24 Jahre auf eine Teilnahme warten, denn eine WM-Teilnahme wäre für das Fußball-Land Österreich ein zusätzlicher Turbo.

Wie realistisch ist 2026?

Es ist durchaus realistisch, bei dann sogar 48 Teilnehmern, wenngleich Europa nur drei zusätzliche Startplätze (16 statt 13/Anm.) bekommt. Wir haben eine WM-Teilnahme im letzten Jahrzehnt ja zum Teil wirklich unglücklich versiebt, 2026 sollte es endlich wieder einmal klappen.

In Abwesenheit von Österreich, wem drücken Sie die Daumen?

Es ist naheliegend, dass ich unseren deutschen Nachbarn und Freunden die Daumen drücke, zumal unwahrscheinlich viele österreichische Fußballer in der Bundesliga ihr Können unter Beweis stellen. Wenn Deutschland bei der WM eine wichtige und gute Rolle spielt, ist das auch für unsere Legionäre eine weitere Aufwertung.

Welche Nationalmannschaften haben Sie noch auf der Rechnung?

Argentinien und Brasilien sind nicht zu unterschätzen, aus Europa würde ich neben Deutschland vor allem Frankreich und England nennen.

Wie werden Sie die WM verfolgen? Angesichts der Umstände schaumgebremst oder so intensiv wie immer?

Ich glaube, zu Beginn ein bisschen schaumgebremst, aber mit Fortdauer des Turniers wird sich vermutlich die Lust auf das Großereignis, das es ja nur alle vier Jahre gibt, steigern.

Bleibt es beim Vierjahres-Rhythmus?

Ich glaube und hoffe, dass es dabei bleibt. Die Pläne von Gianni Infantino (FIFA-Präsident/Anm.), die WM alle zwei Jahre zu spielen, sind komplett überzogen. Das geht an den Bedürfnissen der Spieler, die ja neben den Fans das Kapital des Fußballs sind, vorbei.

Mit Ex-ÖFB-Präsident LEO WINDTNER sprach Roland Korntner

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