Hass und Diskriminierung haben in Stadien nichts verloren

Der DFB hat im März ein Anti-Rassismus-Projekt zu seiner Heim-EM gestartet

Brasiliens Teamstürmer Vinicius Junior wurde schon wiederholt Ziel von rassistischen Beleidigungen und Drohungen
Brasiliens Teamstürmer Vinicius Junior wurde schon wiederholt Ziel von rassistischen Beleidigungen und Drohungen © AFP/Marcou

In zweieinhalb Monaten beginnt in Deutschland die Fußball-EM. Ein Problem dieses völkerverbindenden Sports beschäftigt die Verbände immer mehr: der zunehmende Rassismus in den europäischen Stadien.

Der Deutsche Fußball-Bund (DFB) hat bereits im März ein Anti-Rassismus-Projekt zur Heim-EM gestartet.

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Der Weltverband FIFA will im Mai beim Kongress in Bangkok eine entsprechende Resolution aller 211 Mitgliedsstaaten verabschieden.

Die Frage ist nur: Reicht Symbolpolitik noch aus angesichts der Szenen, die sich in den vergangenen Wochen vor allem in Italien und Spanien gehäuft haben? Oder braucht es andere Maßnahmen wie härtere Strafen und schnellere Spielabbrüche, wenn der Fußball rassistische Vorfälle nachhaltig bekämpfen will?

„Was wir beim Fußball sehen, ist nicht nur ein gesamtgesellschaftliches Problem, sondern hat auch mit dem Fußball selbst zu tun: Denn an diesem sozialen Ort wurde viel zu lange nichts gegen Rassismus getan, es wurde jahrzehntelang toleriert, fast schon normalisiert“, sagt der deutsche Rassismus-Forscher Lorenz N. Laing von der Evangelischen Hochschule Bochum. Empfindlichere Strafen könnten helfen, meint er: „Wir müssen tatsächlich darüber nachdenken, ob man Spiele abbrechen soll und zuungunsten der rassistisch agierenden Fanblöcke wertet.“

Tränen bei Vini

Der brasilianische Stürmer Vinicius Junior von Real Madrid brach vergangene Woche in Tränen aus, als er bei einer Pressekonferenz seines Nationalteams zum Thema Rassismus befragt wurde. Am Osterwochenende forderte der 23-Jährige dann via X: “Rassisten müssen entlarvt werden und die Spiele dürfen nicht mit ihnen auf der Tribüne fortgesetzt werden. Wir werden nur dann gewinnen, wenn die Rassisten die Stadien direkt ins Gefängnis verlassen, den Platz, den sie verdienen.“

Vinicius ist häufig Opfer rassistischer Anfeindungen geworden, im Stadion und darüber hinaus. 2021 baumelte eine schwarze Puppe mit einem Trikot des Stürmers von einer Brücke in Madrid, aufgehängt wie an einem Galgen.

Von Stadionverboten oder gar Gefängnisstrafen ist Forscher Laing wenig überzeugt. „Mein Traum ist eigentlich, dass ein Mann, der in der Kurve eine rassistische Beleidigung loslässt, von seinen Mitmenschen gesagt bekommt, dass das nicht geht. Dann sollte der Fall gemeldet werden und dieser Mensch vom Sportverband ein Seminarangebot zum Thema Rassismus bekommen, damit er wirklich für sich verstehen lernt, was das bedeutet, wie sehr es Menschen verletzt.“

Die Wahl müsse am Ende sein: Stadionverbot oder Seminar.

Zumindest in Spaniens vierter Liga setzten die Spieler jüngst ein Zeichen: Der Torhüter des Madrider Vorstadt-Clubs Rayo Majadahonda wurde von einem Zuschauer mutmaßlich rassistisch beleidigt, ging auf diesen los und sah dafür die Rote Karte. Aus Solidarität mit dem Senegalesen Cheikh Kane Sarr verließen auch seine Mitspieler das Spielfeld.

In der italienischen Serie A lief es im Jänner genau andersherum. Torhüter Mike Maignan vom AC Milan verließ den Platz, weil ihn Fans von Udinese Calcio mit rassistischen Gesängen überzogen hatten. Das Spiel wurde unterbrochen, die eigenen Teamkollegen überredeten den Franzosen im Kabinengang zum Weitermachen.

Italien mit Kosmetik

Letzte Woche wurde der italienische Nationalspieler Francesco Acerbi von einem Sportgericht freigesprochen, er soll den Brasilianer Juan Jesus vom SSC Napoli rassistisch beleidigt haben. Acerbi dementierte dies, sein Verein Inter Mailand verteidigte ihn. Der seit zwölf Jahren in Italien spielende Juan Jesus hält an seiner Anschuldigung fest. Sein Klub will sich aus Protest an keiner Anti-Diskriminierungs-Maßnahme des italienischen Verbands mehr beteiligen. Das seien nur noch „rein kosmetische Initiativen“, hieß es in einer Napoli-Stellungnahme.

In Italien soll nun ein Verhaltenskodex kommen, der für alle Spieler und Trainer verpflichtend ist.

Schon 2011 führte der europäische Fußball-Verband UEFA einen Drei-Stufen-Plan ein, der im Fall rassistischer Vorfälle im Stadion bis zum Spielabbruch führen kann.

Das geht dem umstrittenen FIFA-Chef Gianni Infantino nicht mehr weit genug. „Das Problem ist, dass wir unterschiedliche Wettbewerbe, unterschiedliche Organisatoren, unterschiedliche Regeln haben. Und alles, was wir tun, ist offensichtlich nicht mehr genug“, sagte der Weltverbands-Präsident im Februar bei einem UEFA-Kongress. Infantino will die Rassismus-Bekämpfung in Bangkok zum Thema machen: “Wir brauchen eine starke Resolution. Alle zusammen. Alle 211 Länder der FIFA!“

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