Wie ein Land sich erzählt

National feiern anders: Brauer & Steinhauer im Linzer Brucknerhaus

Österreich hat keine deutschen Wurzeln. Wenn schon, dann war das „Ostreich“ im Mittelalter Teil des Fränkischen Reichs wie die Basken oder Burgunder. Das konstatiert Friedrich Torberg in einem undatierten Brief. Zum Thema „Österreich ist frei“: Das Land habe er, schreibt Peter Handke in „Persönliche Bemerkungen zum Jubiläum der Republik“ (1975), nach 1955 „auch ohne Russen und Engländer“ als besetzt empfunden. Von einer autoritären Stimmung, katholischer Macht und „brutaler Gespreiztheit der Obrigkeit“.

Am Montag war Anlass zum Feiern. 75 Jahre Kriegsende, 65 Jahre Staatsvertrag, 55 Jahre Nationalfeiertag, das Linzer Brucknerhaus feierte mit einem ungemein stimmigen Konzert mit Lesung. Die Sängerin Timna Brauer trat endlich wieder in Linz auf, der Schauspieler Erwin Steinhauer las präzise zur Geschichte des Landes ausgewählte Texte. Kritische Positionen wie jene Hermann Brochs, der über die „fröhliche Apokalypse Wiens um 1880“ schrieb und in den Boden stampfte, was bis heute als Identität stiftende Mythologie für die „Kulturnation“ Österreich funktioniert. Zwar damals etwa eine medizinische Weltmacht, so Broch, aber „man spielte Kunstblüte“. Ein geistiges „Vakuum“ ohne nennenswerte Literatur, das mit geistloser Dekoration — im „Unstil“ des Malers Hans Makart etwa — zugestopft wurde.

Humor als Waffe, Steinhauer in Hochform, als er eine Szene aus Karl Kraus’ „Die letzten Tage der Menschheit“ oder Anton Kuhs „Der Anschluß“von 1934 (!) vorträgt. Ein Deutscher auf ethnologischer Visite beim „Bruderstamm“ in Wien, der Deutsche betont „StePHANSplatz“ auf der zweiten Silbe und entlarvt sich als ganz und gar Auswärtiger. „Die Hausmeisterin“ von Arik Brauer, der als Liedermacher auch ein ausgezeichneter literarischer Erzähler ist, handelt von Menschlichkeit.

Jene Hausmeisterin, antisemitisch bis in die Knochen, rettete in einem spontanen Akt einen kleinen jüdischen Buben vor einer gefährlichen Horde von SA-Männern.

Timna Brauer lächelt, als sie verkündet: Der Bub war mein Vater! Brauer das strahlende Zentrum dieses Abends. Enorm präsent auf der Bühne, klar artikulierte und einnehmende Stimme, warmherzig und charmant. Vergessen war etwaige Corona-Trübsal (dazu Maskenpflicht während der Vorstellung), wenn sie sang. Brauers fröhlicher, mitreißender Auftritt oft im Kontrast zum Inhalt der Lieder, im ersten Teil Perlen auf Jiddisch. Ein unfassbarer Höhepunkt „Mir lebn ejbig“, das Leyb Rozental 1943 im Ghetto im heutigen Vilnius geschrieben hatte. Brauer legt ihr ganzes Herz und ihre Kraft in das Lied, grenzwertig absurde Hoffnung neben dem dunkelsten Abgrund der Vernichtung.

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Elias Meiri ein hervorragender, konzentriert-entspannter Begleiter am Piano, klassischer Fall von Die-Akteure-nicht-gehen-lassen-wollen. Timna Brauer interpretiert vergnügt einen Klassiker des Vaters, „Sein Köpferl im Sand“ (Hinter meiner, vorder meiner). Abschied mit Hermann Leopoldis „Da wär’s halt gut, wenn man English könnt!“, Steinhauer und Timna Brauer sangen im Duett. Kostbarer, ja sogar Mut machender Abend.

Von Christian Pichler

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