IV-Boss Pierer: „Hohe Personalkosten sind das massivste Problem“

Stefan Pierer, Präsident der IV Oberösterreich, malt ein düsteres Bild vom Standort Europa in Sachen Bürokratie, Kosten und Innovation

In puncto Wettbewerbsfähigkeit Europas gegenüber den USA und China skizzieren die Geschäftsführer der oberösterreichischen Industriefirmen ein düsteres Bild. Null Prozent stuften diese besser ein, acht Prozent gleich gut und 92 Prozent meinen, die Wettbewerbsfähigkeit Europas ist im Vergleich zu China und den USA geringer.

Diesen Umstand bringt auch Stefan Pierer aufs Tapet. Der Präsident der Industriellenvereinigung Oberösterreich (IV OÖ) sieht auch den Wohlstand gefährdet, denn „Europa reguliert sich zum Stillstand“, wie er unter anderem im Interview sagt.

Wie geht es den oberösterreichischen Industrieunternehmen?

STEFAN PIERER: Schlecht. Europa schafft sich ab. Wir regulieren uns zum Stillstand. Das geht quer durch alle Bereiche. Egal, ob es Behördenverfahren sind oder die Taxonomie. Das Lieferkettengesetz, das noch nicht einmal richtig eingeführt ist, ist der größte Wahnsinn. Und dann beginnen wir auch noch mit Zöllen. Gott sei Dank ist das noch nicht ganz fix, es wird noch verhandelt. Das ist wenigstens ein Lichtblick.

Das heißt, die EU-Strafzölle wären kontraproduktiv?

Auf jeden Fall. Strafzölle der EU gegenüber China wären der größte Schwachsinn, weil Europa so exportintensiv ist. Wir in Europa neigen einerseits zu Überheblichkeit und zu völliger Überschätzung und auf der anderen Seite haben wir eine Kleinstaatlichkeit.

Inwieweit?

Jeder Staat macht, wovon er glaubt, dass es gut ist. Ein Beispiel ist die unkoordinierte Energiepolitik seit dem Einmarsch Russlands in die Ukraine. Momentan ist die Situation — auch gesamteuropäisch betrachtet — äußerst schwierig.

Und wie schlägt sich diesbezüglich Österreich?

Leider nicht gut. Das massivste Problem sind die hohen Personalkosten. Diese sind in den vergangenen zwei Jahren um 20 Prozent gestiegen. Wenn man hier nun an ein energieintensives KMU, etwa eine Gießerei, denkt, dann ist das für solch ein Unternehmen schwer bis gar nicht von der Kostenseite her zu bewerkstelligen.

Befeuert das dann etwaige Abwanderungstendenzen?

Absolut. Die Industrie marschiert schon längst raus. Und diese Betriebe kommen auch nicht mehr zurück. Das muss uns klar sein. Dabei müsste es doch der Wille sein, energie- und personalintensive Industrie in Europa zu halten. Denn diese sichern den Wohlstand.

Provokativ gefragt: Warum nicht im Umkehrschluss die Industrie ziehen lassen und beispielsweise europaweit komplett auf IT-Business und App-Entwicklung setzen?

Dann werden wir Hallstatt und somit museumsreif. Es braucht für den Wohlstand der Gesellschaft die Industrie und besonders die global agierende Sachgüterindustrie. Letztlich ist es ein Politikversagen.

Werden Sie nicht seitens der Politik gehört?

Wir von der IV sind eh laut genug, aber es ist auch an der Zeit, dass die Unternehmen ihre Stimme erheben. Die Arbeitsplätze in den Unternehmen sind die Grundlage für unseren Wohlstand. Aber die Politik muss jetzt endlich bessere Rahmenbedingungen schaffen.

Wann hat Ihrer Meinung nach dieses Politikversagen begonnen?

Die letzten wirklich groß und visionär denkenden Politiker waren Kohl und Mitterrand. In Deutschland, unserem mit Abstand wichtigsten Exportmarkt, war Gerhard Schröder derjenige, der zuletzt groß gedacht hat. Angela Merkel hat nur mit populistischen Aussagen – etwa nach der Fukushima-Katastrophe mit dem Ausstieg aus der Kernenergie – von sich reden gemacht.

Was kann aber dann die Landespolitik machen?

Das, was in Oberösterreich gemacht werden kann, wird auch gemacht. Beispielsweise die Digitalisierung von Genehmigungsprozessen. Die Kommunikation zwischen IV und den politisch Verantwortlichen des Landes funktioniert sehr gut. Aber: Wir sind eingebettet in einen Nationalstaat, der wiederum eingebettet in die EU ist, wo das Einstimmigkeitsprinzip gilt.

Der Umkehrschluss lautet dann: Raus aus der EU und bilateral Verträge aufsetzen?

Nein. Das hat man ja am Beispiel Großbritanniens gesehen, dass das eine schlechte Lösung ist. Wir müssen nur die EU ein wenig anders verstehen.

Und zwar?

Als gemeinsamen Markt, der er ja letztlich ist. Wir haben 400 Millionen Konsumenten. Als 1995 Österreich zur EU gekommen ist, war eine Aufbruchstimmung da. Da wurde dieses Potenzial des großen Markts gesehen. Wir müssen nun die Europäische Union konsequent weiterentwickeln: Dazu gehören u. a. eine einheitliche Energiepolitik und eine einheitliche Verteidigungspolitik. Warum drängt denn China so stark nach Europa? Weil wir einen riesigen Markt haben. Dieses Asset sollten wir für Verhandlungen nützen.

Verhandlungen mit China?

Nicht nur, sondern auch, um weitere Handelsabkommen abzuschließen.

Sie reden hier vom Mercosur-Abkommen mit den südamerikanischen Staaten?

Ja, auch wenn wir da 20 Jahre lang kaum Fortschritte erzielt haben und das Abkommen noch immer nicht gilt. Ich denke auch an Lateinamerika, Indonesien oder Indien. Das sind allesamt riesige Märkte.

Sie haben vorhin von der Überheblichkeit Europas gesprochen. Worauf beziehen Sie sich da konkret?

Das kommt aus dem Green Deal heraus, der hauptsächlich mit Verboten und Einschränkungen arbeitet. Europa ist für sieben Prozent der CO2-Emissionen verantwortlich und anstatt sich auf technologieoffene Forschung zu konzentrieren, wollen wir anderen Weltregionen erklären und befehlen, was sie zu machen haben. Mit ein Grund fürs Scheitern des Mercosur-Abkommens war, dass wir den südamerikanischen Landwirten erklären wollten, wie Bio-Landwirtschaft funktioniert. Gerade Europa mit seiner Kolonialisierungsvergangenheit darf nicht so überheblich auftreten. Da geht es um die korrekte Einschätzung. Es ist ein großer Markt, der noch für viele andere Regionen bedeutend ist.

Das europäische Erfolgsmodell war viele Jahre auf Export, gut gebildetes Personal, niedrige Energiepreise dank Russland und Sicherheitsunterstützung durch die USA ausgelegt. Das funktioniert jetzt nicht mehr.

Und das führt zur Schwarzmalerei, die nun oftmals vorherrscht?

Wir haben ja nicht nur geänderte Rahmenbedingungen in puncto Energie und Sicherheitspolitik. Wir haben ja auch ein demografisches Problem. Drastisch formuliert: Hundert Menschen gehen in Pension und 65 kommen nach. Das geht sich nicht aus. Und auch nicht mit der Migration, denn die hat bis dato nicht so gut funktioniert, wie wir uns das gewünscht hätten. Erkennbar ist das an mangelnden Sprachkenntnissen, aber auch daran, dass manche Zugewanderte ein anderes Verständnis von Arbeit haben. Wir müssen uns daher neu erfinden.

Und das funktioniert wie?

Handelsabkommen abschließen. Europa als Markt begreifen. Den Green Deal als Business-Case verstehen und daraus Geschäftsfelder ableiten. Das inkludiert Technologieoffenheit. Noch sind wir in Europa so gut gebildet und innovativ, dass dies funktionieren kann. Wir werden auch über Verteidigungspolitik reden müssen. Industriebetrieben kann ich nur raten, sich auch auf die Wehrtechnik zu fokussieren. Das wird ein Riesenthema. Und was auch klar ist: Die Energiepreise werden hoch bleiben.

Kommen wir noch einmal darauf zurück, dass es den oberösterreichischen Industriebetrieben schlecht geht. Das ist anhand der Bilanzen noch nicht ersichtlich.

Noch nicht, aber das wird dort auch noch zu sehen sein. Eine Bilanz ist eine Rückschau und ich schaue nach vorne. Und da kann ich Ihnen sagen, die Aussichten sind nicht rosig. Wenn Sie 20 Prozent Personalkostensteigerungen haben, ist das dramatisch.

Das wirkt sich vermutlich auch auf die Personalpolitik der Unternehmen aus.

Ja. Ich kenne hunderte Betriebe und keiner stellt Leute ein, bis auf hochausgebildete Fachkräfte. Jeder Betrieb muss auf seine Kosten schauen. Nach den Kollektivvertragsverhandlungen im Dezember des Vorjahres habe ich als Firmenchef gesagt, dass dies für KTM über Nacht 34 Millionen Euro Mehrkosten sind. Das muss man ja einmal stemmen. Das kann man ja auch nicht auf die Motorräder draufschlagen.

Sondern?

Da muss man effizienter agieren, schlankere Strukturen schaffen. Da muss man als verantwortungsvoller Firmenchef reduzieren. Am Ende des Tages muss ein Unternehmen einen Gewinn machen. Das sichert nachhaltig den Firmenerfolg und somit die Arbeitsplätze.

Ist das der Bevölkerung bewusst? Sie malen da ein düsteres Szenario an die Wand.

Nein. Dabei hat Österreich so viele bekannte und herausragende Nationalökonomen hervorgebracht: Schumpeter, von Mises, Hayek. Es wird ab Herbst hart werden, dessen bin ich mir sicher.

Was ist der Ausweg?

Wir müssen mehr und länger arbeiten. In Mattighofen liegt die Netto-Arbeitszeit eines Ingenieurs bei 1.600 Stunden. In China sind es 2.540 Stunden. Wir sind ja auch nicht mehr effizienter. Das ist auch der Grund, warum in Fernost schneller auf Entwicklungen reagiert werden kann. Wenn die Menschen um 50 Prozent mehr arbeiten, geht mehr weiter.

Sie wirken sehr echauffiert, wenn man mit Ihnen über diese Themen spricht.

Weil die Lage so ernst ist. Und ich versuche auch, diesen Sachverhalt durchaus aufgeladen und emotional zu transportieren. Denn die Lage ist ernst. Die oberösterreichischen Landespolitiker verstehen das zum Glück.

Verstehen es die Mitglieder der Bundesregierung?

Nicht zur Gänze. Und dazu kommt, dass wir heuer wählen. Bis zur Wahl haben wir sowieso Stillstand und danach auch noch ein paar Monate. Solange allerdings in Deutschland die Lage schlecht ist, bleibt es in Österreich auch schlecht.

Was sind Ihre Vorschläge?

Steuerfreie Überstunden für Arbeitnehmer und Arbeitgeber. Eine steuerfreie Zuverdienstgrenze für Pensionisten bis zur Höchstbemessungsgrundlage oder einen Steuerbonus, wenn Menschen von Teilzeit auf Vollzeit umstellen. Und ich bin ganz stark für eine steuerliche Begünstigung für Werkswohnungen. Der letztgenannte Punkt würde auch der Bauwirtschaft einen Aufschwung geben. Aber einen Punkt muss ich nochmals erwähnen.

Der da wäre?

Bürokratieabbau. Sie können sich nicht vorstellen, wie hoch hier der Leidensdruck ist.

Der Fachkräftemangel ist indessen nicht mehr das große Thema, oder?

Nein, es sind die hohen Personalkosten. Die sind problematischer.

Aber Europa und Österreich können noch mit der Qualität der hergestellten Produkte punkten?

Ja, aber das ist nicht mehr das herausragende Alleinstellungsmerkmal. Da ist die Fertigung in Fernost uns durchaus ebenbürtig. Setzen Sie sich in einen BYD oder MG, die sind tadellos gefertigt.

Was wieder zur Diskussion rund um die subventionierte chinesische Autoindustrie und somit zu Strafzöllen führt.

Strafzölle sind ein Schwachsinn. Gerade Europa ist durch Export und Freihandel groß geworden. Wichtiger ist eine Kommunikation mit China, den USA und anderen Regionen auf Augenhöhe. Wie heißt es so schön im Sprichwort? Durch´s Reden kommen de Leut‘ z’am.

Interview: Oliver Koch

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