Fußball-Manager Reiter: „Es kann keinen Absteiger geben“

Fußball-Kenner Stefan Reiter im großen VOLKSBLATT-Interview

Stefan Reiter glaubt nicht, dass die abgebrochenen Meisterschaften fortgesetzt werden.
Stefan Reiter glaubt nicht, dass die abgebrochenen Meisterschaften fortgesetzt werden. © GEPA/Ertl

Fußball-Kenner Stefan Reiter, derzeit Geschäftsführer von Zweitligist Blau Weiß Linz und davor lange Jahre in Ried sowie Pasching und Oedt tätig, glaubt nicht an eine Fortsetzung der unterbrochenen Meisterschaften und eine nachhaltige Veränderung der professionellen Szene.

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VOLKSBLATT: Glauben Sie, dass die derzeit unterbrochenen Meisterschaften zu Ende gespielt werden?

„Ich kann es mir aus mehreren Gründen sehr schwer vorstellen. Es ist nach den jüngsten Aussagen des Sportministers wohl jedem klar, dass es zumindest bis Juni unmöglich sein wird, Spiele mit Zuschauern durchzuführen. Aber auch ohne Zuschauer wird es früher kaum möglich sein.“

Warum?

Ein Fußballspiel besteht ja nicht nur aus den 25 Personen auf dem Feld, da gibt es ja das Rundherum. Wie kann man die Leute, davon abhalten, dass sie sich in die Nähe des Stadions begeben. Dazu kommt: Die Leute werden ausgehungert sein vom Fußball und von sozialen Kontakten, die werden jede Gelegenheit nutzen, sich zu treffen, auch um gemeinsam Fußball zu schauen.

Womit wir bei der Ansteckungsgefahr wären, die ja auch bei den Spielern sofort gegeben wäre!

Genau: Wie soll man derzeit ausschließen, dass sich ein Spieler infiziert. Das ist eine massive Verantwortung, die wir als Verein und die Verbände haben. Da muss man in Ruhe und gut darüber nachdenken, wann man wirklich den Trainings- und Spielbetrieb wieder aufnimmt.

Die von der Regierung getroffenen Maßnahmen sind also nicht übertrieben?

Die sind völlig richtig, wie auch der Blick auf andere Länder zeigt, auch wenn die wirtschaftlichen Schwierigkeiten, die dadurch in vielen Bereichen entstehen, noch gar nicht abzuschätzen sind.

„Finanzierung — alle drei Säulen problematisch“

Kann das für Fußballvereine existenzbedrohend werden?

Ja, auf jeden Fall, weil wir uns im Profifußball aus drei Säulen finanzieren. Das sind Zuschauereinnahmen, Sponsorengelder und Beträge aus TV-Verträgen. Alle drei Säulen sind problematisch, die Zuschauereinnahmen fehlen jetzt, die TV-Gelder werden sich dort, wo vorhanden, für die aktuelle Saison verringern und bei den Sponsorenzahlungen besteht die Gefahr, dass sie nächste Saison kleiner werden, weil sicher viele Unternehmen nach der Coronakrise selbst Probleme haben werden.

Wie groß sind diese Problematiken für Ihren Klub Blau Weiß Linz?

Momentan schaut es so aus, dass es unserem Verein das zweite Mal binnen weniger Monate gelingt, wirtschaftliche Turbulenzen positiv zu erledigen.

Wie schwierig ist es derzeit, für die kommende Saison zu planen?

Das ist derzeit natürlich das Schwierigste für die Vereine. Wir sind durch die zu 100 Prozent gelungene Sanierung und die wirtschaftliche Umstrukturierung so gut vorbereitet, dass auch die Vorschau auf die Saison 2020/21 positiv ist und wir durch die Coronakrise in keine Schwierigkeiten kommen. Das Budget ist aber sehr konservativ, ein echtes Sparbudget — das werden wir einhalten können.

Zurück zur Eingangsfrage, wann könnte das Leder wieder rollen?

Es ist derzeit schwer einzuschätzen, wann Ansteckungen für Spieler so gut wie auszuschließen sind. Aber selbst wenn Sport wieder erlaubt ist, kann man ja nicht am nächsten Tag schon wieder Wettkämpfe bestreiten. Da braucht es zum Schutz der Spieler eine Vorbereitung, sonst ist die Verletzungsgefahr enorm. Da reden wir von mindestens zwei Wochen, besser wären mehr. Damit wären wir wahrscheinlich schon im Juli.

Mitte Juli sollte aber eigentlich schon die neue Saison beginnen?

Richtig. Im Juli kannst du mit englischen Wochen acht Runden spielen, das wäre mit so einer kurzen Vorbereitung aber ein Wahnsinn und ist in der zweiten Liga, in der jeder Klub auch Amateure hat, eigentlich unmöglich. Danach müsste es sofort weitergehen, damit die neuen Meisterschaften bis zur EURO 2021 beendet werden können. In Ländern wie Österreich ist aber ein Durchspielen im Winter nicht möglich. Das sind wichtige Themen, die derzeit gerne vom Tisch gewischt werden, um mit aller Gewalt die Meisterschaften durchzubringen. Wobei ich die Engländer oder Deutschen natürlich verstehe, da geht es um sehr viel Geld.

Belgien hat die Meisterschaft schon für beendet erklärt.

Die Entscheidung ist sehr spannend, da die UEFA eine einheitliche Regelung wollte. Worüber ich aber schmunzeln muss, denn das entscheidet nicht die UEFA, das entscheiden die Regierungen.

„Es könnte mit Ried einen großen Verlierer geben“

Was passiert, wenn die Meisterschaft auch bei uns abgebrochen wird?

Dann wird es spannend, einen Meister nach 22 von 32 Runden zu bestimmen, ist schwierig. Nicht abwegig ist es, nach dem jetzigen Stand die internationalen Startplätze zu vergeben.

Da gibt es aber auch andere Überlegungen?

Die UEFA denkt daran, die Fünfjahreswertung heranzuziehen, das hat natürlich nur den einen Hintergrund, dass in einigen großen Ligen sich derzeit noch ein No-Name- Klub in den Top 4 befindet.

Bleibt die Frage nach den Absteigern?

Die ist viel wichtiger, weil existenziell. Einen Absteiger kann es in so einer Situation eigentlich nicht geben. Als Folge dessen aber auch keinen Aufsteiger, es sei denn, man einigt sich auf eine Aufstockung. Da ginge es dann um Solidarität, weil die TV-Gelder nicht mehr auf zwölf, sondern auf mehr Klubs aufgeteilt werden müssten. Deshalb könnte es mit der SV Ried (Tabellenführer 2. Liga, Anm.) einen großen Verlierer geben. Ried spekuliert mit einer Aufstockung, aber da müssten eben alle anderen auch mitspielen.

Wird sich der Fußball durch diese Krise nachhaltig verändern?

Heuer wird es keinen 100-Millionen-Euro-Transfer geben, mit der Betonung auf heuer. Aber auch nach der Finanzkrise ist alles so weitergegangen wie davor. Die Befürchtung habe ich jetzt auch, man vergisst einfach zu schnell.

„Eine riesige Chance für den Amateurfußball“

Wir könnte es im Amateurbereich weitergehen?

Im Amateurfußball sind Spiele unter Ausschluss der Öffentlichkeit ganz schwer umzusetzen, weil man Geisterspiele nicht kontrollieren kann, weil wir unsere Sicherheitskräfte nicht dafür einsetzen können, die Sportplätze zu überwachen. Deshalb wird es heuer im Frühjahr, glaube ich, keine Spiele mehr geben.

„Im März 2021 weiterspielen wäre die fairste Lösung“

Was ist die Folge?

Es ist ein sehr interessanter Vorschlag aufgetaucht, auch im Herbst nicht mehr zu spielen, sondern erst im März 2021 mit dem noch ausstehenden Tabellenständen und Spielplan vom März 2020 weiterzumachen. Das finde ich sehr gescheit, denn dann gibt es keinen einzigen Verlierer, keine Diskussionen über Auf- und Absteiger, niemand verliert seine Führung, jeder hat es in der eigenen Hand, den Abstieg abzuwenden.

Wäre so eine lange Pause im Amateurfußball überhaupt möglich?

Ja, es gibt ja keine Kosten außer für den Spielbetrieb, die Spieler und Trainer und diese Kosten fallen jetzt zu 100 Prozent weg, denn diese Klubs haben keine Angestellten. Es wäre insgesamt eine Riesenchance für den Amateurfußball, dass er die wirtschaftliche Situation in den Griff bekommt. Zurück zu den Wurzeln. Es muss niemand 500 oder 800 Euro verdienen, weil er als Hobbyfußballer ein wenig auf den Ball draufhaut. Ich habe noch keinen besseren Vorschlag gehört, das ist der fairste.

Welche Rolle nimmt der Fußball derzeit für Sie ein?

Nicht die größte, das Wichtigste ist die Gesundheit. Ich arbeite meine Aufgaben aber strukturell ab, denn ich sehe mich in der Verantwortung gegenüber allen Mitarbeitern, Spielern, Trainern usw. und will die wirtschaftlichen Problematiken von ihnen fernhalten.

Mit Fußball-Manager STEFAN REITER sprach Roland Korntner