„Vom Ursprung ist Weihnachten kein Superevent und Happening“

... sondern ein Versprechen, sagt Diözesanbischof Scheuer und appelliert an die Dialogbereitschaft, um Spaltungen zu überwinden

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VOLKSBLATT: Der kommende dritte Adventsonntag steht unter dem Motto „Gaudete“. Worauf kann und soll man sich dieser Tage freuen?

BISCHOF SCHEUER: Die Seele ernährt sich von dem, was sie erfreut, sagt der Hl. Augustinus und er meint damit, dass die Freude eine Art Grundnahrungsmittel des Lebens ist. Wie wir halt ein Brot und was zu Essen und zum Trinken brauchen, wie wir auch die Kultur und auch das Wort Gottes brauchen. Und gerade in diesen Zeiten ist es wichtig, die grundsätzliche Lebensfreude nicht zu vermiesen und zu vergessen.

Das gesellschaftliche Grundempfinden ist derzeit eher die depressive Mittellage …

… oder auch Raunzen, Sempern, Jammern — das hängt davon ab, in welcher österreichischen Stadt man ist. Aber wir dürfen uns auch über die kleinen Dinge freuen: Ich freue mich etwa über ein gutes Essen und auch die Keks, die ich derzeit manchmal bekomme. Ich freuen mich über den Schnee und auch darüber, dass ich schon eine Skitour auf der Wurzeralm gegangen bin. Und ich freue mich auch über die tägliche Messe in der Früh bei den Karmelitinnen, weil das gibt Kraft für den Tag.

Auch über dieser Weihnacht liegt der Schatten von Corona. Wie werden Sie es feiern?

Ich werde es in den gegebenen Rahmenbedingungen feiern, aber soviel anders ist auch nicht: Wir haben auch diesmal Begegnungen mit Obdachlosen und in den Gefängnissen. Und wir haben die Liturgie, wir werden voraussichtlich im Dom sowohl die Kinderliturgie als auch die Mette in der Nacht zweifach feiern, damit möglichst viele Möglichkeit haben, mitzutun, weil bestimmte Regeln wie die Abstandsregel wird zu Weihnachten gelten.

Nervt es Sie eigentlich, dass man so viel voraussichtlich fixieren kann …

… natürlich. Wir erleben jetzt, dass das Leben nicht prognostizierbar ist. Ich kann derzeit nicht sagen, was in einem halben Jahr gilt, ich kann oft nicht einmal sagen, was in einer guten Woche ist und wie es sich entwickelt. Ja, unsere Erkenntnisse und unsere Entscheidungen haben eine gewisse Vorläufigkeit. Wir brauchen da ein gutes Miteinander von Wissenschaft, Medizin, Ethik, Politik und ich glaube, dass für die innere Widerstandskraft der Menschen Glaube, Religion und Spiritualität eine wichtige Bedeutung haben – gerade jetzt ist auch wichtig zu schauen, was stellt es mit uns als Gemeinschaft und als Gesellschaft an. Was sind die Wirkungen und die unerwünschten Nebenwirkungen. Etwa Besuchseinschränkungen oder Besuchsverbote.

Gerade Kirche hat in diesen Krisensituationen, wenn es etwa um das Sterben geht, auch Kompetenz.

Das war am Beginn sicher schmerzlich. Inzwischen hat sich einiges verbessert, gerade was die Begleitung in schwerer Krankheit und dem Sterben betrifft, sind die Klinikseelsorger nun gut eingestellt, aber man musste es erst lernen.

Beim VOLKSBLATT-Interview im Vorjahr erklärten Sie, dass der Lockdown in den Pfarren viel Neues hervorbrachte, und Sie zeigten sich überrascht „wie schnell das gegangen und was alles auf die Beine gestellt wurde. Das hat sich gut entwickelt.“ Was ziehen Sie heute für ein Resümee?

Ich habe im ersten Jahr die Erfahrung gemacht, dass die Leute das Beste daraus machten, was möglich war und nicht auf das geschaut haben, was gerade nicht geht. Gerade im Vorjahr zu Advent und Weihnachten und am Weg auf Ostern waren die Leute gut unterwegs. Und es war auch die Freude im Sommer spürbar, dass man Feste wieder mit vielen Leuten feiern kann. Und natürlich merkt man jetzt, dass die Menschen müde und ausgelaugt sind. Aber wir werden Weihnachten feiern und es ist vom Ursprungsgeschehen auch nicht das Superevent und Happening gewesen. Sondern es passierte in ziemlich einfachen und bescheidenen Verhältnissen und trotzdem heißt es: Ich verkünde euch eine große Freude.

Trotzdem scheint jedes Aufsperren schwieriger zu werden. Wie kann man dem Frust in den Pfarren begegnen?

In dem man sich nicht auf den Frust fixiert und sich auch nicht von der Resignation und Enttäuschung auffressen lässt. Es ist wichtig zu schauen, was trägt mich und was treibt mich an. Und gerade zu Weihnachten ist eine Botschaft, die ist unverbrauchbar, die kann nicht ausgehen – diese Menschwerdung ist das ganz große Versprechen Gottes.

Kardinal Schönborn erklärte, dass die Impfung keine Glaubensfrage ist und die Bischofskonferenz ergänzte, dass die Impfpflicht wegen der besonderen Umstände zulässig sei. Verstehen Sie die Bedenken der Impfskeptiker?

Zunächst ist es wichtig, dass man diese Frage in einem größeren Zusammenhang sieht. Gesundheit ist ein hohes Gut, aber nicht das höchste Gut. Gesundheit ist nicht Gott. Und natürlich haben wir bei der Gesundheit ein hohes Maß an Eigenverantwortung. Es gibt natürlich auch eine Aufgabe der Gesellschaft: Die einzelnen zu schützen und zu heilen. Die Frage Impfen oder nicht ist aber vorrangig eine Frage der Vernunft, der Wissenschaft und der Politik.

Die Debatte spaltet trotzdem die Gesellschaft, was kann man tun, um diese Spaltung zu überwinden?

Ich glaube, dass die Impfung jetzt nur zu einer Zuspitzung geführt hat. Es ist schon in anderen Fragen auseinandergegangen. Im konkreten Fall sollte man erstens der Wirklichkeit ins Auge schauen und etwa die Lage in den Intensivstationen wahrnehmen. Zweitens braucht es Lernfähigkeit. Und drittens auch eine Dialogbereitschaft. Gibt es den Willen zur Versöhnung? Werte wie Wertschätzung und Anerkennung auch gegenüber Andersdenkenden sind sehr verwässert worden. Und auch die Politik und die Wissenschaft brauchen ein Grundmaß an Respekt und Anerkennung.

Aber konkret: Die Kirche ist auch ein wichtiger Arbeitgeber, wie wird das mit dem Impfen für die Mitarbeiter aussehen?

Wir haben versucht die Mitarbeiter zu motivieren und es wird sich in den nächsten Wochen herausstellen, wie das zu handhaben ist. Wir sind an die staatlichen Regeln gebunden und kein Staat, das muss man klar sagen.

Wie sehr hat eigentlich Corona den Zukunftsweg der Diözese samt der neuen Struktur Probleme gemacht?

Im Grunde genommen hat sich dadurch nicht so viel verändert. Natürlich hätten wir manche Fragen lieber im Präsenzmodus besprochen, weil solche Prozesse sind ja nicht nur ein Abarbeiten der Tagesordnung, sondern da passieren viele Sachen beiläufig, in der Pause, am Abend – das sind kreative Prozesse und da gab es dadurch Verzögerungen. Auf der anderen Seit denke ich, die Personalsituation und auch die Situation der Gemeinden ist so zugespitzt, dass es eher beschleunigt worden ist.

Und wie zufrieden sind Sie mit dem nun erfolgten Start?

Das ist keine Frage der Zufriedenheit. Aber ich hatte bei den Veranstaltungen schon den Eindruck, man geht mit einer Nüchternheit, nicht mit Euphorie, aber mit einer gewissen Zuversicht und mit der Bereitschaft sich einzubringen ans Werk. Der Prozess lebt ja davon, dass die Leute vor Ort und in den kirchlichen Gruppen sich einbringen, etwas übernehmen und Freude am Glauben haben.

Was wünschen Sie sich persönlich zu Weihnachten und gibt es etwas, was Sie sich für 2022 vornehmen?

Advent und Weihnachten ist für mich mit Arbeit verbunden, wobei das im Vorjahr schon deutlich anders war, und heuer freue ich mich, dass ich gleich nach Weihnachten ein paar Tage Exerzitien machen kann, dass ich in die Stille gehen kann. Und ich nehme mir vor – und das geht in Coronazeiten sogar leichter – geordneter zu leben, was den Schlaf, die Bewegung, den Tagesrhythmus betrifft. Gerade in Krisenzeiten ist es wichtig, dass man sich nicht treiben lässt und ein Getriebener wird, sondern der Steuermann des eigenen Lebens bleibt und dafür braucht es eine gute Ordnung des Alltags.

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