Umstürzler Kepler, Bildhauer Bruckner

Norbert Trawöger, Künstlerischer Leiter des Bruckner Orchester Linz, im Gespräch

Norbert Trawöger im Gespräch über Bruckner, Kepler und die aktuelle Stimmung im Bruckner Orchester
Norbert Trawöger im Gespräch über Bruckner, Kepler und die aktuelle Stimmung im Bruckner Orchester © Reinhard Winkler

Der 1971 in Wels geborene Norbert Trawöger ist seit 2013 Salonintendant des Kepler Salons in Linz. Seit 2019 arbeitet der ausgebildete Flötist als Künstlerischer Direktor des Bruckner Orchesters Linz.

Ein Gespräch über die doch sehr unterschiedlichen Himmelsstürmer Kepler und Bruckner.

VOLKSBLATT: Johannes Kepler hatte womöglich einen gefährlichen Job. Er stellte Berechnungen über Himmelskörper an, damals quasi göttliches Revier. Obwohl selbst evangelischer Theologe, piekste Kepler damit auch die geistliche Obrigkeit?

NORBERT TRAWÖGER: Alle, die sich radikal und intensiv, wie Kepler es getan hat, mit grundstürzend Neuem beschäftigen, treten damit jemanden in den Hintern. Weil sie Denkordnungen durcheinanderbringen und damit tradierte Machtgefüge irritieren.

War es Kepler unangenehm, als er nicht „göttliche“ kreisrunde, sondern „unsaubere“ elliptische Planetenbahnen entdeckte?

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Das traue ich mir nicht zu sagen, da weiß ich zu wenig. Aber ich glaube, er folgte einfach seinem inneren Müssen. Was wiederum zur Folge hat, dass es nicht göttlich kreisrunde Planetenbahnen sind, sondern keplerisch-elliptische. So ist das eben, wenn man seiner Spur folgen muss, durchaus eine Parallele zu Bruckner.

Wie würden Sie Anton Bruckners Spur beschreiben?

Große Frage! Bruckner sagte einmal sinngemäß, ich könnte auch anders, aber ich darf nicht. Er meinte damit, glaube ich, dass er durchaus befähigt war, dem populären Strom zu folgen, oder einfach bei der Kirchenmusik zu bleiben. Ausgerechnet der „Musikant Gottes“, was ein übles Klischee ist, drängt hinaus aus dem Kirchenraum ins weltliche Formgelände der Sinfonie. Daher halte ich es auch für einen Irrtum zu behaupten, seine Sinfonien müssten in der Kirche gespielt werden. Das gilt vielleicht für St. Florian, weil es da eine andere Aufladung und damit Atmosphäre gibt, die stimmig ist.

Im Weltlichen fand Bruckner seine künstlerische Freiheit?

Er hatte eine Gewissheit, dass da Klänge in ihm sind, die er konsequent freilegen muss. Wie ein Bildhauer eine Figur aus einem Steinblock befreit. Die Begegnung mit Richard Wagner war wohl so etwas wie „ja, es ist möglich“ und „ja, ich darf das“. Mit allen Zweifeln, aber mit der Gewissheit, sich selbst zu folgen, seinen Klangraum aus dem Block zu befreien. Obendrein war er natürlich mit einem Handwerk ausgestattet, das Seinesgleichen sucht, ausgebildet von Palestrina bis zu seiner Gegenwart. Ein Handwerker eben auch.

Inwiefern ist „Musikant Gottes“ ein Klischee? War Religiosität nicht eine wesentliche Triebfeder?

Er war ein frommer Mann, aber nicht frömmer als andere in seiner Zeit. Gut, er war Organist, ist in der Kirche aufgewachsen. Hat wohl beim ersten Anblick von St. Florian geahnt, dass es größere Dimensionen gibt. Erfahrungen, die stark an die Kirche gebunden waren . Aber wir dürfen ihn nicht im Weihraucheck stehen lassen. Ich glaube nicht, dass er katholische Musik geschaffen hat.

Sehr schön, wir können jetzt „streiten“. Ich bin unschuldiger, ungelernter Bruckner-Hörer. Ich höre schon ein unablässiges Sehnen, das nicht katholisch sein muss, aber doch religiös-spirituell.

Da können wir uns schon treffen! Unschuldig und ungelernt ist gut, Sehnsucht auch, auf alle Fälle zieht mich Bruckner auch immer wieder in diesen spirituellen Raum. Ein Areal fürs Transzendente, in dem aber auch fest getanzt und gesungen werden darf. Wenn wir jetzt so reden, reden wir gleich von unseren Erfahrungen. Ich versuche mich immer wieder in den unschuldigen Status eines horchenden Menschen zu begeben. Meine Erfahrungen sind immer anders. Aber Bruckner schlägt da schon einen einzigartigen eigenen Raum auf, den ich seit früher Kindheit immer wieder aufsuche. Ein Leben ohne Bruckner ist denkbar, aber es wäre für mich ein sehr viel engeres. Das sage ich ganz ohne Pathos.

Aktuell, zu befürchten auch in den nächsten Monaten, wirbelt es das Leben vieler durcheinander. Wie ist die Stimmung im Bruckner Orchester?

Wir sind gezwungen, im Moment zu leben. Für die meisten von uns ist dies eine vollkommen neue Erfahrung, vielleicht auch eine, die uns zeigt, was unser Menschsein wesentlich ausmacht. Hinter den Kulissen wird auf Hochtouren nachgedacht, geplant, Szenarien entworfen, wie es weitergeht. Ich wünsche mir vor allem, dass wir alle gesund bleiben. Das Bruckner Orchester ist unverwechselbar und wird es bleiben. Wir werden gemeinsam alles dafür tun!

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