Die Wirtschaftsrezession seit 2023 und die schlechte Verbraucherstimmung belasten weiterhin die heimischen Handelsbetriebe. „Der Handel lebt besonders von der Stimmung“, sagte Handelsobmann Rainer Trefelik beim WKÖ-„Handelstag“ am Dienstag in Wien. Von der kommenden Regierung erwarten sich Trefelik und Wirtschaftskammer-Österreich-Chef Harald Mahrer „positive Veränderungen“, damit es zu einem Stimmungsumschwung bei Konsumenten und Unternehmen kommt.
WKÖ-Generalsekretär Karlheinz Kopf ortet eine Form von „Angstsparen“ bei den Konsumentinnen und Konsumenten. Die hohen Lohnabschlüsse und die Abschaffung der Kalten Progression seien bisher „leider nicht eins zu eins umgesetzt im Konsum“ worden.
Auch die deutschen Händler kämpfen mit einer schlechten Konsumlaune. „Die multiplen Krisen machen den Verbraucher sehr vorsichtig“, sagte der stellvertretende Hauptgeschäftsführer, Handelsverband Deutschland (HDE), Stephan Tromp, bei der Branchenveranstaltung in Wien. Der Handel habe außerdem mit drei großen Herausforderungen zu kämpfen: Transformation (Digitalisierung, Klimaschutz, Nachhaltigkeit), Mitarbeitergewinnung und -qualifizierung und die sinkende Besucherfrequenz in den Innenstädten.
Der Handel ist in Österreich nach der öffentlichen Hand der größte Arbeitgeber. Rund 93.000 Handelsunternehmen erwirtschafteten mit 572.000 Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern zuletzt einen Jahresumsatz von 314 Mrd. Euro. Im heimischen Handel waren die Umsätze heuer von April bis Juni laut Statistik Austria nominell um 1,4 Prozent niedriger als im Vorjahresquartal, inflationsbereinigt (real) gab es ein Erlösminus von 1,8 Prozent. Das schleppende Geschäft schlägt sich auch bei den Pleitemeldungen nieder. Eine am Dienstag veröffentlichte Hochrechnung der heurigen Insolvenzzahlen bis Ende September des Gläubigerschützers KSV zeigt, dass der Handel (853 Fälle, + 16 Prozent gegenüber 2023) seit Jahresbeginn im Branchenvergleich die meisten Unternehmenspleiten verzeichnete. Betroffen sind laut KSV sowohl der Groß- wie auch der Einzelhandel „in ähnlichen Dimensionen“.
Der personalintensive Handel spürt die inflationsbedingt hohen Kollektivvertragsabschlüsse besonders. Ende Dezember 2023 einigten sich Gewerkschaft und Wirtschaftskammer nach monatelangem Tauziehen auf eine gestaffelte Gehalts- und Lohnerhöhung zwischen 8,3 und 9,2 Prozent. Die Umsatzentwicklung stimme mit der „Kostenentwicklung nicht zusammen“, erklärte der Handelsobmann.
Trefelik und Mahrer drängen auf nationaler und EU-Ebene auf ein schärferes Vorgehen gegen Billig-Konkurrenz aus China wie Temu und Shein. Derzeit gebe es „keine faire Wettbewerbssituation“, weil sich europäische Händler im Gegensatz zur chinesischen Konkurrenz an alle EU-Vorgaben halten müssten.
WKÖ-Präsident Mahrer fordert von der kommenden Regierung ein umfassendes Wirtschaftspaket, unter anderem mit Lohnnebenkostensenkungen, steuerlicher Attraktivierung von Arbeitsstundenaufstockungen, Überstunden und Arbeiten in der Pension. Mahrer warnte davor, den Arbeitskräftemangel zu unterschätzen. Weil die Babyboomer-Generation schrittweise in Pension gehe und zu wenige nachkämen, würden langfristig 250.000 zusätzliche Arbeitskräfte in Österreich fehlen.
Eine wichtige Gegenmaßnahme sei die Stundenaufstockung von Teilzeitkräften, so Mahrer. Fachkräfte im Ausland anzuwerben sei nicht einfach, weil alle Länder in der EU aufgrund der Überalterung der Bevölkerung europa- und weltweit auf Arbeitskräftesuche seien.
Wifo-Chef Gabriel Felbermayr machte den versammelten Händlern Mut für die kommenden Monate und 2025. Die Sparquote in Österreich sei hoch, es gebe höhere Reallöhne und die Arbeitslosenzahlen würden für eine Wirtschaftsrezession verhältnismäßig schwach steigen. „Es ist angerichtet für einen konsumgetriebenen Aufschwung.“
Der Konsum habe auch in den vergangenen Quartalen die heimische Konjunktur gestützt, sonst wäre die Rezession deutlich tiefer ausgefallen, erinnerte der Wirtschaftsforscher. Der kommenden Regierung empfahl Felbermayr für 2025, klassische Standortpolitik zu forcieren und „kein Sparpaket“ oder Einsparungen bei der aktiven Arbeitsmarktpolitik (u.a. AMS-Schulungen) auf die Agenda zu setzen. „Die Vertrauenskrise ist die Wurzel des Problems“, sagte der Wifo-Chef. „Um das Vertrauen fundamental zu verändern, müssen die Hausaufgaben gemacht werden.“ Die künftige Regierung müsse „glaubwürdige Maßnahmen“ setzen.
Arbeits- und Wirtschaftsminister Martin Kocher (ÖVP) verwies beim WKÖ-„Handelstag“ auch auf die hohe Sparquote der privaten Haushalte in Österreich. Man müsse den Konsumentinnen und Konsumenten „mehr Zuversicht geben“. Wenn sich die Lage drehe, dann könne der Konsum „recht rasch“ anspringen, erwartet der Wirtschaftsminister. Kocher rief die Händler auf, mehr Geld in Forschung & Entwicklung (F&E) zu investieren. Dies könne ein neuer Vertriebsweg, eine neuartige Datenanalyse oder ein neues Produkt sein. Österreich müsse als Hochlohnland mit Innovation gegenüber anderen Ländern punkten.
Der Trendforscher der britischen Beratungsfirma Insider Trends, Jack Stratten, empfahl der heimischen Handelsbranche auf Premiumisierung, ein kleineres gut kuratiertes Sortiment und Qualität zu setzen. „Niemand kann mit Shein, Temu und Amazon konkurrieren. Vergessen Sie diesen Teil des Marktes“, sagte Stratten in Richtung der Händler. „Die größte Herausforderung ist die Kundenbindung. Wie kann man Kunden halten?“ Kunden hätten heutzutage eine viel größere Auswahl an Marken und Produkten als noch vor 10 bis 15 Jahren. Händler müssten sich klar werden, wie man sich von der Konkurrenz differenziere, so der Trendforscher. Manche Handelsbetriebe würden versuchen, sich durch zusätzliche Dienstleistungen oder neue Shopkonzepte abzuheben.
E-Commerce-Experte Markus Miklautsch von Xretailer legte den heimischen Handelsbetrieben nahe, sich stärker mit Online-Marktplätzen zu beschäftigen. Dort könnten österreichische Händler mit regionalen Qualitätsprodukten punkten, so Miklautsch.