„Will man derjenige sein, der den Schlüssel endgültig umdreht?“

Filmemacher Robert Schabus über den Wandel in den Alpen, die Gefahren und die Verbundenheit

Filmemacher Robert Schabus
Filmemacher Robert Schabus © Johannes Puch

Unter schwierigsten Bedingungen bewirtschaften Bergbauern in den österreichischen Alpen ihre Höfe, in Italien zeigt ein kleines Dorf, dass Wirtschaft auch weit entfernt von der globalisierten Welt funktionieren kann, und in Deutschland wird mit viel Energieaufwand jener Winter wiederhergestellt, der einst durch Emissionen zerstört wurde. Der aktuelle Film „Alpenland“ des Kärntner Regisseurs Robert Schabus („Bauer unser“) zeigt die vielen Facetten einer schroffen Landschaft, die schon lange von Menschen geformt wird. Und wie es sich mittendrin leben lässt.

VOLKSBLATT: Die Erzählung der Bergbauern aus dem Mölltal bildet den Rahmen Ihres neuen Dokumentarfilms „Alpenland“. Warum haben Sie sich dafür entschieden?

ROBERT SCHABUS: Das hat damit zu tun, dass mir das geografisch und auch persönlich am nächsten liegt, und ich kenne die Protagonisten schon länger. Im Film geht es ja auch um den Wechsel der Generationen, etwa bei den Messerproduzenten in der Lombardei, wo die Jungen bleiben, weil sie arbeiten können. Im Mölltal ist die Tochter des Bauern, Julia, unsicher, ob und wie sich das ausgehen kann, den Hof zu übernehmen. Ein weiterer Grund war der Absturz der Kuh, der während des Drehs passiert ist. Da musste ich entscheiden, wo im Film das hinkommt, und ich habe mich für den Anfang entschieden, auch damit klar ist, dass das Leben in den Bergen für viele nicht einfach ist.

Schon in den Vorspann stellen Sie Szenen aus einer Indoor-Skianlage. Wollten Sie gleich mit der Spitze der Perversion einsteigen?

Die Alpen sind ja auch ein Projektionsraum für uns, romantisiert und verkitscht. Dazu trägt die Werbeindustrie ihren Teil bei. Viele Menschen wollen da hin, es ist einer der letzten Räume, wo man so etwas wie annähernd ursprüngliche Landschaft im Hochgebirge erleben kann. Ich wollte dieser Romantisierung Raum geben. Die Skihalle steht im Norden Deutschlands, weit weg von den Alpen. Dort wird mitten im Sommer das Gefühl von Winter und Alpen vermittelt.

Sie stammen aus dem kleinen Dorf Watschig im Gailtal. Ist das der Grund, warum Sie sich diesmal den Alpen zugewandt haben?

Die Idee, die Alpen zu nehmen, um sich die Gesellschaft anzuschauen, ist gemeinsam mit der Produktionsfirma, mit Michael Kitzberger, entstanden. Gerade in den Alpen ist sehr viel passiert in den letzten Jahrzehnten. Das weiß ich auch von meinem eigenen Aufwachsen. Und das beschleunigt sich gerade durch die Situation mit dem Geld, das investiert werden will. Auch im Gailtal entstehen Glamping- und Chalet-Dörfer. Teilweise nimmt das ganz absurde Ausmaße an. Das finde ich schrecklich, denn Grund und Boden kann man nicht vermehren. Diese Unterwerfungslogik finde ich fragwürdig. Insofern habe ich mir anschauen wollen, wie es den Menschen geht, die dort leben und nicht denen, die dort Urlaub machen. Darauf wird oft vergessen. Es ist oft so, dass die Menschen vor Ort stark unter Druck geraten.

Haben Sie eine Erklärung gefunden, warum die einen immer Wachstum und Maximierung wollen und die anderen, die gar nicht wachsen können, gerade darin ihr Glück finden?

Das ist das Interessante an den Alpen, weil diese Landschaft uns als Gesellschaft etwas erzählt. Durch das Extreme der Landschaft ist ein anderer Umgang notwendig, wenn man dort überleben will. Wenn man so will, mehr im Einklang mit der Natur. Wenn man sich den Bereich der Landwirtschaft anschaut: Wachstum ist in den Alpen viel viel schwerer, weil es topografisch gar nicht möglich ist, und man muss sich dort einfach anpassen, wie etwa die Messerproduzenten in Italien. Dort wäre kein Platz für riesige Fabrikshallen, aber es funktionert. Andererseits sieht man den Tourismus, der sich die Landschaft unterwirft, um so etwas wie Wachstum trotzdem noch möglich zu machen.

Ein Förster in Garmisch-Partenkirchen erklärt sehr anschaulich, wie immenser Energieverbrauch zum Verschwinden des Winters führte, der jetzt künstlich und wieder mit viel Aufwand an Energie erzeugt wird. Kann es noch einen Ausweg aus diesem Teufelskreis geben?

Ich sehe es noch nicht. Einem großen Teil der Bevölkerung ist es schon klar: So kann es einfach nicht weitergehen! Der Klimawandel ist inzwischen in einer Intensität da, das lässt sich nicht mehr verleugnen. Je früher man beginnt, gesamtgesellschaftlich darüber zu diskutieren, was eine gute Form von Tourismus wäre, desto besser ist es. Aber das passiert leider noch nicht. Ich bin gar kein Gegner von Tourismus. Da geht es großteils um Täler, die arm gewesen sind vor der touristischen Zeit. Man kann nicht so tun, als könne man immer so weitermachen.

Sie haben vier Jahre an dem Film gearbeitet, lange recherchiert. Hat Sie etwas überrascht?

Viele Überwerfungen kenne ich auch aus der Gegend, aus der ich komme. Was mich aber überrascht hat, war etwa, dass in Zermatt schon seit 20 Jahren der Gletscher abgedeckt wird. Das hilft dort, aber zeigt auch die Absurdität. In Garmisch-Partenkirchen ist mir erzählt worden, dass nur zwischen zwölf und 15 Prozent der Touristinnen und Touristen, die über ein Jahr kommen, mit Skiern kommen. Und das ist eine irre Zahl, wenn man bedenkt, dass das ganze Geld da hineingeht. Was mich sehr berührt hat, ist eigentlich überall, wo wir waren, diese immense Verbundenheit der Menschen mit der Landschaft, mit den Orten, mit den Alpen.

Hat sich bei Ihren Protagonisten etwas verändert seit den Dreharbeiten?

Die Ziegenbäuerin Marta im Piemont hat einen neuen Stall gebaut und arbeitet sich noch immer dort ab. Die Wasserfabrik im Nachbarort will die Fördermenge verdoppeln und dagegen gibt es riesige Proteste, weil die Verkehrssituation dort inzwischen untragbar geworden ist. Dazu kommt, dass die Arbeitsplätze immer weniger werden. Man sieht im Film, dass in der Abfüllung ja kaum Menschen arbeiten.

Sie haben Julia, die im Mölltal lebt, bereits erwähnt. Sie sagt, dass es schon irgendwie weitergehen werde mit dem Bergbauernhof. Denken Sie, dass sie recht behalten wird?

Es ist das schöne, dass Julia zu ihrer Familie, zu ihrem Vater, dem Hof so ein Vertrauen hat und sich denkt, gemeinsam werden wir das schon schaffen. Das ist ja nicht so einfach. Sie weiß, dass der Vater und die Tante sich aufgeopfert haben, um den Hof zu erhalten. Will man als junger Mensch derjenige sein, der den Schlüssel endgültig umdreht? Wie es weitergehen wird, kann man nicht sagen. Jetzt ist auch noch der Wolf dort angekommen. Es gibt riesige Diskussionen und die Bäuerinnen und Bauern fühlen sich immer mehr unter Druck. Die Almwirtschaft wird sich aufhören, kleinteilige Landwirtschaft wird unter diesen Bedingungen nicht mehr möglich sein.

Ihre Filme legen den Finger in die Wunden unserer Zeit. Möchten Sie einmal etwas durch und durch Optimistisches drehen?

Mich interessieren Gesellschaft, das Zusammenleben, Prozesse, die zeigen, was falsch läuft, Gemeinschaft. Daraus schöpfen eigentlich alle meine Filmprojekte. Manchmal würde man sich aber wünschen, was Lustigeres zu machen.

Ihre Filme haben eine lange Vorlaufzeit. Woran arbeiten Sie denn aktuell?

An zwei Projekten. Bei dem einen geht es darum, zu schauen, wie es jungen Menschen heute geht. Das andere setzt sich mit dem Thema Transport auseinander.

Mit ROBERT SCHABUS sprach Mariella Moshammer

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