SVS-Obmann Lehner: „Krise war in vielen Bereichen ein Beschleuniger“

Laut Dachverbandschef Lehner hat die neue Sozialversicherung die Bewährungsprobe bestanden

SVS-Obmann PETER LEHNER

Der Obmann der Sozialversicherungsanstalt der Selbstständigen (SVS), Peter Lehner, ist seit Jahresbeginn auch Vorsitzender der Konferenz der Sozialversicherungsträger. In wenigen Wochen wird er den Vorsitz an Ingrid Reischl übergeben, die stellvertretende Obfrau der AUVA.

Die Konferenz ist das Leitungsgremium des im Zuge der Sozialversicherungsreform eingeführten neuen Dachverbandes, der den Hauptverband abgelöst hat. Die Konferenz fungiert als Geschäftsführungsorgan des Dachverbandes — und durch die Corona-Pandemie war die Reform der Sozialversicherung einem echten Stresstest ausgesetzt.

VOLKSBLATT: Sie hatten jetzt ein halbes Jahr den Vorsitz in der Konferenz der Sozialversicherungsträger inne und waren dabei mit zwei Mega-Themen konfrontiert. Dass die Umsetzung der Sozialversicherungsreform viel Arbeit bedeuten würde, haben Sie vorher gewusst. Die Corona-Krise kam hingegen für alle überraschend – und ist wohl auch noch nicht ausgestanden. Hat die Sozialversicherung den gesundheitlichen Corona-Stresstest bestanden?

PETER LEHNER: Mit der Coronakrise musste die neue Sozialversicherung von einem Tag auf den anderen funktionieren. Sie hat die härteste Bewährungsprobe bekommen, die man sich vorstellen kann. Das Erfreuliche: Sie hat sie mehr als bestanden. Die neue Struktur hat perfekt funktioniert. Wir mussten schnell sein, effizient agieren, Entscheidungen treffen, Maßnahmen sofort umsetzen. Die Struktur ist klar aufgesetzt, die Wege kurz, die Entscheidungsprozesse klar. Dies kam der Organisation, den Versicherten und dem gesamten österreichischen Gesundheitssystem zu Gute. So war vieles möglich: E-Rezept, Tele-Ordination, die Definition und Information der Risikogruppen …

Kann man schon abschätzen, wie hoch der wirtschaftliche Schaden für die Sozialversicherungen sein wird? Wie hoch wird in etwa der Einnahmen-Entgang sein und mit wieviel Mehrkosten muss man rechnen?

Es wäre nicht seriös, jetzt eine Zahl zu nennen. Die Auswirkungen sind zur Gänze noch nicht abschätzbar und zudem in ständiger Veränderung. Einnahmenseitig hängt viel von der Entwicklung der Arbeitslosenzahlen und dem Erfolg des Comebacks der österreichischen Wirtschaft ab, ausgabenseitig gibt es einige Variablen. So sind zum Beispiel die Arzneimittelausgaben im März mit einem Plus von 25 Prozent in die Höhe geschnellt. Jetzt erkennen wir, dass sich die Situation wieder normalisiert. Im Mai konnte ein Minus von 9,5 Prozent der Arzneimittelkosten verzeichnet werden. Die Menschen nutzen ihre Vorräte, die sie mit Beginn der Krise angelegt haben, und lagern sie nicht.

Kann man die Ausgaben in den Griff bekommen? Braucht es eine Beitragserhöhung?

Für alle ist eines klar, die Leistungen müssen für alle Versicherten in vollem Umfang erhalten bleiben. Dazu stehen heute sämtliche Träger. Welche Maßnahmen getroffen werden, werden die jeweiligen Organisationen, die einzelnen Sozialversicherungen, selbst entscheiden. Das ist Sache der Selbstverwaltung. Und das ist auch richtig so. Das berufsständische Prinzip der Versicherung findet gerade wieder in der Corona-Krise eine Bestätigung. Es wurde sichtbar, wie unterschiedlich die Bedürfnisse von Selbstständigen und von Angestellten sind. Dies wird so optimal abgedeckt.

Welche Lehren kann unser Gesundheitssystem aus der Corona-Krise ziehen?

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Für mich ist die wichtigste Lehre aus der Krise für unser Gesundheitssystem: Daten können Leben retten. Das hat etwa die Definition der Risikogruppen gezeigt. Die Digitalisierung war ein großer und wertvoller Helfer in der Krise: Wir konnten unsere Services online anbieten, unsere Mitarbeiter haben aus dem Homeoffice gearbeitet und die Versicherten betreut. Mit der Teleordination waren Krankschreiben ohne persönlichem Arztbesuch möglich. Rezepte sind online an die Apotheken geschickt worden. Das Meistern der Krise war nur mit Hilfe der Digitalisierung möglich. Und darauf müssen und wollen wir in Zukunft setzen: Moderne Services und als Ergänzung persönliche Betreuung.

Etwas untergegangen ist die Umsetzung der Reform. Wie weit ist diese und wo liegen noch Herausforderungen?

Die Krise war in vielen Bereichen ein Beschleuniger. So auch in der Sozialversicherung. Die neuen Strukturen waren definiert und mussten schlagartig funktionieren. Und das haben sie. Jetzt gilt es den aktuellen Status quo, nach der Akutphase der Corona-Krise, zu erfassen und mit den Lehren aus der Krise die Transformation weiter voranzutreiben.

Es gibt zumindest medial oft eine gewisse Diskrepanz zwischen Ihnen und Ihrer derzeitigen Stellvertreterin von der Arbeitnehmerseite – zuletzt über die Privatspitäler. Wie gut funktioniert die Sozialpartnerschaft?

Die Sozialpartnerschaft ist kein Auslaufmodell, sondern noch immer ein Erfolgsmodell. Sie hat sich sicher im Laufe der Zeit verändert und hat einen anderen Stellenwert als etwa in der Nachkriegszeit, aber die Corona-Krise hat gezeigt, dass wenn es darauf ankommt, die Sozialpartnerschaft funktioniert. Dass Arbeitnehmer- und Arbeitgeber-Vertreter mitunter unterschiedliche Meinungen haben, liegt in der Natur der Dinge.

Die Rollen im Vorsitz werden nun getauscht. Hat das konkrete Auswirkungen?

Wir sind beide Co-Vorsitzende in der Konferenz der Sozialversicherungsträger. Ich verstehe diese Rolle als Lobbyist für 8,5 Millionen Versicherte. Ingrid Reischl vertritt gleichzeitig mit ihrem Selbstverständnis die Interessen der Versicherten.

Sie selbst haben in der SVS ebenfalls gerade eine Fusion „verdaut“ – welche Erfahrungen hat man gemacht?

Mit der SVS wurde nicht nur SVA und SVB zu einer gemeinsamen Organisation zusammengeführt, es werden nun alle drei Versicherungszweige — Gesundheit, Unfall und Pension — in einem Träger abgedeckt. Innerhalb eines Jahres haben wir die Organisationen der SVA und SVB zusammengeführt und die Sparten Unfall und Pensionen eingegliedert. Dies schafft eine Effizienzsteigerung auf der Verwaltungsseite und ein größeres Angebot für unsere 1,2 Millionen Kunden. Durch die Krise ist die Organisation zusammengewachsen.

Die Fragen an SVS-Obmann PETER LEHNER stellte Herbert Schicho

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