Und Alfred Kubin lässt grüßen …

Albertina feiert den „Hunderter“ von Paul Flora

Paul Flora, Schrebergarten, 1976
Paul Flora, Schrebergarten, 1976 © Nachlassvertretung für Paul Flora, Salzburg sowie Diogenes Verlag, Zürich

Der hundertste Geburtstag von Paul Flora (1922-2009), Österreichs großem Tiroler des 20. Jahrhunderts, jährt sich zwar erst im Juni nächsten Jahres, aber die Wiener Albertina prescht mit ihren Feiern gerne voraus. Zumal, wenn es sich um einen Künstler handelt, der „nur“ mit Tusche und Bleistift arbeitete, also der ursprünglichen Widmung des Hauses als Graphischer Sammlung so nahe ist wie niemand.

Es gäbe, sagt Kuratorin Antonia Hoerschelmann, kaum einen Künstler, von dem man so dezidiert sagen könne, dass er sich auf dieses Medium der Zeichnung „beschränkt“ hätte — und dabei einen eigenen Kosmos geschaffen hat.

Skurrile Komik und hintergründige Einfälle

Paul Flora ist durch die skurrile Komik und seinen hintergründigen Einfallsreichtum sehr berühmt geworden, und er ist es geblieben. Wie immer in solchen Fällen heftet sich das Klischee des leicht „Erkennbaren“ an ein Werk – wer Flora sagt, denkt an knorrige Tiroler, an Raben, an Maskierte, die durch Venedig schleichen … Das mag für ihn durchaus typisch sein, und es ist nicht billig, wenn es zum Klischee erstarrt ist.

Aber die Wiener Ausstellung der Albertina will mehr und erreicht mehr. Man hat rund hundert Werke aus dem eigenen Bestand, aus dem Nachlass und aus dem Privatbesitz der Familie Flora zusammen getragen und chronologisch geordnet. Von der ersten bekannten Zeichnung des Vierzehnjährigen, „Mississippi“ benannt, die schon ganz jenen charakteristischen Strich zeigt, den er im Lauf seines Lebens zur Vollendung gebracht hat, bis zu einer der letzten Arbeiten im Jahr 2007, kurz vor seinem Tod.

Es mutet tragisch an, dass es sich um ein Begräbnis handelt – jene Figur des „Monsieur Corbeau“, die er geschaffen hat, geht neunfach hinter einem Sarg her, einer von ihnen trägt eine winzige rote Blume in der Hand … faszinierend.

Der Gang durch ein Lebenswerk offenbart eine Vielfalt, die man sich nicht immer bewusst gemacht hat — und dabei widmet sich die Albertina nur dem Zeichner Paul Flora, nicht dem Karikaturisten, der nächstes Jahr im Karikaturenmuseum in Krems behandelt wird. Formal sieht man, was alles möglich ist — von einem Strich, so zart, dass man doppelt hinsehen muss, bis zu heftigen Schraffierungen. Was Flora zeichnet, ist weit öfter besinnlich als brüllend komisch und oft scharf zeitkritisch — ein Schrebergarten am Dach eines riesigen Hauses enthält auch einen Drachen … Oder es ist eine Arche Noah, die da am Dach geparkt ist unter dem Titel „Erwartung“. Man kann ins Grübeln kommen.

Nicht nur in seinen meisterlichen Venedig-Bildern (Venedig war seine Stadt, ein Tiroler hatte es nicht weit dorthin), sondern in vielen Werken, die ihn an Goya anreihen, herrscht das Düstere, Unheimliche, ja, Gänsehaut-Erzeugende. Oft so verwandt mit Alfred Kubin, mit dem er lebenslang befreundet war, dass man Zeichnungen wie die „Rattenplage“ oder den „Rattenfänger“ fast verwechseln könnte.

In diesem Sinn hat die Schau bewiesen, was zu beweisen war: Es gibt einen Paul Flora jenseits des allseits beliebten Schmunzel-Künstlers. Man muss nur genau hinsehen.

Bis zum 30. Jänner 2022

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