„Wir machen in Österreich nicht alles perfekt, aber sehr viel richtig“

Eurochambres-Präsident Leitl fordert raschere Entscheidungen in Europa und plädiert für einen neuerlichen Dialog mit Russland

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Leitl_1.jpg © Haubner (2)

Mit welchen Entscheidungen auf EU-Ebene er einverstanden ist und welche er überhaupt nicht nachvollziehen kann sagt Christoph Leitl, Präsident der europäischen Wirtschaftskammer-Organisation Eurochambres, im VOLKSBLATT-Interview. Und er erklärt, warum effiziente Entscheidungswege gerade in Krisenzeiten essenziell sind.

VOLKSBLATT: Die EU hat in Reaktion auf die Corona-Krise letztlich ein Budget und Hilfsgelder beschlossen. Das war eine schwere Geburt. Ist dafür das Kind nun ein bsonders schönes?

LEITL: Es hat tatsächlich neun Monate bis zur Geburt gedauert. Als Europäische Wirtschaftskammer sind wir auch Geburtshelfer gewesen. Ich hatte mit dem ungarischen und dem polnischen Kammerpräsidenten gesprochen und ihnen gesagt: Wenn ihre Länder nicht dabei sind, werden es die übrigen 25 EU-Länder allein beschließen. Daraufhin wurde mir signalisiert, es werde eine Lösung geben. Das zeigt: Das Zusammenwirken der Wirtschaft ist ein ganz großer Wert für Europa insgesamt.

Ende gut, alles gut?

Das Kind ist zwar jetzt auf der Welt, aber es läuft noch nicht. Es braucht noch 27 nationale Parlamentsbeschlüsse. Verrückt! Ich mache mir Sorgen um Europa und die Demokratie, wenn sie in einer Zeit dramatischer Veränderungen – und eine Pandemie ist eine dramatische Veränderung – nicht fähig ist, so rasch zu reagieren, wie das notwendig wäre. Es braucht auch in einem Rechtsstaat eine Güterabwägung. In einer Pandemie muss man individuelle Freiheitsrechte, zu denen ich mich bekenne, zurückstellen, um ein kollektives Freiheitsrecht – nämlich Gesundheit – zu schützen.

Werden die finanziellen Mittel der EU ausreichen?

Es hat ja auch die EZB nicht zuletzt aufgrund unserer Gespräche mit Präsidentin Christine Lagarde 500 Mrd. Euro an zusätzlicher Liquidität zur Verfügung gestellt. Das hilft natürlich vielen Unternehmen, die nun in Bedrängnis sind.

Viele Abgaben wurden gestundet. Birgt das Gefahren?

Auch das hat die Europäische Wirtschaftskammer aufgegriffen und ersucht, auf die nationalen Regierungen einzuwirken, dass sie längerfristige Abzahlungskredite gewähren. Ich bin stolz darauf, dass dies Österreich als eines der ersten Länder aufgegriffen hat und möchte Kanzler Sebastian Kurz und Wirtschaftskammerpräsident Harald Mahrer ausdrücklich erwähnen. Wir machen in Österreich nicht alles perfekt, aber wir machen sehr viel richtig und stehen im europaweiten Vergleich in Sachen Unterstützung – nicht nur für die Wirtschaft – ganz vorn.

Auch eine andere Einigung ist in der EU auf Schiene, nämlich das CO2-Reduktionsziel von 55 Prozent bis 2030. Realistisch?

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Nein! Und auch wenn ich akzeptiere, dass es politische Wunschvorstellungen gibt: Ich wehre mich dagegen, diese durch Beschluss festzumachen, obwohl jeder weiß, das Ziel ist realistischerweise nicht zu erreichen. Das soll nicht heißen, dass wir von der Wirtschaft bremsen wollen. Im Gegenteil. Wir sagen, wie es gehen könnte. Ziel ist eine Kreislaufwirtschaft, die der Erde alle Ressourcen wieder zurückgibt, die man ihr entnimmt. Das gehört implementiert. Das ist bis 2050 machbar und eine Riesenchance, weil da Europa führend werden könnte.

Ist die Wirtschaft bei der Beurteilung dieser Frage von der Politik zu wenig gehört worden?

Das hat eine Eigendynamik in der Politik entwickelt. In der Wirtschaft nennt man die Dinge eher beim Namen. In der Politik steht manchmal eine Absichtserklärung im Vordergrund. Gerade weil mir die Umwelt wichtig ist, gebe ich mich nicht dafür her, Ziele leichtfertig zu versprechen, von denen ich weiß, dass sie so nicht erreichbar sind.

Sie weisen – auch in ihrem aktuellen Buch – oft auf China hin. Dort gibt es schon wieder Wachstum. Wird Europa gerade überflügelt?

In meinem Buch habe ich gesagt, dass China heuer wachsen und Europa schrumpfen wird. Genau das ist eingetreten, weil China sicher auch durch die Erfahrung mit der SARS-Epidemie 2003 profitiert hat. In einer Zeit der Not ist eine Straffheit in der Führung erforderlich. Ich will sicher keine chinesischen Verhältnisse, aber eine effiziente, entscheidungs- und handlungsfähige Demokratie und nicht eine lähmende Demokratie. China wird wohl zwei bis drei Prozent Wachstum haben, Europa sieben bis acht Prozent Minuswachstum. Das heißt, wir gehen in einem Jahr um zehn Prozentpunkte auseinander. Was das bedeutet, für die Arbeitsplätze, die Perspektiven junger Menschen, das sollte uns viel stärker bewusst sein.

Eine weitere globale Macht sind die USA. Werden sich die Beziehungen unter Präsident Joe Biden verbessern?

In vielerlei Hinsicht ja. Es wird einen respektvolleren Umgang geben. Aber zu glauben, wir kommen von einer Trump-Antipathie zu einer Biden-Euphorie, davor warne ich. Biden hat klargestellt: Er will die USA auf die Weltbühne zurückbringen, dort aber die dominante Rolle spielen. Da müssen wir uns fragen: Wollen wir Europäer Zuschauer sein, wenn sich Amerika, China und Russland ein Match liefern, oder wollen wir mit unseren Interessen und Werten eigenständig auftreten und ein starker Mitspieler sein?

Stichwort Russland: Die EU hat ihre Sanktionen verlängert. Halten Sie das für gescheit?

Nein. Es ist nicht gescheit. Denn wenn eine Medizin über Jahre ein Leiden nicht verbessert, sondern verschlechtert, wechselt man entweder die Medizin oder den Arzt. Die Sanktionen haben nichts gebracht und werden nichts bringen. Ziel muss es sein, den Dialog mit Russland wieder aufzunehmen und die Sanktionen Schritt für Schritt wechselseitig zurückzunehmen und etwa den russischen Markt für unsere landwirtschaftlichen Produkte wieder zu öffnen und den Russen Zugang zu europäischer Wissenschaft zu geben. Es wird nichts besser, wenn man in den Schützengräben verharrt, sondern nur, wenn man aufeinander zugeht. Ich sehe die Wirtschaft in der Position, Brücken zu bauen. Russland und Europa wären gemeinsam ungeheuer stark.

Ein scheinbar unendliches Thema ist der Brexit. Trauen Sie sich eine Einschätzung zu?

Es wird eine Einigung geben, weil alles andere Selbstmord wäre. Und zwar von Großbritannien. Das wissen sie dort. Sie wissen auch, dass sie auf den europäischen Markt dringend angewiesen sind, die Hälfte ihrer Exporte kommt hierher. Es wird jedoch trotzdem zu Behinderungen kommen, zu Bürokratie, Zollformalitäten. Aber besser ein Abkommen als kein Abkommen. Corona und dann auch noch ein harter Brexit könnten ein Genickschlag für den britischen Wohlstand sein.

Welche Erwartungen haben Sie für 2021?

Es wird uns Corona noch einige Zeit begleiten. Hoffen wir, dass die nun anlaufenden Impfungen so rasch wie möglich ein Ergebnis bringen und wir in absehbarer Zeit zu halbwegs normalen Verhältnissen zurückfinden. Wir haben einige Lehren gezogen: Ich denke, wir sind ein bisschen demütiger geworden, haben mehr Respekt vor der Natur, haben Werte gefunden, die in Einfachheit und Menschlichkeit liegen und streben nicht mehr nach immer mehr, immer schneller, immer höher, sondern nach immer nachhaltiger und immer menschlicher. Wenn das die Lehre ist, hat diese Krise auch einen Sinn gehabt.

Und was wünschen Sie sich persönlich?

Da wünsche ich mir, dass es meinen beiden Enkeltöchterchen, die meine größte Freude sind, gutgeht.

Mit Eurochambres-Präsident CHRISTOPH LEITL sprach Christian Haubner

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