Überleben im Klimanotstand

Philipp Bloms herausragender Essay „Das große Welttheater“

Philipp Blom
Philipp Blom © APA/Fohringer

Mit Geschichten erzählt sich der Mensch die Welt. Bis sie nicht mehr stimmen. Der junge Philipp Blom verschlang die wildromantischen Abenteuer von Winnetou und Old Shatterhand. Bis Blom in anderen Büchern Fotos von Indianer-Kindern sah, Überlebende von Massakern, „von sogenannten Missionaren in Anzüge und Kleidchen gesteckt und mit kurz geschorenen Haaren und gewaschenen Ohren vor die Kamera gesetzt, als Triumph der christlichen Zivilisation“.

Als Kipppunkt der jüngeren Historie nennt Philipp Blom die Kleine Eiszeit, die gegen Ende des 16. Jahrhunderts einsetzte. Die globale Temperatur sank damals um zwei Grad Celsius, im 30-jährigen Krieg (1618-1648) setzten ganze Armeen über die zugefrorene Donau. Missernten und Hungerkatastrophen plagten das christliche Europa, das mit alten Erzählungen reagierte. Bußpredigten und Hexenprozesse, bis neue Erzählungen (Astrologie, Alchimie etc.) ausprobiert wurden.

Romantisch-rationales Wachrütteln

Die Erzählung der wissenschaftlichen Methode setzte sich durch. Neue Anbaumethoden, internationaler Handel, verbunden damit die Idee von gleichberechtigten Bürgern. Der Schatten der neuen Erzählung war ihr ökonomischer Kern: Wachstum. Das Mittel: Ausbeutung der Ressourcen. Der Treibstoff: im beschleunigten Industriezeitalter fossile Brennstoffe, Erdöl.

Die ehemals neue Erzählung ist im 21. Jahrhundert die „alte“. Philipp Bloms „Das große Welttheater“ ist romantisch-rationales Wachrütteln und herausragender Essay, verfasst als Auftragswerk der Salzburger Festspiele. Das Buch ein dichtes Konzentrat, der in Wien lebende, vielfach ausgezeichnete Autor hätte aus dem geballten Wissen auch einen 1000-seitigen Schmöker zimmern können.

Das Thema des 21. Jahrhunderts

Der „Klimanotstand“ (Blom) das Thema des 21. Jahrhunderts. Auch noch im „günstigsten“ Fall herrscht im London des Jahres 2050 dasselbe Klima wie heute in Barcelona. Jährlich wandert der für die Menschheit essenzielle Getreidegürtel zwanzig Kilometer vom Äquator weg. Und so weiter. Es wäre, so Blom, „nachgerade wahnsinnig zu warten, bis die technologische Lösung aller Probleme gefunden wird“.

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In Krise und „Umbruch“ lauern immer Gefahren. Gegenwärtig „politische Clowns und Entertainer“, autoritäre Tendenzen weltweit, das Zersplittern von Erzählungen im Internet. Wie sähe eine große Erzählung zum Überleben aus? Dafür gebe es gegenwärtig Ansätze. Blom greift den antiken Gaia-Mythos auf, verquickt mit moderner Wissenschaft. Statt Unterwerfung des Planeten Einfügung des Menschen als einer von vielen. Eine „wandelbare Konzeption von der Erde als Biosphäre, als komplexem Organismus mit einer Vielzahl von Stimmen, als Akteur in einem gigantischen Netz existenzieller Abhängigkeiten, in dem auch Homo Sapiens zappelt.“ Zeitgemäßes Matriarchat, wenn man so will.

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