Trauma und Bewältigung

arte-Stream: Hinreißende Serie „In Therapie“

Im Schatten des Bataclan-Terrors: Dr. Dayan (sitzend, Frédéric Pierrot) und seine Patienten.
Im Schatten des Bataclan-Terrors: Dr. Dayan (sitzend, Frédéric Pierrot) und seine Patienten. © ARTE F/Carole Bethuel

Alles spricht gegen eine solche Serie. Keine Action, die Menschen reden nur oder hören zu. 35 Folgen lang fokussiert die Handlung auf die Praxis des Psychoanalytikers Dr. Philippe Dayan im Pariser 11. Arrondissement.

Nur langsam wandert der Blick nach draußen, gegen Ende rückt der Ort des Schreckens ins Bild. Das Bataclan, in dem dschihadistische Terroristen am 13. November 2015 mehr als 130 Menschen ermordeten.

Die Anschläge in Paris bilden den Hintergrund zu der außerordentlichen und außerordentlich anregenden Serie „In Therapie“, die noch bis 27. Juli im arte-Stream zu sehen ist.

Vorbild war das vielfach ausgezeichnete israelische „BeTipul“ (ab 2005, aktuell ebenfalls im arte-Stream), aber die Regisseure Olivier Nakache und Eric Toledano erschaffen mit „In Therapie“ (En thérapie, 2020) ein gänzlich eigenständiges, packendes und berührendes Seriendrama.

Paris, nur wenige Tage nach den Anschlägen: Die Chirurgin Ariane (Mélanie Thierry), die in der verheerenden Nacht im Operationssaal vielfach gegen den Tod gekämpft hat, gesteht Dr. Dayan, dass sie schon länger in ihn verliebt ist.

Der Therapeut (Frédéric Pierrot) könnte das als klassische „Übertragung“ abtun, aber die attraktive, kluge Ariane bringt die gerühmte Professionalität des obendrein verheirateten Dr. Dayan ins Wanken.

Die Serie zeichnet aus, dass sie ihre Figuren zutiefst ernst nimmt und ihre Schwächen mit empathischem Witz begleitet. Das Kammerspiel bezaubernd, dazu beigetragen hat, dass die Schauspieler in den Drehpausen reichlich über ihre Rollen und Interaktionen sprachen.

Sitzungen komprimiert zu je einer knappen halben Stunde, drei Einzelpatienten und ein Pärchen geben sich die Klinke zu Dr. Dayans Praxis in die Hand. In jeder fünften Folge sucht er Esther (Carole Bouquet) auf, eine erfahrene Kollegin, der er seine eigenen Probleme erzählt.

Verstehen statt siegen

Im Lauf der Sitzungen nehmen Dr. Dayans Zweifel an der psychoanalytischen Methode zu. Einem zänkischen Ehepaar eröffnet er neue Perspektiven, doch am Polizisten Adel, der an der Erstürmung des Bataclan beteiligt war, könnte er grausam scheitern.

Wie die Schichten einer Zwiebel legen Nakache und Toledano, Regisseur von „Ziemlich beste Freunde“, das Seelenleben ihrer Figuren frei. Man fiebert mit, keine Minute langweilig, kostbare Lektionen im Zuhören. Es geht nicht ums Siegen, es geht immer nur ums Verstehen. Bis 27. Juli, arte.tv/de

Von Christian Pichler

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