
Der Europäische Gerichtshof (EuGH) hat Abschalteinrichtungen, die den Ausstoß von Schadstoffen nur bei einer bestimmten Außentemperatur reduzieren, für unzulässig erklärt. Schadenersatzansprüche für Fahrzeuge, die mit einem sogenannten Thermofenster ausgestattet sind, seien nicht ausgeschlossen, urteilte das Gericht. Zulässig könne das Thermofenster allerdings sein, wenn die Einrichtung notwendig wäre, um einen Schaden am Motor und damit ein Unfallrisiko zu vermeiden.
Notwendig sei das Thermofenster dann, wenn es keine andere technische Lösung gebe, um solche Risiken zu vermeiden. Die Risiken müssen dabei so schwer wiegen, dass eine konkrete Gefahr beim Betrieb des Fahrzeugs gegeben ist, wie das Gericht am Donnerstag erklärte. Außerdem muss das Thermofenster im überwiegenden Teil des Jahres in Betrieb sein. Abschalteinrichtungen, die nur zu einer Schonung von Anbauteilen außerhalb des Motors beitragen, seien unzulässig. Gerichte in Österreich müssen nun prüfen, ob so eine Notwendigkeit gegeben ist und ob Schadenersatzansprüche bestehen.
In Bezug auf mögliche Schadenersatzansprüche verwies der EuGH darauf, dass Verbraucher nach EU-Recht eine Nachbesserung oder Ersatzlieferungen verlangen könnten. Eine Preisminderung oder eine Vertragsauflösung sei nur dann denkbar, wenn für den Verkäufer entsprechende Abhilfemaßnahmen nicht möglich seien. Der EuGH hielt heute auch fest, dass der Mangel jedenfalls nicht geringfügig sei – das ist Voraussetzung dafür, dass eine Vertragsauflösung möglich ist.
Auslöser für das Urteil sind Klagen in Österreich gegen VW, in deren Motoren das Thermofenster eingebaut ist. Das Unternehmen argumentiert, dass das Thermofenster technisch zum Schutz des Motors nötig sei und ohne dieses ein Unfallrisiko bestehe. Dies hätten auch wissenschaftliche Studien erwiesen. Die Kläger sehen kein erhöhtes Unfallrisiko.
Der Volkswagen-Konzern sah sich nach dem Urteil bestätigt. „Nach den Kriterien, die der EuGH in seinem Urteil aufgestellt hat, bleiben die in Fahrzeugen des VW-Konzerns verwendeten Thermofenster zulässig“, hieß es in einem Statement. Die von VW verwendeten Thermofenster würden vor unmittelbaren Risiken für den Motor in Form von Beschädigungen oder Unfall schützen. „Die Risiken wiegen so schwer, das sie eine konkrete Gefahr beim Betrieb des Fahrzeugs darstellen.“ Man erwarte daher nur geringe Auswirkungen auf den Konzern. Zivilrechtlichen Klagen, die sich auf das Vorhandensein eines Thermofensters stützten, räume man keine großen Chancen ein.
Klägeranwalt Michael Poduschka geht davon aus, dass VW die vom EuGH definierten Ausnahmekriterien nicht erfüllen können wird. So funktioniere die Abgasreinigung im überwiegenden Teil des Jahres nicht. Außerdem bestehe keine konkrete Gefahr, die durch das Thermofenster beseitigt werde, meint er. Am Zug sieht Poduschka nun die Behörden. Aus seiner Sicht müssten die betroffenen Fahrzeuge für ein Update rückgerufen werden. In den Zivilverfahren betreffend den Motor EA189, der im Zentrum des Dieselskandals stand, könne es überdies „nur mehr um die Schadenshöhe“ gehen.
Erfreut über die Entscheidung zeigten sich der Verein für Konsumenteninformation (VKI) und der Verbraucherschutzverein (VSV). „Die EuGH-Entscheidung ist eine weitere Ohrfeige für VW im Dieselskandal“, so der VKI in einer Aussendung. Man sei zuversichtlich, angemessenen Schadenersatz von VW im Rahmen von VKI-Sammelklagen erwirken zu können. Auch der VSV wolle angesichts des Urteils weiter Schadenersatzklagen gegen die Dieselhersteller vor deutschen Gerichten erwirken, sagte Obmann Peter Kolba. Die Sammelklagsplattform Cobin Claims kam ebenso zu der Auffassung, dass die betroffenen Autos nicht zulassungsfähig seien und die Kunden daher grundsätzlich Anspruch auf Preisminderung oder Vertragsauflösung hätten.