„Unser Freud ist rastlos, süchtig und besessen“

ORF-Netflix-Serie „Freud“ startet im März

Marvin Kren (vorne links) mit seinen „Freud“-Darstellern Robert Finster, Ella Rumpf und Georg Friedrich.
Marvin Kren (vorne links) mit seinen „Freud“-Darstellern Robert Finster, Ella Rumpf und Georg Friedrich. © ORF/Satel Film/Bavaria Fiction/Hans Starck

Die ORF-Netflix-Produktion „Freud“ feiert bei der heurigen Berlinale (20. Februar bis 1. März) ihre Weltpremiere, am 15. März (20.15 Uhr) ist die erste Folge des Achtteilers auf ORF 1 zu sehen. Marvin Kren („4 Blocks“) spricht mit dem VOLKSBLATT über das Unbewusste, die Arbeit mit Netflix und die Zukunft des Kinofilms.

VOLKSBLATT: Mit Horror fing es bei Ihnen an, jetzt sind Sie bei einem Mystery-Thriller gelandet. Liegt Ihnen das Irreale oder doch mehr die beinharte Realität wie etwa bei „4 Blocks“?

MARVIN KREN: Mir liegen Themen mehr als Genres. Was mich bei Freud so interessiert hat, ist, dass er in den letzten 100 Jahren mit seinem Denken und seinen Lehren die Kunst so beeinflusst hat. Auch den Film, Genres wie Horror, Thriller … Ihn jetzt als Hauptfigur in eine Serie zurückzubringen, das war in dem Fall das Herausfordernde. Wenn man sich mit Freud auseinandersetzt, muss es spannend werden, denn das Unbewusste ist an sich eine spannende Angelegenheit.

Wie haben Sie sich denn für „Freud“ vorbereitet?

Freud hat ein unfassbar großes Werk, der Kreis wird aber schon enger, wenn man schaut, welche Zeit man erzählt. Das war in unserem Fall der junge Mann Freud, der sich gerade entschlossen hat, in die Richtung des Neurologen zu gehen. Das Interessante ist, dass Freud selbst sehr erpicht auf die Kontrolle seiner eigenen Biografie war. Er hat sämtliche persönlichen Papiere aus der Zeit, in der er jung war, zerstört, weil er selbst nicht sicher war, ob das richtig gut war. Was uns wiederum einen relativ freien Ansatz gibt, einen Freud zu erzählen, der nicht hundertprozentig von biografischen Ansätzen geprägt ist.

Video
Ich möchte eingebundene Social Media Inhalte sehen. Hierbei werden personenbezogene Daten (IP-Adresse o.ä.) übertragen. Diese Einstellung kann jederzeit mit Wirkung für die Zukunft in der Datenschutzerklärung oder unter dem Menüpunkt Cookies geändert werden.

Welche Art von Persönlichkeit, welcher Freud ist da bei Ihnen entstanden?

Wenn man über Freud als Archetyp nachdenkt, denkt man an einen Intellektuellen, der viel Zeit beim Denken verbringt. Es ist natürlich langweilig fürs Publikum, einer Figur beim Denken zuzusehen. Unser Freud ist ein kontroversieller Charakter. Zum einen ist er hochintelligent, extrem ehrgeizig, extrem erpicht darauf, seine Position als Arzt in Wien zu erlangen. Aus diesem Ehrgeiz heraus ist er auch rastlos, süchtig nach Kokain und besessen. Und mit der Fähigkeit gesegnet oder gezeichnet, mehr zu sehen als andere. Das behaupte ich schon, dass er so eine Art von Ausnahmetalent und -mensch war, der zwischen den Zeilen lesen und sehen konnte, der die Zeichen der Zeit besser verstanden hat als andere.

Wie sind Sie auf die Idee gekommen, das mit einer Krimihandlung zu verknüpfen?

Das war ursprünglich die Idee meines Produzenten. Der wollte so eine klassische „Freud ist ein Detektiv um die Jahrhundertwende-Geschichte“ machen. Mit meinen Partnern sind wir dann auf die Idee gekommen, dass es viel spannender sei, einen Freud zu erzählen, den man dem Publikum sehr zugänglich macht, der wirklich eine Möglichkeit der Realität gewesen sein könnte. Den in eine Art mysteriösen Reigen zu schicken, das ist der interessante Ansatz. Über diese mörderische Verkettung von Dingen wird im Äußeren sichtbar, was im Inneren bewegt. Nämlich die Auseinandersetzung mit dem Geheimnis des Menschen, mit dem Unbewussten. Über die Lösung des Kriminalfalls kommt Freud auch einen Schritt näher zur Festlegung seiner Thesen des Unbewussten.

Sie sind in dreifacher Funktion an „Freud“ beteiligt. War das eine außergewöhnliche Herausforderung oder ein gutes Gefühl, so viele Fäden in der Hand zu haben?

Es ist für mich ein unumgängliches Gefühl, denn zu viele Köche verderben den Brei und für mich war es extrem wichtig, zu 100 Prozent meine Version dieser Serie zu machen, gemeinsam mit meinen kreativen Partnern. Alle Folgen zu inszenieren hat einen finanziellen Vorteil. Wenn ich mitschreibe, habe ich ein viel besseres Verständnis für den ganzen Bogen einer Geschichte und beim Produzieren ist es so, dass es bei einer Serie immer um Zeit und Geld geht, und wenn ich mitproduziere, habe ich eine größere Entscheidungsgewalt. Man kommt schneller zum Ziel.

„Freud“ ist ja die erste Produktion von ORF und Netflix. Eröffnet eine Produktion von Netflix eigentlich ungeahnte Möglichkeiten — auch finanzieller Natur? Kann man aus dem Vollen schöpfen?

Aus dem Vollen schöpfen kann man als Kreativer nie, aber das liegt nicht an Netflix oder dem ORF. Das liegt daran, dass, wenn man anfängt zu denken, möchte man alles. Es gibt immer Begrenzungen, die aber auch inspirieren. Die Zusammenarbeit eines öffentlich-rechtlichen Senders mit einem Streaminganbieter ist ein Novum. Was ich beiden hoch anrechne, ist die kreative Freiheit, die man mir bei dieser Verfilmung gegeben hat.

Bei einem historischen Stoff muss man bei der Besetzung auch auf eine gewisse Ähnlichkeit achten? Das Bild des alten Freud kennt man ja …

Als ich Robert Finster kennengelernt habe, hatte er kurze Haare, keinen Bart, aber einen unfassbar eindringlichen Blick, ganz konzentriert, so wie ich mir Freud vorgestellt habe. Dass er versucht hat, in seinem Gegenüber etwas zu erkennen, das auch ihn plagt, treibt. Robert hat mir beim Casting gezeigt, wie ich meinen Freud zu machen habe, er war die Beantwortung meiner Suche, hat 15 Kilo abgenommen, den Bart wachsen lassen und gefärbt, hat gelebt wie ein Asket, um sich perfekt auf die Rolle vorzubereiten.

Premiere feiert „Freud“ auf der Berlinale. Nichts Neues für Sie, trotzdem besonders?

Absolut! Dass „4 Blocks“, eine Gangsterserie, die in Berlin und im arabischen Milieu spielt, dort läuft, war irgendwie aufgelegt. Eine Serie über einen intellektuellen Österreicher war da schon eine andere Sache. Dass diese Serie beim Berlinale-Auswahlkomitee gut ankommt, hat mich extrem gefreut.

Die Berlinale hat sich für Serien geöffnet, das Thema Film VS. Serie beschäftigt. Sie kennen beides. Was ist als Regisseur reizvoller?

Es geht nicht mehr ohne einander. Natürlich gibt es Kinofilme, die noch klassisch finanziert werden. Aber ich finde, es muss in Zukunft eine Diskussion sein, die miteinander geführt wird. Es kann keine Welt ohne Kino geben, aber es kann auch keine Welt mehr ohne Streamingpartner geben, weil das in unserem Wohlstandsleben Fuß gefasst hat. Die Nachfrage nach Content ist derzeit schier unbegrenzt und die Möglichkeiten, die einem gegeben werden, sind für mich als Filmemacher natürlich ganz besonders.

Was ist Ihnen lieber?

Alles hat was für sich. Einen Film im Kino zu zeigen und die gemeinsame Erfahrung mit dem Publikum zu haben, ist etwas ganz Großartiges. Gleichzeitig zu wissen, dass ein Film von 140 Millionen potenziellen Zusehern gesehen werden könnte, hat auch natürlich seinen Reiz.

Mit MARVIN KREN sprach Mariella Moshammer

Das könnte Sie auch interessieren