Hans-Peter Wipplinger: „Wir sind ein sicherer Ort“

Hans-Peter Wipplinger, Direktor des Leopold Museums: „Glücklich über jeden Besucher“

Hans-Peter Wipplinger, Direktor des Leopold Museums
Hans-Peter Wipplinger, Direktor des Leopold Museums © www.stefanjoham.com

Hans-Peter Wipplinger, gebürtiger Schärdinger, leitet das renommierte Leopold Museum in Wien seit 2015, wobei man seinen Vertrag kürzlich bis 2025 verlängert hat.

Im VOLKSBLATT-Gespräch berichtet er, wie man ein Haus ohne Jammern durch Krisenzeiten führt, die Gegenwart bewältigt und die Zukunft im Auge behält.

VOLKSBLATT: Wenn man in einer schönen kleinen Barockstadt wie Schärding aufwächst — wie wird man dann ein ausgewiesener Kenner und Liebhaber für zeitgenössische Kunst?

HANS-PETER WIPPLINGER: Schärding hat ein schönes Museum, aber das war für mich nicht die Initialzündung. Wichtiger waren meine Jahre als Florianer Sängerknabe, da sind wir sehr viel gereist und haben sehr viel besichtigt. Natürlich vor allem Kirchen — ich hege bis heute eine große Liebe zur Gotik —, aber auch Museen. Während meines Studiums in Wien war dann für mich das Kunsthistorische Museum eine wahre Schule des Sehens. Damals habe ich mich für alles Mögliche interessiert …

Nach dem Studium in Wien: In Linz beginnt’s für einen Oberösterreicher?

Ja, ich habe am OK in Linz begonnen, dem Offenen Kulturhaus, das als Zentrum für Gegenwartskunst eingerichtet wurde. Dort habe ich als Assistent von Direktor Martin Sturm sehr viel gelernt. Dann gab es verschiedene Stationen, bis ich dann erst das Museum Moderner Kunst in Passau und anschließend die Kunsthalle Krems geleitet habe. Immer die Gegenwartskunst im Blick, aber ich habe auch immer Ausstellungen über Künstler der klassischen Moderne gemacht.

Dennoch haben sich viele Leute gewundert, dass Sie das Angebot des Leopold Museums angenommen haben, das ganz der „klassischen Moderne“ verpflichtet ist, mit der größten Schiele-Sammlung der Welt und sensationellen „Wien um 1900“-Beständen.

Wenn ich mich für ein Haus entscheide, dann frage ich nach seiner DNA, seinem Wesen. Da geht es nicht um mich, sondern es ist meine Aufgabe, Diener dieses Museums sein. Ich kann nur versuchen, sein Profil zu schärfen, hier und da den Brückenschlag zur Gegenwart zu setzen, wie ich es beispielsweise mit der Kombination Carl Spitzweg/Erwin Wurm getan habe. Man kann beides verknüpfen, aber ich bin von den Beständen determiniert.

Das bringt uns wieder zu „Wien um 1900“. Das Leopold Museum hatte „unter dem Dach“ ja schon einmal eine Sonderpräsentation dazu.

Die musste dann abgeräumt werden, weil die große Heidi-Horten-Präsentation gastweise einzog, und danach war mir klar, dass man das Thema noch viel ausführlicher behandeln muss, als wirklich ganz breit gefächerte Dauerausstellung über drei Ebenen des Hauses. Dass man auch die Historismus-Vorgeschichte erzählt und dann bis in die Nachkriegszeit geht, die ja eine Zwischenkriegszeit wurde.

Die momentan neue Ausstellung, „Menschheitsdämmerung“, mit der Sie nach dem Lockdown dem Publikum nun Neues bieten und in der elf Künstler mit Werken aus der Ersten Republik ausführlich vorgestellt werden, kann da als „Fortsetzung“ betrachtet werden?

Unbedingt. Frau Professor Leopold hat sich diese Ausstellung gewünscht, und wir haben sie aus dem Boden gestampft, weil wir hier eine Überfülle von Beständen am Haus haben. Es gibt nichts Schöneres für einen Ausstellungsgestalter als die „Qual der Wahl“ — welches Bild soll ich nehmen? Rudolf Leopold war als Sammler großartig und sicher auf diesem Gebiet die wichtigste Persönlichkeit, die Österreich in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts hatte.

Gibt es da für Fachleute auch Neues zu entdecken?

Neben den Bildern der Sammlung Leopold, die in die Bestände des Museums aufgegangen ist, gibt es ja noch die Sammlung „Leopold II“, die der Witwe, Frau Professor Elisabeth Leopold, und den drei Kindern des Ehepaares gehört. Und wenn man sich dann mit ihr berät, sagt sie dann durchaus: „Na, kommen Sie bei mir in Döbling vorbei, schauen wir, was wir finden“ — und dann kommen Werke zum Vorschein, die noch nie ausgestellt wurden. Es gibt einiges Unbekanntes, das in dieser Ausstellung auftaucht.

Ich nehme an, dass in Zeiten wie diesen auch eine Rolle spielt, dass man keine Leihgaben holen, zahlen und versichern muss?

Natürlich, es sind schwierige Zeiten. Wir haben bisher sehr gut gewirtschaftet, ich habe das Haus mit ca. 350.000 Besucher pro Jahr übernommen und auf etwa 450.000 steigern können. Hunderttausend verkaufte Eintrittskarten mehr, das ergibt ungefähr eine Million, da konnte man manchmal ein schönes Gemälde zukaufen, wie zuletzt Herbert Boeckls „Stilleben mit Ofenrohr“ von 1925. Jetzt muss man das Geld zusammenhalten, wobei ich sagen muss, dass wir eine Million Unterstützung von der Kulturabteilung erhalten haben und die Kurzarbeit gefördert wird. Jedenfalls ist es gelungen, niemanden entlassen zu müssen. Gespart werden muss an den nächsten Ausstellungen, aber wir haben ein Jahresprogramm erstellt, in dem auch Alfred Kubin vorkommen wird — auch diese Krise wird vorübergehen.

Was macht ein leidenschaftlicher Museumsdirektor wie Sie, wenn er kein Geld hat?

Ich glaube, ich bin ganz gut im Netzwerken, ich konnte private Sammler, die Kostbarkeiten zuhause hatten, davon überzeugen, dass diese Bilder ins Museum gehören, und wir haben eine große Zahl von wichtigen Dauerleihgaben bekommen. Am glücklichsten ist man, wenn man etwas geschenkt bekommt — so wie letzten November, als ein Wunder geschehen ist. Ein Ehepaar, das gar nicht genannt sein wollte, hat für uns um 475.000 Euro das Bild „Altar des Dionysos“ von Gustav Klimt ersteigert, eine bemalte Skizze für das Deckengemälde des Burgtheaters. Es gab vier davon, zwei sind verschollen, eines haben wir. Das sind die großen Glücksmomente.

Wie sieht man in Zeiten wie diesen in die Zukunft?

Museen sind Dienstleister an der Gesellschaft, aber sie sind noch mehr, sie sind Kraftorte und als solche unendlich wichtig für das Leben aller Menschen. Ich bin froh, dass wir offen haben dürfen, ich bin froh über jeden Besucher, der zu uns kommt, und ich kann versichern, dass wir mit unserer Größe von 5500 Quadratmetern und allen erdenklichen Vorsichtsmaßnahmen ein sicherer Ort sind. Und ein Ort, wo man aus der drückenden Gegenwart in andere Welten abtauchen und im Dialog mit den Bildern glücklich sein kann.

Mit Museumsdirektor HANS-PETER WIPPLINGER sprach Renate Wagner

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