Unglücksrabe oder Friedensfürst? Vor 100 Jahren starb Kaiser Karl

Seinen wohl größten Karrieresprung machte Karl I. lange nach seinem Tod. Im Oktober 2004 sprach der damalige Papst Johannes Paul II. den letzten Kaiser von Österreich selig.

Der Schritt sorgte seinerzeit für Diskussionen. Befürworter betonten, dass der vor 100 Jahren, am 1. April 1922, gestorbene Monarch anders als die deutschen Verbündeten im Ersten Weltkrieg stets für Frieden eingetreten sei. Kritiker sahen eine Verklärung der Adelsherrschaft und der Habsburger.

Die historische Wahrheit liegt vermutlich wie so oft irgendwo in der Mitte. Auf der kurzen Regentschaft Karls, der auf Fotografien immer leicht melancholisch in die Ferne blickt, lag jedenfalls wenig Segen. Mit dem Tod seines Großonkels und Vorgängers Franz Joseph I. verlor das vom Krieg gezeichnete Vielvölkerreich der Habsburger 1916 seine letzte symbolische Klammer. Karl wurde notgedrungen zum Verwalter einer Konkursmasse, die von Polen und der heutigen Ukraine bis hinunter ins heutige Rumänien und auf den Balkan reichte.

Mit 29 Jahren stand er an der Spitze des riesigen Staates, und es fehlte ihm an Fortune, Charisma und Rückhalt bei seinen Untertanen. Man hoffe, einen Dreißigjährigen zu treffen, finde aber einen Menschen, der wirke wie ein Zwanzigjähriger, „der denkt, redet und sich verhält wie ein Zehnjähriger“, ätzte einer von Karls Generälen.

Ob innere Reformen oder Änderungen im militärischen Bereich: So gut wie gar nichts wollte dem kaiserlichen Unglücksraben in der Endphase des Ersten Weltkriegs gelingen. „Seine Aktivitäten waren von Übereifer und fehlendem Weitblick geprägt. Überraschende Kursänderungen und sich widersprechende, unüberlegte Anordnungen brachten ihm den Beinamen ‚der Plötzliche‘ ein“, schreibt Historiker Martin Mutschlechner.

Karl habe zu keinem Zeitpunkt eine Chance gehabt, das Blatt zu wenden, meint Mutschlechners britischer Kollege Ian Kershaw. „Seine Versuche, die Abhängigkeit von Deutschland zu mindern, sein Bemühen, zu einem Friedensabkommen mit den Alliierten zu gelangen, blieben vergeblich.“ Und Kershaws Landsmann Simon Winder fügt in launigem Ton hinzu: „In seiner Hofburg umherwandernd, erdrückt von Franz Josephs altem Mobiliar, das die Eleganz eines Seniorenheims ausstrahlte, während sich gleich um die Ecke der Glanz der Russischen Revolution entfaltete, machte Karl eine in jeder Hinsicht enttäuschende Figur.“

Immerhin bereitete der Monarch, wenn auch widerwillig, den Weg für einen Machtwechsel. Mitte November 1918 verzichtete Karl auf jede Beteiligung an den Regierungsgeschäften in beiden Teilen seines Reiches – mit einer kleinen, aber feinen Einschränkung: Von Abdankung war nicht die Rede. Ein solcher Schritt vertrage sich nicht mit der Idee des Gottesgnadentums, soll nicht zuletzt seine Gemahlin Zita argumentiert haben.

Im März 1919 verließ der Kaiser von Österreich und König von Ungarn seine Heimat – nicht ohne zuvor im „Feldkircher Manifest“ seine Verzichtserklärung zu widerrufen und gegen seine Absetzung zu protestieren. Von seinem ersten Exil in der Schweiz versuchte er 1921, zumindest in Ungarn wieder an die Macht zu kommen. Die Alliierten verbannten ihn daraufhin auf die portugiesische Atlantikinsel Madeira. Dort starb Karl mit nur 35 Jahren an der Spanischen Grippe.

Gattin Zita, die ihren Mann um fast 67 Jahre überleben sollte, hielt an den Thronansprüchen der Habsburger fest. Und sie setzte sich fortan für ein ehrendes Andenken ihres Gemahls ein. Mit Erfolg. Johannes Paul II., dessen Vater noch unter dem Kaiser als Soldat gedient hatte, betonte bei der Seligsprechung, dass der „mitten in den Stürmen des Ersten Weltkriegs“ an die Regierung gelangte Karl versucht habe, die Friedensinitiative von Papst Benedikt XV. aufzugreifen. „Er war ein Freund des Friedens. In seinen Augen war der Krieg etwas Entsetzliches.“ So besehen, taugt Karl tatsächlich als Vorbild, gerade in der heutigen Zeit.

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