Von Euthanasie bis zur Optimierung des Menschen

„Wert des Lebens“: Die neue Dauerausstellung im Schloss Hartheim blickt zurück, aber auch nach vorne

V.l.: Konsulentin Brigitte Kepplinger, Obfrau des Vereins Schloss Hartheim, Landeshauptmann Thomas Stelzer, Mag. Florian Schwanninger, Leiter des Lern- und Gedenkorts Schloss Hartheim
V.l.: Konsulentin Brigitte Kepplinger, Obfrau des Vereins Schloss Hartheim, Landeshauptmann Thomas Stelzer, Mag. Florian Schwanninger, Leiter des Lern- und Gedenkorts Schloss Hartheim © Land OÖ/Mayrhofer

„Die Wahrung der unantastbaren Würde des Menschen, Respekt und das Miteinander müssen die kompromisslose Richtschnur unseres Handelns sein“, so Landeshauptmann Thomas Stelzer bei der Präsentation der neu gestalteten Dauerausstellung im Lern- und Gedenkort Schloss Hartheim in Alkoven, der ehemaligen NS-EuthanasieAnstalt, wo im Zuge der Aktion T4 30.000 Menschen ermordet wurden.

Es sei wichtig, die Erinnerung wach zu halten und sich damit auseinanderzusetzen, dabei aber auch nach vorne zu denken, so Stelzer. „Der Wert des Leben. Der Umgang mit den Unbrauchbaren“ lautet der am Ende provokant anmutende Titel der vom Land OÖ finanzierten Schau.

Inhaltlich wird der Bogen gespannt von den Anfängen der Bewertung von Leben bis hin zu aktuellen Fragen wie Genmanipulation oder Sterbehilfe. Da wird viel Stoff zum Nachdenken geboten. Die Ausstellung öffnet Ende der Woche.

Nazis setzten die Ideen der Eugenik in die Tat um

„Es genügt nicht zu gedenken, der Nationalsozialismus muss in einen Kontext gestellt werden“, so die Obfrau des Vereins Schloss Hartheim, Brigitte Kepplinger, die die Schau gemeinsam mit dem Leiter des Lern- und Gedenkorts, Florian Schwanninger, kuratiert hat.

Und so werden zunächst die Entwicklungen gezeigt, die mit den Boden bereiteten für die Gräueltaten der Nazis. Als der Mensch zu forschen begann, das religiöse Weltbild vom naturalistischen abgelöst wurde, hatte das massive Auswirkungen auf Kranke, Arme und behinderte Menschen. „Die Aufklärung nahm Maß, ordnete und teilte ein, und das hatte Nachteile für die, die nicht entsprechen“, so Schwanninger.

Mit der Industrialisierung traten ökonomische Kriterien in den Vordergrund, der Mensch wurde nach seiner Leistungsfähigkeit beurteilt. Kirchliche und caritative Einrichtungen und Gemeinden nahmen sich derer, die aus dem System fielen, fürsorgend an. Wer einen Heimatschein vorweisen konnte, den Beleg, dass er in dem Ort geboren wurde, hatte ein Recht auf Unterstützung. Das Armutszeugnis die Bestätigung, nichts zu besitzen.

Die Eugenik, die Erbgesundheitslehre, deren Ideen im 19. Jahrhundert international weit verbreitet waren, sei sozusagen die biologische Antwort auf soziale Fragen, so Schwanninger. Die Nazis haben sie auf die schrecklichste Art und Weise auf die Spitze getrieben. In der Ausstellung ist ein Raum austapeziert mit Statistiken der Nazis, in denen dargestellt wird, was „unwertes Leben“ kostet. In einer nationalsozialistischen Schulmappe heißt es: „Erbkranke fallen dem Staat zur Last“. Die Ideen der Eugenik lebten nach dem Zweiten Weltkrieg weiter fort, wie die Ausstellung zeigt. Kepplinger verwies darauf, dass in Corona-Zeiten von manchen darüber nachgedacht werde, was der Schutz der alten Menschen kostet und einige Länder älteren Corona-Kranken sogar die medizinische Hilfe verweigert hätten.

Beeinträchtigte Menschen habe man, so Schwanninger, nach 1945 unter der Prämisse „warm, satt, sauber“ be- und verwahrt. Ein Netzbett aus der Psychiatrie ist in der Ausstellung ein stummer Zeuge dafür. Seit den 1970ern halten mit Psychiatriereform und Behindertenbewegung mehr Rechte und mehr Selbstbestimmung Einzug.

In den letzten Jahren habe sich viel getan, das habe auch eine Überarbeitung der seit 15 Jahren bestehenden Schau im Haus notwendig gemacht, so die Verantwortlichen. Entwicklungen etwa in Medizin und Gentechnik schreiten immer schneller voran, gegen manche sieht das Klonschaf Dolly aus den 1990ern schon bald alt aus. Der Mensch als Schöpfer seiner selbst, der mit modernen Methoden neue Werkzeuge in der Hand hält, die auch besorgniserregende Anwendungen möglich machen. Wie weit soll man gehen? Soll man alles umsetzen, was machbar ist?, fragt die Schau.

Themen wie Fortpflanzungsmedizin, Altern in Würde und Selbstoptimierung etwa in Richtung eines Schönheitsideals werden angerissen. Der Mensch versuche schon, die „letzte Kränkung“, den Tod zu überwinden, so Schwanninger. Etwa den Geist, das eigene Bewusstsein in einer Cloud hochzuladen oder den Menschen genetisch so zu verbessern, dass er künftig auf anderen Planeten leben könne…

17.000 Besucher vor Corona und eine barrierefreie App

Rund 17.000 Menschen haben den Lern- und Gedenkort vor der Coronakrise jährlich besucht, neben Schulklassen auch viele internationale Gäste. Dem will man mit einer barrierefreien App Rechnung tragen, die einen Audioguide in Fremdsprachen, aber auch einfacher Sprache und Gebärdensprache bereithält. Führungen sind bereits möglich, Workshops und Vermittlungsprogramme ab September.

Von Melanie Wagenhofer

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