Und „Rechnitz“ schwingt mit

Nazinest & Willkommenskultur: Eva Menasses neuer Roman „Dunkelblum“

„Das, was nicht allseits bekannt ist, regiert wie ein Fluch.“ Eva Menasse schrieb ihr bislang ambitioniertestes Buch.
„Das, was nicht allseits bekannt ist, regiert wie ein Fluch.“ Eva Menasse schrieb ihr bislang ambitioniertestes Buch. © APA/Roland Schlager

Nicht Dunkelgrau, nicht Dunkelblau, sondern Dunkelblum. Das ist nämlich keine Farbe, sondern ein kleine Stadt. Sie hat schon größere Zeiten gesehen. Als das Schloss noch nicht abgebrannt war und die Grafen noch lebendig präsent waren und nicht nur in Form der in der großen Familiengruft vor sich hin saftelnden Ahnen. Sie hat schon düstere Zeiten gesehen. Aber daran will sich niemand erinnern. Dunkelblum ist der titelgebende Schauplatz von Eva Menasses neuem Roman.

In „Dunkelblum“ macht die Doderer-Verehrerin Menasse endlich Nägel mit Köpfen. Das Buch geht über 500 Seiten, hat ein ganzen Panoptikum an Figuren und einen Zeitschnitt, der von der Gegenwart der Handlung im August 1989 in die Vergangenheit geht, insbesondere in die 30er- und 40er-Jahre, als sich die Bevölkerung in Täter und Opfer teilte.

„Dunkelblum“ ist Eva Menasses bisher ambitioniertestes Romanprojekt, und es reiht sich unübersehbar in einen konkreten historischen und literarischen Zusammenhang ein. Es ist bei der Lektüre schon bald unmöglich, nicht an die Ereignisse im burgenländischen Rechnitz zu denken, wo bis heute das Massengrab eines Massakers vom März 1945 nicht gefunden werden konnte.

Vom ersten Satz an schlägt „Dunkelblum“ einen Ton an, mit dem gefährlich gemütlich zwischen Märchen und Parabel hin und her geschlendert wird: „In Dunkelblum haben die Mauern Ohren, die Blüten in den Gärten haben Augen, sie drehen ihre Köpfchen hierhin und dorthin, damit ihnen nichts entgeht, und das Gras registriert mit seinen Schnurrhaaren jeden Schritt.“ Dunkelblum, so heißt es, sei von Gott zusammen mit dem Teufel als „Modellstädtchen“ gebaut worden, „zur Mahnung an alle“, man beobachte einander unablässig und wisse alles voneinander. Fast alles. „Das, was nicht allseits bekannt ist, regiert wie ein Fluch.“

Freilegen, verstehen

Auf mehreren Ebenen bringt Menasse Bewegung in dieses Städtchen. Ein ehemaliger Bewohner, Lowetz, kehrt zurück, um sich um den Nachlass seiner plötzlich verstorbenen Mutter zu kümmern. Er registriert aufmerksam die vielen Veränderungen und macht Bekanntschaft mit einer jungen, aufgeweckten Frau namens Flocke Malnitz. Sie verkörpert ebenso wie eine Gruppe von Studenten aus der Hauptstadt, die sich an die Ausrodung und Wiederherstellung des vernachlässigten jüdischen Friedhofs machen, eine junge Generation, die freilegen, verstehen und verarbeiten will.

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Man braucht als Leser einen langen Atem für „Dunkelblum“, doch es lohnt sich. Geschickt legt Menasse ihre Spuren aus, dabei hilft der milde spöttische Humor, mit dem die Autorin immer wieder Personen oder Situationen kommentiert. Zweimal lässt Menasse Dunkelblum in die internationalen Schlagzeilen geraten: einmal als Nazinest und einmal als Beispiel für Willkommenskultur.

„Dunkelblum“ ist ein starkes Buch geworden. Ein wichtiges Buch. Die erfundene Kleinstadt an der burgenländisch-ungarischen Grenze wird auf der österreichischen Literaturlandkarte einen wichtigen Platz einnehmen.

Wolfgang Huber-Lang

Eva Menasse: „Dunkelblum“. Kiepenheuer & Witsch, 524 Seiten, 25,70 Euro

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