„Wir lachen, um es erträglicher zu machen“

Die wahre Geschichte eines Guantánamo-Häftlings von Andreas Dresen

Andreas Dresen
Andreas Dresen © Andrea Höfler

„Rabiye Kurnaz gegen George W. Bush“ erzählt die wahre Geschichte des unschuldig in Guantánamo inhaftierten Murat Kurnaz, dessen Mutter in Deutschland für ihn kämpfte — nach fünf Jahren sah sie ihren Sohn wieder. Andreas Dresens Film wurde bei der Berlinale mit zwei Silbernen Bären ausgezeichnet.

VOLKSBLATT: Murat Kurnaz’ Geschichte wurde schon öfter erzählt, Sie stellen seine Mutter in den Mittelpunkt. Was wollen Sie neu erzählen?

ANDREAS DRESEN: Durch diese ganz andere Perspektive kommt ein Aspekt zum Schwingen, der bei Guantánamo sonst keine Rolle spielen kann — nämlich Hoffnung. Wenn man aus Guantánamo heraus erzählt, was, wie ich zugebe, ursprünglich meine Absicht war, ist das schon eine sehr schwere Sicht. Das ist eine schon fast kafkaeske Situation, wenn man da hockt, es gibt kein Verfahren, man weiß nicht, ob man überhaupt wieder herauskommt. Murat ist über fünf Jahre hinweg schwerst gefoltert worden. Wie soll man das erzählen, ohne zu verzweifeln? Dann hab´ ich Rabiye kennengelernt, seine Mama. Mit einem Schlag wurde mir klar, was bei der anderen Perspektive gefehlt hat: die Möglichkeit, zu gewinnen. Und die hat Rabiye.

Als Murats Fall bekannt wurde, hat Sie das empört?

Ja, das hat mich wahnsinnig empört, und es empört mich bis heute. Ich finde es unfassbar, dass es unter den Vorzeichen von Demokratie so etwas wie Guantánamo gibt. Dass Menschen ohne rechtsstaatliches Verfahren weggesperrt und gefoltert werden. Dort sitzen bis heute 39 Menschen ohne rechtsstaatliches Urteil, ohne Perspektive. Wir sind immer dazu geneigt, auf finstere Diktatoren zu zeigen. Manchmal sollten wir auch vor unserer eigenen Haustüre kehren, was wir so zulassen und woran wir uns gewöhnen. Der andere Aspekt ist der Umgang der deutschen Politik mit dem Fall. Die Drehbuchautorin Carla Stieler und ich haben uns häufig gefragt, wie es wohl gewesen wäre, wenn Murat nicht Murat Kurnaz, sondern Gerhard Müller geheißen hätte. Dann wäre er nämlich dreieinhalb Jahre früher freigekommen.

Sie erzählen in dem Film auch das Verhältnis von Deutschland zu seinen Einwanderern.

Ich war oft bei Familie Kurnaz und bin mit ihnen mittlerweile befreundet. Eine schöner integrierte Familie kann man sich gar nicht vorstellen. Trotz all der Jahre sind sie der deutschen Regierung zwar wert, dass sie die teuren deutschen Autos zusammenschrauben, aber ihnen zu ihrem Recht zu verhelfen, da sagt man dann doch schnell mal, wie im Fall von Murat: „Na, das sind doch türkische Staatsbürger!“

Hat die Familie Frieden mit ihrer Geschichte geschlossen?

Es waren für alle fünf schwerwiegend traumatisierende Jahre, und das trägt man in sich. Bis zu dem Stigma, mit dem Murat bis heute herumlaufen muss, das durch die Boulevardmedien geprägt worden ist, „der Bremer Taliban“ zu sein. Was komplett absurd ist und von allen Geheimdiensten dieser Welt widerlegt. Ändert aber doch nichts daran, wenn es einmal mit großen Lettern auf der Zeitung gestanden hat. Wir hoffen, dass wir vielleicht mit unserem Film einen Beitrag leisten können, das Bild wieder zurechtzurücken.

Einen inzwischen preisgekrönten Coup haben Sie mit Ihrer Hauptdarstellerin Meltem Kaptan gelandet.

Wir haben den gesamten deutsch-türkischsprachigen Raum abgegrast. Meltem brachte die Energie mit, die die Figur hat, eine ganz große Wärme und, das kommt ganz bestimmt von ihrer Comedy-Erfahrung, ein ganz wahnsinnig gutes Timing.

Es gibt witzige, fast komödiantische Szenen. Hatten Sie Angst, dass der Film in die Komödie abrutscht?

Ich finde es immer schön, wenn diese beiden Welten aufeinanderprallen. Hier ist es besonders drastisch, weil es bei diesem politisch schweren Thema niemand erwartet. Es war keine intellektuell geborene Idee, es kam ganz profan durch die Original-Rabiye. Wenn man ihr begegnet, fällt einem sofort ihr wunderbares Lachen auf. Humor ist ja ein sehr anarchisches Element, das wir Menschen in uns tragen, um auch gesellschaftliche Verhältnisse zu bezwingen und niederzulachen. Ich kenne das aus der DDR, wo ich geboren wurde. Da haben wir die schärfsten Witze gemacht über die Regierung, um uns innerlich zu befreien. Ein bisschen ist das hier auch so, dass man die misslichen politischen Verhältnisse ein bisschen verlacht, um es erträglicher zu machen. Im Kern ist es ein menschliches und politisches Drama und wird immer ernster, weil Rabiye die Tragweite erfasst.

Wieviel künstlerische Freiheit kann man sich bei einer wahren Geschichte nehmen?

Alle Freiheit dieser Welt mit der nötigen Verantwortung. Wir machen immer noch einen Spiel- und keinen Dokumentarfilm. Das habe ich der Familie immer gesagt.

War die mit etwas nicht einverstanden?

Nein, die lachen da. Zum Beispiel ist die echte Rabyie Diabetikerin und bei uns schaufelt sie sich das Zeug zentnerweise in den Kaffee. Das sind natürlich Erfindungen, die aber schon auf einer Wahrheit beruhen. Wenn sie keine Diabetikerin wäre …

Man sieht ein Foto von der Gefangenschaft Murats. Haben Sie darüber nachgedacht, eine Folterszene zu zeigen?

Es ist viel schlimmer, zu sehen, wie die Mutter erfährt, dass und wie Murat gefoltert wurde. Ich finde es filmisch viel stärker, als zu zeigen, wie es passiert. Die größte Gewalt findet sowieso im eigenen Kopf statt.

Hat Ihre Tätigkeit als Laienrichter Ihre Sicht auf die Geschichte verändert?

Das hat mich eigentlich nur bestärkt. Es kann nicht jede Regierung machen, was sie will, weder in den USA, noch die brandenburgische Landesregierung. Jeder Bürger kann zu uns kommen und Verfassungsklage einbringen. Das finde ich eine gute demokratische Vereinbarung.

Was würden Sie als Vater tun?

Ich habe mich oft gefragt, was hat Rabyie die Kraft gegeben. Ich glaube, es war auch eine fast kindliche Sicht auf die Dinge dieser Welt. Rabie sieht die Verhältnisse anders, benennt klarer und schneller, was schiefläuft. Wo reflektierte Menschen sich irgendwie abgefunden und eingerichtet haben. Ich wünschte mir die Kraft, die Rabyie hatte.

Mit ANDREAS DRESEN sprach Mariella Moshammer

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