Wie eine Elfjährige das Kriegsende in Urfahr erlebte

Tod und Zerstörung, Lebensmittelknappheit und andere Nöte prägten das Leben der Menschen

Leben inmitten von zerbombten Häusern in Linz: Auch für Kinder am Ende des Zweiten Weltkrieges trauriger Alltag. © Landesarchiv

Im Mai 1945 war ich elf Jahre alt und wohnte mit meiner Mutter in Urfahr am Auberg im Jungwirthof. Bis Dezember 1944 besuchte ich die 2. Klasse der Mädchenhauptschule 5 am Hinsenkampplatz.

Wegen der sich häufenden Bombenangriffe auf Linz wurden die Weihnachtsferien verlängert, dann unsere Schule in ein Lazarett umfunktioniert und wir in die Knaben-HS zum Notunterricht beordert, wo wir dann am 10. Februar l945 eine „Gesamtbeurteilung wegen längerer Schulsperre“ erhielten. Bald darauf gab es gar keinen Unterricht mehr.

„Bei der Kaiserkrone fahr’n die Amerikaner!“

Unser Schulweg ging die Aubergstraße hinunter, vorbei an Bombenruinen, da der Auberg wegen einer Flakstellung beim Schloss Hagen stark bombardiert wurde. Ich erinnere mich an ein Betonfragment mit angefrorenem Gehirn und kann mich heute nur wundern, wie emotionslos wir Kinder Tod und Zerstörung, welche uns nicht direkt betroffen haben, hinnahmen.

Am 5. Mai erreichte uns eine Nachricht im Luftschutzkeller: „Bei der Kaiserkrone fahr’n scho die Amerikaner!“ Wir Kinder rannten hin und sahen die Panzer mit den Soldaten und ausgemergelte Gestalten in gestreifter Bekleidung, die ersten KZler!

Ich erinnere mich an ein „Ausgehverbot“, das die Bewohner des Jungwirthofes veranlasste, sich abends im Hof zu treffen, Karten zu spielen und gemeinsam zu singen. Einige Tage später mussten wir binnen zwei Stunden unsere Wohnung verlassen, weil die Amis den Block als Kaserne beschlagnahmten. Die Großeltern in der Rosenstraße nahmen meine Mutter und mich auf. Mein Vater war bei der Marine vermisst.

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Wir Kinder konnten uns anfangs noch in die Wohnung schleichen und einiges herausholen. Als wir nach etwa vier Wochen zurückziehen durften, waren unsere Matratzen weg. Die Soldaten hatten damit ein Lagerfeuer im Hof gemacht, wir hatten dann zwei Jahre nur Decken auf den Drahteinsätzen, weil es trotz Bezugsschein keine zu kaufen gab.

Die Amerikaner hatten teilweise Inhalte von Küchenladen am Dachboden auf einen Haufen geleert. Es wundert mich noch heute, dass es beim Auseinanderklauben der damals so kostbaren Dinge wie Nähmaterial, Essbesteck usw. keine Streitereien unter den Hausparteien gab.

Einen Sack Erbsen vor dem Untergang gerettet

Bis es wieder Lebensmittelkarten gab, war die Verpflegung ein Problem. Mein Großvater hatte aus einem Donauschlepper einen Sack Erbsen vor dem Untergang gerettet, die haben wir wegen der Stromabschaltungen nachts auf einem Elektrokocher weich gekocht. Später erinnere ich mich an ½ Kilo-Brotlaibe gegen Marken, die nur frisch halbwegs essbar waren und am nächsten Tag schon zerbröselten (Kastanienmehl?). Für die Zuteilungen von Sojareis und Polenta tauschten die Mütter Rezepte aus, um abwechslungsreiche Mahlzeiten herzustellen. Geblieben ist mir eine Abneigung gegen Polenta. Manchmal teilten die Amerikaner Pudding an uns Kinder aus, aber da war ich meist nicht schnell genug …

Von den späteren amerikanischen Care-Paketen sahen wir Urfahraner nichts, denn da waren wir schon von den Russen besetzt (August 1945). Wir wurden zur Hauptstadt der Zivilverwaltung Mühlviertel. Der „Grenzübertritt“ an der Donaubrücke mit viersprachigem Identitätsausweis bei den russischen und amerikanischen Kontrollposten wurde langsam zur Gewohnheit. Wie lange wir von den Amerikanern jedes Mal DDT-Pulver (zur Desinfektion) unter die Kleidung verpasst bekamen, weiß ich nicht mehr. Ab 1948 musste ich zur und von meiner Arbeit viermal täglich durch die Kontrollen. Ursprünglich kontrollierten auch die Russen die Fahrgäste in der Straßenbahn, später mussten wir alle aussteigen wegen möglichem Menschenschmuggel.

Eine Episode aus den ersten Nachkriegstagen in der Weinkellerei Naderer, Parzhofstraße: Amerikanische Soldaten hatten Weinfässer angeschossen und auch wir Kinder rannten mit Kübeln (Wasserkübel mussten im Krieg in den Vorhäusern stehen zusammen mit Sandsäcken), um damit Wein aufzufangen. Meine Mutter war nicht begeistert und mir schmeckte er auch nicht. Meine Lehre daraus: Wenn alle rennen, muss ich nicht dabei sein. Zuerst denken, dann handeln!

Eine zerbombte Ziegelei als Spielplatz

Für die Mädchen und Buben vom Jungwirthof gab es im Sommer 1945 einen speziellen Spielplatz, die zerbombte Ziegelei Rieseneder am Ende der Nißlstraße. Auf diesem Areal gab es noch Reste von Schienen und Wagen, mit denen wir herumfuhren. Die wassergefüllten Bombentrichter nutzten wir sogar zum Baden. Erst später erfuhren wir, dass darin Munition entsorgt worden war. Das Parkbad war den Amis vorbehalten, ebenso ein schöner Löschteich in Urfahr oberhalb des Mühlkreisbahnhofes.

Im September 1945 begann für alle Schüler wieder der Unterricht in der Schulstufe, die sie 1944/45 abbrechen mussten. Ich kam also wieder in die 2. Klasse Hauptschule.

Im Winter 1945/46 hatte ich keine festen Schuhe, die alten waren zu klein, zu kaufen gab es keine. Eine Tante bekam in der Oberbank Linz als Angestellte „Volkssturmpackeln“ (sehr derbe hohe Soldatenschuhe) angeboten. Sie brachte mir die kleinsten und mit zwei Paar Socken aus Jutefäden (von aufgetrennten Kartoffelsäcken) konnte ich damit den Winter überstehen.

Jeder musste anziehen, was zur Verfügung stand. Zu klein gewordene Kleider wurden z.B. mit einer „Passe“ um die Taille oder Streifen aus konträrem Stoff erweitert und verlängert. Winterbekleidung gab es aus aufgetrennten Soldatenmänteln.

Ab Juni 1945 waren die Lebensmittel wieder rationiert und nur gegen Lebensmittelmarken zu kaufen. Erst ab 1950 gab es Lebensmittel wieder frei zu kaufen.

Von VOLKSBLATT-Leserin Lotte König

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