Wie Frauen Ketten und Rollenbilder sprengten

Ausstellung „Female Sensibility“ im Linzer Kunstmuseum Lentos ab heute bis 9. Jänner 2022

Frauen, festgezurrt in ihren Rollen. Über Jahrhunderte lief das für die Männer ganz gut. Kirsten Justesen, Sculpture #2, 1968
Frauen, festgezurrt in ihren Rollen. Über Jahrhunderte lief das für die Männer ganz gut. Kirsten Justesen, Sculpture #2, 1968 © Kirsten Justesen / SAMMLUNG VERBUND, Wien

Hemma Schmutz hat einen Blick in die museumseigene Sammlung geworfen. Das Resultat „ein bisschen ernüchternd, auch erschreckend“, sagt die Direktorin des Lentos Kunstmuseums in Linz.

Ganze 14,8 Prozent der Bestände stammen von weiblichen Künstlerinnen. Können´s Frauen nicht so gut? – Schwachsinn, der über Jahrhunderte propagiert wurde. Frauen können genauso gut, bloß die Zugänge versperrt.

Feministische Wellen

Eine „bemerkenswerte“ Ausstellung konstatiert die Linzer Kulturstadträtin Doris Lang-Mayerhofer, die auch die Zusammenarbeit zwischen Kunst und Wirtschaft lobt. „Female Sensibility. Feministische Avantgarde aus der Sammlung Verbund“ vereint mehr als 200 Kunstwerke von 82 Künstlerinnen. Die Schau war bereits in Rom, Madrid und London zu sehen, im Lentos kommen 34 – wie es im Kunstsprech heißt – „Positionen“ aus Lateinamerika, Nordamerika, Asien sowie West- und Osteuropa hinzu.

„Female Sensibility“ ist zuallererst künstlerischer Ausdruck der zweiten feministischen Welle im 20. Jahrhundert, die erste hatte sich wesentlich das Wahlrecht für Frauen auf die Fahnen geheftet. Ab den 1960ern wucherten emanzipatorische Bewegungen, nur ein markantes Detail: Ehefrauen mussten in Österreich den Göttergatten um Erlaubnis fragen, wenn sie arbeiten wollten.

Auch die Kunst hinterfragte energisch das Bild, das Gesellschaften über Jahrhunderte von Frauen gezimmert hatten. Ihre Rollen als Fräuleins, Verliebte, Prostituierte, Mütter, Lesbe, „Göttin“ etc. (zum Thema „Rollenspiele“ auch ein eigens gestalteter Raum im Lentos). All die emanzipatorischen Strömungen spiegelt diese überbordende Ausstellung. Die Werke zeigen Wut, sprengen Ketten, stehen für Selbstbehauptung, becircen auch mit künstlerischer Raffinesse oder greifen zur unwiederstehlichen Waffe: Humor.

Frauen etablierten neue Medien wie die Fotografie, die davor kaum als Kunstkategorie getaugt hatte. Fotografie ein spontanes Medium, erläutert Gabriele Schor, die „Female Sensibility“ verantwortet. Fotografie auch ein Weg, um sich von der männerdominierten Malerei abzugrenzen. Damit zerrten Frauen an die Öffentlichkeit, was zuvor als „naturgegeben“ oder als privat betrachtet wurde. Das Private fortan auch politisch, Spiegel von ökonomischen und Machtverhältnissen.

Mit der Brechstange, aber mindestens auch provokant-witzig verschafft die US-amerikanische Künstlerin Mary Beth Edelson sich und Kolleginnen in „Einige lebende Künstlerinnen. Letztes Abendmahl“ Sichtbarkeit: biblisches Geschehen für eigene Zwecke umgedeutet.

Frauen mit/ohne Gesicht

Immer wieder Einsperrungen, Gitterstäbe, Käfige. Beizeiten wiederum gebrochen durch Ironie. Karin Mack, bei der Präsentation am Donnerstag im Lentos anwesend, arbeitete gegen „Rollen, in denen ich mich nicht wohlfühlte“. Eine vierteilige Fotoserie zum Thema Bügeln, an deren Ende die Frau selbst auf dem Bügelbrett liegt. In schwarzer Kleidung, schöne Leich´, finito mit „rollengemäß“ verteilter Hausarbeit. Renate Eisenegger verhüllte 1973 in einer achtteiligen Fotoserie ihr Gesicht mit Klebeband. Eisenegger wie Veronika Dreier, die ein Gesicht von Stricknadeln zuwuchern lässt (das Gesicht wirkt dann wie schwarz durchgekritzelt) gehen auch der Frage nach: Wie viel „Individualität wird Frauen zugestanden?

Die Ausstellung ist in fünf Teile gegliedert, deren letzter verhandelt Sexualität. Noch immer ein Minenfeld an Tabus, selbst noch so harmlose Freizeitbeschäftigungen wie weibliche Onanie. Die US-Amerikanerin Lynda Benglis bestätigt im Video „Weibliches Empfinden“ vordergründig Männerfantasien. Lutscht an einem Spargel oder einem Würstchen, die Symbolik der willigen Frau eindeutig. Das Video durch seinen offensiven Witz allerdings auch ein Statement selbstmächtigetr Sexualität.

Die Ausstellung deckt ungefähr 15 Jahre ab 1968/69 ab. Wirkt der feministische Furor in die Gegenwart nach? Oder lebt es sich eh irgendwie gut im Patriarchat? Gilt demnach noch immer Bertha von Suttners Satz? „Glückliche Sklaven sind die erbittertsten Feinde der Freiheit.“

Von Christian Pichler

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