Unentdeckte Morde: Zadic plant interministerielle Arbeitsgruppe

Justizministerin reagiert auf VOLKSBLATT-Bericht — Gerichtsmediziner warnen vor fatalen Folgen sinkender Obduktionszahlen

In Österreich könnte wegen der seit Jahren sinkenden Obduktionszahlen ein Drittel aller Tötungsdelikte unentdeckt bleiben. Dieser Alarmruf eines führenden Gerichtsmediziners, den das VOLKSBLATT kürzlich veröffentlicht hatte, verhallte auf Regierungsebene nicht ungehört.

„Die schwierige Lage der Gerichtsmedizin ist mir bewusst“, sagt Justizministerin Alma Zadic (Grüne) und verspricht, das Problem anzugehen. „Ich schlage eine interministerielle Arbeitsgruppe vor, deren Ziel es ist, Strukturen zu schaffen, die Durchführung von Obduktionen bundesweit nach den neuesten wissenschaftlichen Erkenntnissen und international üblichen Standards sicherstellen“, so Zadic zum VOLKSBLATT.

Konkret sollen sich Experten von Justiz-, Wissenschafts- und Finanzministerium zusammensetzen.

Gesetzlich sei klar geregelt, in welchen Fällen eine Obduktion durchzuführen ist, betont die Ministerin. Wenn bei der Leichenbeschau festgestellt werde, dass kein natürlicher Tod vorliegen könnte, sei eine Obduktion notwendig. Diese werde von der Staatsanwaltschaft angeordnet.

Fakt ist allerdings, dass die Zahl der Obduktionen seit langem stetig sinkt. 1984 wurden bei mehr als 30.000 Leichenöffnungen 112 Morde bzw. tätliche Angriffe festgestellt. 2018 waren es bei 8593 Obduktionen nur noch 48.

Bei Tötungsdelikten wie Mord, fahrlässige Tötung oder Totschlag „dürfte für Österreich ein Verhältnis von erkannt zu unerkannt von eins zu zwei durchaus realistisch sein”, schätzt Walter Rabl, Präsident der Österreichischen Gesellschaft für Gerichtliche Medizin (ÖGGM).

Auch die Opposition sieht Handlungsbedarf. „Man kann nicht einfach zur Tagesordnung übergehen und das Problem weiter auf die lange Bank schieben“, so SPÖ-Justizsprecherin Selma Yildirim. Ihre Forderung: „Die Antwort ist schwierig und leicht zugleich: es braucht deutlich mehr Geld aus dem Bundesbudget für die Gerichtsmedizin.“

Das Problem ist übrigens kein rein österreichisches. Oberarzt Oliver Peschel vom Institut für Rechtsmedizin der Münchener Ludwig-Maximilians-Universität glaubt, dass in Deutschland sogar noch mehr Morde übersehen werden. Er war an einer Studie beteiligt, bei der 13.000 Todesfälle untersucht wurden. Unter den vom Leichenbeschauer als natürlich attestierten, aber trotzdem einer Obduktion zugeführten Todesfällen wurden zwölf Tötungsdelikte entdeckt.

Man habe auch schon Schusswunden und Messerstiche bei offiziell „natürlich“ Verstorbenen entdeckt. Peschel, der auch die Gletschermumie „Ötzi“ untersucht hat, geht davon aus, „dass wir in Deutschland pro Jahr 1200 bis 1400 übersehene Tötungsdelikte haben“.

Von Manfred Maurer

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