„Wer gewählt wird, hat den Auftrag, sich einzubringen“

Der scheidende Landtagspräsident Viktor Sigl über politischen Gestaltungswillen, Dankbarkeit und noch offene Anliegen

Hunderte Gäste kamen vergangenen Donnerstag ins Landhaus, wo Präsident Viktor Sigl zum Abschiednehmen seine Bürotüren geöffnet hatte. Jetzt bleibt auch mehr Zeit für die Familie, die Enkel nehmen den Opa schon in Beschlag.
Hunderte Gäste kamen vergangenen Donnerstag ins Landhaus, wo Präsident Viktor Sigl zum Abschiednehmen seine Bürotüren geöffnet hatte. Jetzt bleibt auch mehr Zeit für die Familie, die Enkel nehmen den Opa schon in Beschlag. © Land OÖ/Stinglmayr

Alleine als Abgeordneter, Landesrat, WKOÖ-Präsident und Landtagspräsident bringt es Viktor Sigl auf rund 11.000 politische Arbeitstage.

Am Mittwoch hat er seinen letzten, es geht um die Vorbereitung der Landtagssitzung am Donnerstag, mit Mittwoch Mitternacht legt er sein Mandat zurück.

VOLKSBLATT: Ab 1979 waren Sie Gemeinderat, Bürgermeister, Landtagsabgeordneter, WKOÖ-Präsident, Landesrat und Landtagspräsident: Welche Ausbildung braucht man eigentlich, um in der Politik so lange tätig sein zu können?

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Vom Gemeinderat in Bad Kreuzen zum Präsidenten

Eiernockerl mit grünem Salat seien seine Lieblingsspeise, sagt Viktor Sigl, der am Mittwoch eine jahrzehntelange politische Laubahn beendet. Erster Präsident des Landtags war er seit 18. April 2013, begonnen hat das politische Leben des 65-jährigen, dreifachen Familienvaters aber im Jahr 1979 als ÖVP-Gemeinderat in seiner Heimatgemeinde Bad Kreuzen (Bezirk Perg). Der gelernte Einzelhandelskaufmann und ab 1977 selbstständige Reisebüro- und Transportunternehmer ist von 1985 bis 2006 Bürgermeister von Bad Kreuzen, im Dezember 1990 kommt er in den Landtag, Abgeordneter bleibt Sigl bis Juli 2000. Ehe er im Jahr 2003 als Wirtschaftslandesrat in die Landespolitik zurückkehrt, ist er von 2000 bis 2003 Präsident der Wirtschaftskammer Oberösterreich. Zehn Jahre bleibt Sigl Landesrat, um mit April 2013 die Funktion des Ersten Landtagspräsidenten zu übernehmen. Neben seinen politischen Tätigkeiten übt Sigl zahlreiche interessenpolitische Funktionen — etwa in der Wirtschaftskammer, im Tourismus oder auch im Sozialversicherungsbereich — aus.

LTP SIGL: Grundvoraussetzung ist ein entsprechend starker Gestaltungswille, man muss die Menschen mögen, man braucht Einsatzfreudigkeit, kein Problem darf zu groß und keine Sorge zu klein sein, und man braucht ein Netzwerk in Politik und Gesellschaft. Man muss aber auch verwurzelt sein und ein starkes Mitarbeiterteam haben, um Politik machen zu können.

Wann hat Viktor Sigl diesen Gestaltungswillen in sich gespürt?

Ich bin in der sogenannten 68-er Zeit im Schüler- und Lehrlingsheim Don Bosco in Linz sozialisiert worden. Dort habe ich gelernt, mich zu positionieren und mich für andere einzusetzen. Das war eine prägende Zeit und auch ausschlaggebend dafür, dass ich mich bereits mit 23 Jahren selbstständig gemacht habe. Das war 1977, dann ist es Schlag auf Schlag gegangen – beginnend 1979 als Gemeinderat.

Wenn Sie ein Achtundsechziger sind, hat sich da für Sie die Frage gestellt, ob Sie nun ein Linker oder ein Konservativer sein wollen?

Die Frage hat sich so nicht gestellt, aber tatsächlich war man damals eher links und radikaler im Denken. Eine Art von Aufmüpfigkeit ist für die eigene Meinungsbildung wichtig, aber man läuft dort und da auch einmal gegen die Mauer. Man weiß dann, dass es Mauern gibt.

Sie haben gesagt, jede Ihrer Funktionen war zum jeweiligen Zeitpunkt einzigartig und wunderschön. Was ist das wunderschöne an der Politik?

Das grundsätzlich wunderschöne an der Politik ist, anderen helfen zu können – manchmal mehr, manchmal weniger. Was mich gereizt hat, waren eigene Ideen und eigene Lebenserfahrungen in die Entwicklung der eigenen Umgebung einzubringen, von der Familie über die Firma bis in die Landespolitik, und so beizutragen, dass alles immer ein Stück besser wird.

Was macht einen guten Politiker aus?

In erster Linie muss ein guter Politiker Optimist sein, weil er sonst jene Kräfte nicht entwickeln kann, die anderen Menschen nützen können. Ein guter Politiker hat zuhören zu können, denn manchmal hilft man schon damit, wenn jemand seine Sorgen oder Probleme darlegen kann. Außerdem bilden sich im Zuhören sehr oft auch Lösungsansätze. Für mich persönlich war immer wichtig, ein Teamspieler zu sein, mir war Teamleistung wichtig. Und: Wer authentisch bleibt, ist auch stark.

Erfolgsstory dank Gesetzgebungskompetenz

Zentralisten stellen die Notwendigkeit der Landtage in Frage. Was antwortet ihnen der bekennende Föderalist Sigl?

Oberösterreich steht als Region im nationalen und internationalen Wettbewerb, wobei durch die Mitgliedschaft in der EU dieser internationale Wettbewerb der Regionen offensiver geworden ist. Hier haben wir uns als Bundesland entsprechend zu organisieren und zu positionieren. Wir sind nicht zufällig der Exportkaiser der Republik, wir sind nicht zufällig seit Jahren das Bundesland mit den meisten Patentanmeldungen, und wir sind auch nicht zufällig eines der Bundesländer mit den niedrigsten Arbeitslosenraten. Da spielt vieles mit, von der Wirtschaft beginnend bis zur Innovationskraft der Menschen – aber natürlich auch die Landespolitik, die sich viel punktgenauer artikulieren kann, als das eine österreichische Bundespolitik oder die europäische Politik je tun können.

Der Landtag hat also wesentlichen Anteil am Standing von Oberösterreich?

Wenn ich mir die über 300 Regionen, die es in der EU gibt, ansehe, dann sind wir eine der wenigen, die im Standortwettbewerb Gesetzgebungskompetenz einbringen können. Dieses Assett brauchen wir, wenn wir die oberösterreichische Erfolgsstory weiterschreiben wollen.

Wäre es für den Landtag ohne Regierungsproporz spannender?

Es geht nicht um spannend oder nicht spannend, sondern darum, welche Möglichkeiten der Positionierung eine Einrichtung oder eine Region hat. Unser Prinzip, dass Einigkeit nährt und Streit zehrt, hat nach wie vor seine Gültigkeit. Dass wir durch das Prinzip des Proporzes viel erreicht haben, ist aber nur der eine Teil der Wahrheit. Der andere Teil ist, dass jede Wählerin und jeder Wähler nicht nur eine Stimme abgibt, sondern jemanden und eine politische Richtung wählt. Ich kenne keinen Wähler, der jemanden wählt, weil der Weltmeister im Dagegensein ist. Wer gewählt wird, hat den Auftrag, sich einzubringen und gerade in schwierigen Zeiten zusammenzustehen. Das ist es, was dieses Bundesland groß gemacht hat, daher bin ich ein Befürworter des Proporzsystems.

Gesetze müssen sich selbst rechtfertigen

Das heißt, der Proporz ist wesentlich für das sprichwörtliche oberösterreichische Klima mitverantwortlich?

Ja. Der Proporz ermöglicht es nämlich, dass sich politische Parteien in einem gewissen Ausmaß verwirklichen können. Sie sind dadurch in die Lage versetzt, vor der Wahl gemachte Versprechungen umsetzen zu können. In diesem demokratischen System sind gemeinsam die besten Lösungen für Problemstellungen zu suchen.

Sind die Bürger abseits der Wahlen ausreichend in das politische Geschehen eingebunden?

Mit den modernen Kommunikationsmöglichkeiten stellen die Bürger neue Ansprüche, weshalb wir etwa das Projekt Digitaler Landtag angegangen sind.

Viel ist von Deregulierung die Rede. Werden — egal auf welcher Ebene — zu viele Gesetze beschlossen?

Wir sind in einer Phase, in der es darum geht, Gesetze zu novellieren und an neue Gegebenheiten anzupassen. Ich gehöre zu jenen die sagen, Gesetze müssen sich in gewissen Zeitabständen automatisch selbst rechtfertigen. Sind sie noch notwendig, haben sie noch die ursprüngliche Wirkung? Das Thema „zeitliche Befristung von Gesetzen“ sollte man durchaus offensiver angehen.

Sie gehen mit Wehmut und Dankbarkeit, haben Sie in Ihrer letzten Rede gesagt. Was stimmt wehmütig, was dankbar?

Wehmütig stimmt mich, dass ich mit meinen vielen tollen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern in Zukunft weniger zu tun haben werde. Da geht es nicht um Amt oder Funktion, sondern um die menschliche Komponente. Die Dankbarkeit liegt darin, dass selbst Menschen, die man länger nicht gesehen hat, kommen und sagen, da hast du mir geholfen oder ein offenes Ohr gehabt.

Das heißt, es gibt schon auch Dankbarkeit für politisches Handeln, für politisches Tun?

Absolut. Wobei Politiker auch Lob brauchen, das ist für sie ein Stück Nahrung, die sie aufnehmen müssen. Ich habe das Glück gehabt, oft etwas Gutes gehört zu haben, dafür bin ich auch sehr dankbar.

Gibt es ein politisches Anliegen, das Sie nicht abschließen konnten?

Natürlich. Da ist zum einen die neue Mauthausener Donaubrücke, die meine Heimatregion im wirtschaftlichen Wettbewerb unbedingt braucht. Zum anderen wünsche ich mir, dass im Bereich der politischen Bildung an unseren Schulen noch mehr weitergeht. Wir unterschätzen, dass Demokratie kein Selbstläufer ist. Demokratie braucht engagierte Bürgerinnen und Bürger und sie braucht die Fähigkeit, demokratische Strukturen zu erkennen, zu pflegen und weiter zu entwickeln. Wenn wir das unsere Kinder nicht rechtzeitig lehren, bekommen wir ein Problem. Demokratie ist keine Selbstverständlichkeit, wie man immer wieder anderswo sieht, wenn plötzlich andere Systeme im Vormarsch sind.

Es heißt: Ratschläge sind auch Schläge. Möchten Sie Ihrem designierten Nachfolger als Landtagspräsident, Wolfgang Stanek, dennoch etwas mit auf den Weg geben?

Das würde ich nicht tun, aber es ist bei Wolfgang Stanek auch nicht notwendig, denn er ist mit einer hohen parlamentarischen Expertise ausgestattet. Aufgrund unserer mehr als 30-jährigen Freundschaft kenne ich seine Fähigkeiten, die dem Land viel positives bringen werden.

Wird sich ein Pensionsloch auftun, wenn Sie mit morgen, Mittwoch, die Funktion und das Landhaus hinter sich lassen?

Nein. Ich habe für die nächste Zeit einen relativ vollen Terminkalender, außerdem bin ich einer, der sein Leben mit Prioritätensetzungen entsprechend strukturiert. Noch mehr als das bisher der Fall war, haben meine Frau und die Familie Priorität, dazu habe ich mit der Jagd und der Waldarbeit schöne, aber auch zeitintensive Hobbys. Außerdem will ich jenem Freundeskreis, der mich in den letzten Jahrzehnten getragen hat, mit mehr Anwesenheit etwas zurückgeben.

Mit Landtagspräsident VIKTOR SIGL sprach Markus Ebert

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